Gedenkort für NS-Widerstand von Eisenbahnern in Salzburg
Die Berufsgruppe der Eisenbahner war für den nationalsozialistischen Systemerhalt elementar, betonen die am Projekt beteiligten Historiker Albert Lichtblau und Robert Obermair. Nicht nur für die Verlagerung von Kriegsgerät, Soldaten oder Nachschub an die Front, später auch zum Transport von Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslager. Viele Mitarbeiter der Reichsbahn waren nationalsozialistisch organisiert oder Mitläufer, manche richteten sich auch gegen die NS-Diktatur.
Saalfelden war damals ein betriebsamer Bahnhof. Die Opposition zum Regime war dort allerdings nicht von Sabotageakten getragen. Im Pinzgau wurden andere Mittel gewählt, als das Durchschneiden von Bremskupplungsschläuchen oder Vertauschen von Wagenbezettelungen, um Züge an falsche Zielbahnhöfe zu schicken: Im Vordergrund stand die Verbreitung von Information und Flugzetteln, die Unterstützung von Verfolgung betroffener Familien, aber auch passiver Widerstand im Alltag.
Einer der Widerständler war Karl Reinthaler, der - anders als manche seiner Eisenbahner-Kollegen im Ort - nicht den Kommunisten beitrat, sondern stets ein überzeugter Sozialdemokrat blieb. Er war politisch gar nicht im Widerstand organisiert, fiel aber durch Schwarzhören, Schmuggeln von Zeitungen oder das Verlassen des Saalfeldener Bahnhofsrestaurants bei Propagandareden auf. Er wurde schon 1939 bei der Gestapo aktenkundig, weil er den Einmarsch in Polen und die Bezeichnung der Polen als "Untermenschen" kritisiert hat. Ins Gefängnis brachte ihn aber, dass er eine Kioskbesitzerin finanziell unterstützte. Die Frau hatte ihren Laden schließen müssen, weil ihre Söhne als Kommunisten verhaftet worden waren.
Reinthaler wurde von der Wirtin des Bahnhofsrestaurants denunziert, 1942 von der Gestapo verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Im Zuchthaus musste er Zwangsarbeit verrichten. Erst mit Ende der NS-Herrschaft kam Reinthaler 1945 frei. Er litt aber sein Leben lang unter den Folgen der Haft, die auch seine spätere politische Karriere behinderten. Zwischen 1972 und 1979 war er dennoch SPÖ-Bürgermeister von Saalfelden und gab später als Zeitzeuge Interviews.
Ein Vierteljahrhundert nach dem Tod: Audiostationen holen Widerständler zurück
Ihm wird in Saalfelden nun mit dem Kunstprojekt "Der kürzeste Weg" von Rosa Andraschek und Simon Nagy gedacht. Fünf Audio-Stationen in der Stadt spielen ein Jahr lang kurze Auszüge aus dem vermutlich letzten Interview mit Reinthaler von Mitte der 1990er Jahre ab. In ihnen berichtet er über seine Erfahrungen während der NS-Zeit. Kurze Passagen werden dabei mit größeren Themen verknüpft, etwa die Rolle der Eisenbahnen im NS-System, Formen des Widerstands, Denunziation und Beteiligung der Bevölkerung am Terror, Saalfelden während der NS-Zeit und nach der Befreiung. Sobald der Bewegungsmelder einer Station ausgelöst wird, erklingt Reinthalers Erzählung. Sie wird abgespielt, solange jemand vor der Station steht.
Titelgebend war die Aufforderung der Gestapo bei Reinthalers Verhaftung, vom Heizhaus in den Ort den "kürzesten Weg" zu gehen. Eine sechste Audiostation erinnert an zehn weitere Widerstandskämpfer aus Saalfelden, vor allem kommunistische Eisenbahner, die 1942 gemeinsam mit Reinthaler verhaftet wurden oder später in Haft kamen.
Langzeitprojekt im Auftrag des Landes
"Orte des Gedenkens" thematisiert sechs Jahre lang im Auftrag des Landes anhand von Einzelschicksalen unterschiedliche Aspekte des Widerstands in Salzburg. Nach dem christlich-sozialen (Flachgau) und kommunistischen Widerstand (Tennengau) stand bisher die Unterstützung von Deserteuren (Pongau) im Fokus. Das Projekt leistet neben der historischen Aufarbeitung und künstlerischen Intervention auch Vermittlungsarbeit: In Saalfelden werden ein Jahr lang Diskussionsabende, Vorträge und Workshops zum Thema veranstaltet.
(S E R V I C E: www.ortedesgedenkens.at)
Zusammenfassung
- In Saalfelden wurde der vierte Salzburger 'Ort des Gedenkens' eröffnet, der ein Jahr lang den NS-Widerstand der Eisenbahner und insbesondere das Schicksal von Karl Reinthaler (1913-2000) in den Mittelpunkt rückt.
- Das Kunstprojekt 'Der kürzeste Weg' umfasst fünf Audiostationen mit Auszügen aus Reinthalers letztem Interview sowie eine sechste Station, die an zehn weitere verfolgte Eisenbahner erinnert.
- Das vom Land Salzburg initiierte Langzeitprojekt setzt bis 2027 jährlich ein temporäres Kunstprojekt in jedem der sechs Bezirke um und begleitet dies in Saalfelden mit Diskussionsabenden, Vorträgen und Workshops.