APA/APA/AFP/POOL/OLIVIER DOULIERY

G20-Außenministertreffen ohne gemeinsame Erklärung

0

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird immer mehr zur Belastungsprobe für die Zusammenarbeit in der G20-Gruppe. Russland einerseits und Vertreter westlicher Staaten andererseits warfen einander beim Außenminister-Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in Neu-Delhi am Donnerstag vor, das Format für ihre Zwecke zu kapern. Trotz eines Appells des indischen Premiers Narendra Modi zur Einigkeit endete das Treffen ohne gemeinsame Abschlusserklärung.

Stattdessen veröffentlichte das Vorsitzland Indien am Donnerstag eine eigene Zusammenfassung der Beratungen. Die meisten Staaten verurteilten demnach den russischen Angriffskrieg erneut aufs Schärfste und forderten einen bedingungslosen Abzug von ukrainischem Territorium. Den entsprechenden zwei Paragrafen stimmten die Außenminister Russlands und Chinas, Sergej Lawrow und Qin Gang, nicht zu. Auch beim Treffen der G20-Finanzminister vergangene Woche hatte es kein gemeinsames Statement und abweichende Haltungen von Russland und China gegeben.

Angesichts "sehr polarisierter Ansichten einiger Länder" habe man keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande gebracht, sagte Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar zum Abschluss des Treffens vor Journalisten. Er betonte, Indien habe sich sehr um eine Kompromissfindung bemüht. Weiter sagte Jaishankar, die Minister hätten sich bei vielen Themen einigen können - etwa bei der Notwendigkeit für Reformen, beim Multilateralismus, der Lebensmittelsicherheit, der globalen Gesundheit und dem Klimawandel. Auch bei früheren G20-Außenminister-Treffen habe es noch nie eine gemeinsame Erklärung gegeben.

Am Rande des Treffens sprachen US-Außenminister Antony Blinken und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow übereinstimmenden Berichten zufolge kurz miteinander. Das Gespräch zwischen den beiden habe weniger als zehn Minuten gedauert, sagte ein ranghoher Vertreter des US-Außenministeriums. Blinken habe dabei betont, dass die USA darauf eingestellt seien, die Ukraine so lange wie nötig dabei zu unterstützen, sich zu verteidigen. Russische Staatsmedien melden unter Berufung auf das Außenministerium in Moskau ebenfalls, dass es zu dem Gespräch gekommen sei. Lawrow habe dies im Vorbeigehen geführt. Es habe sich weder um Verhandlungen, noch um ein Treffen gehandelt.

Es war das erste persönliche Zweiergespräch zwischen Blinken und Lawrow seit Russlands Einmarsch in die Ukraine vor mehr als einem Jahr. Laut der US-Zeitung "New York Times" sagte Blinken seinem russischen Kollegen, dass die Vereinigten Staaten die angegriffene Ukraine weiter unterstützten, dass Russland den kürzlich von Kremlchef Wladimir Putin ausgesetzten Abrüstungsvertrag "New Start" wieder aufnehmen solle und dass Russland den inhaftierten US-Bürger Paul Whelan freilassen solle.

Beim G20-Treffen warf Blinken warf Russland vor, die G20 mit seinem "ungerechtfertigten Krieg" zu beschädigen. Es sei dennoch wichtig, dass die Gruppe globale Herausforderungen annehme. "Das ist das, was die Welt braucht und was sie erwartet", sagte Blinken. Er forderte Russland zur Verlängerung des von der UNO ausgehandelten Abkommens zum Export von ukrainischem Getreide auf. Blinken warf Russland vor, sein Inspektionstempo bei Schiffen für den Getreideexport "absichtlich und systematisch" verlangsamt zu haben. Dies habe einen Rückstau von Schiffen verursacht, "die heute Lebensmittel in die Welt liefern könnten". Das Abkommen zum Export von ukrainischem Getreide läuft am 18. März aus.

Lawrow sagte dagegen: "Einige westliche Delegationen haben die Arbeit an der G20-Agenda zu einer Farce gemacht, da sie die Verantwortung für ihr wirtschaftliches Versagen auf die Russische Föderation abwälzen wollen." Damit spielte Lawrow vor allem auf die westlichen Sanktionen gegen sein Land wegen des Krieges an, die auch dazu führten, die globale Nahrungsmittelkrise zu verschärfen. "Der Westen baut Hürden auf für die Exporte von landwirtschaftlichen Produkten der Russischen Föderation." Der Westen untergrabe damit auch das Abkommen zur Ausfuhr von Getreide über das Schwarze Meer.

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock warf Russland vor, die anderen 19 Staaten davon abzuhalten, sich auf das zu konzentrieren, wofür die G20 gegründet worden sei: Klimaschutz, Nahrungsmittelsicherheit, Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Stattdessen müsse sich die Staatengruppe mit dem "brutalen Bruch des Multilateralismus, dem brutalen Bruch der UN-Charta, mit dem brutalen russischen Krieg" befassen, "einem Krieg gegen unsere Familie, gegen unsere Zukunft", sagte Baerbock nach Angaben aus deutschen Delegationskreisen.

"Es ist gut, dass Sie hier im Saal sind, um zuzuhören", so Baerbock zu dem russischen Minister. Beim G20-Treffen im vergangenen Jahr hatte Lawrow die Runde der Außenminister verlassen, damit er sich keine Kritik anhören musste. Offensichtlich habe man auch auf russischer Seite erkannt, "dass allein falsche Behauptungen, man hätte diesen Krieg gar nicht angefangen", nicht verfingen, sagte Baerbock. "Und dass es keine gute Strategie ist, irgendwo hinzukommen (...), seine falschen Narrative abzufeuern und dann wieder zu gehen." Sie forderte Lawrow auf: "Beenden Sie diesen Krieg, beenden Sie die Verletzung der internationalen Ordnung."

Gastgeberland Indien nimmt in Bezug auf den russischen Angriffskrieg eine neutrale Haltung ein und hat gute Beziehungen zu westlichen Ländern und zu Moskau. Man solle sich nicht auf Angelegenheiten konzentrieren, die man zusammen nicht lösen könne - sondern auf solche, die man lösen könne, sagte Gastgeber Modi zu Beginn des Außenministertreffens. Die Minister sollten sich etwa um Herausforderungen wie Wachstum, Entwicklung, Katastrophenresilienz, finanzielle Stabilität, grenzüberschreitende Kriminalität sowie Lebensmittel- und Energiesicherheit kümmern, schlug Modi in seiner Videoansprache vor. Solche Themen betreffen auch besonders den Globalen Süden, um den sich Indien bei seiner G20-Präsidentschaft dieses Jahr kümmern möchte. Modi sprach aber auch "geopolitische Spannungen" an, bei denen die Anwesenden verschiedene Ansichten hätten.

ribbon Zusammenfassung
  • Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird immer mehr zur Belastungsprobe für die Zusammenarbeit in der G20-Gruppe.
  • Russland einerseits und Vertreter westlicher Staaten andererseits warfen einander beim Außenminister-Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in Neu-Delhi am Donnerstag vor, das Format für ihre Zwecke zu kapern.
  • "Das ist das, was die Welt braucht und was sie erwartet", sagte Blinken.

Mehr aus Politik