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EU-Wahl - Rackete: Transformation erfordert Umverteilung

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"Wenn wir die Transformation unserer Gesellschaft schaffen wollen, muss sie mit klarer Umverteilung verbunden sein", betonte die Spitzenkandidatin der deutschen Linken für das EU-Parlament, Carola Rackete, im Interview mit der APA. Sie begreife sich sehr stark als Europäerin, da sie in vier europäischen Ländern gelebt und gearbeitet habe. Sie kandidiere für das EU- und nicht das deutsche Parlament, da sie in Brüssel ein "Demokratiedezifit" und "viel Verbesserungsbedarf" sehe.

Die Aktivistin war im Sommer 2019 bekannt geworden, als sie als Kapitänin der Sea-Watch 3 aus Libyen kommende Flüchtende gegen den Willen der italienischen Behörden nach Lampedusa rettete. "Ja, ich werde noch gelegentlich darauf angesprochen", sagt sie. Sie sei eigentlich Ökologin, und habe viel im Polargebiet auf Schiffen und in Forschungsprojekten mitgearbeitet. "Wichtig ist, dass wir nicht denken, es gibt Leute, die sich für soziale und humanitäre Themen einsetzen, und andere für die Natur, weil das ja extrem verknüpft ist", betont sie. "Soziales und Ökologisches gehört zusammen."

"Wir müssen unsere Wirtschaft umstellen, innerhalb planetarer Grenzen verbrauchen und das, was wir haben, gerecht verteilen. Das wird in unserem wachstumsbasierten Wirtschaftssystem nicht funktionieren, diese Analyse teile ich mit der Linken", sagt sie auf die Frage, warum sie nicht beispielsweise für die Grünen kandidiert. Der geplante Strukturwandel der Wirtschaft und die Energiewende müssten "damit einhergehen, dass wir wieder mehr kommunalisieren und beispielsweise die Energieproduktion in Bürgerhand bringen, anstatt sie großen Konzernen zu überlassen".

Die Deutsche kritisiert die "ungerechte Verteilung von Vermögen" und: "Naturkatastrophen kosten viel Geld, treiben aber auch durch Ernteausfälle die Lebensmittelpreise in die Höhe." Auf europäischer Ebene fordert sie eine Finanztransaktionssteuer sowie eine vollkommen andere Agrarpolitik mit einem "Ende der Flächenprämien und einer gezielten Förderung von ökologischen und sozialen Maßnahmen". Sie findet es grundsätzlich "richtig", dass sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für den Klimaschutz einsetzt, aber "ich wünschte, sie würde mehr tun, und sich vor allem stärker auf soziale Gerechtigkeit und Umverteilung fokussieren."

Auf der "progressiven Seite" gebe es im Europaparlament durchaus "Verständnis, dass wir eine Umverteilung brauchen", denkt sie. Rackete sieht eine "große Gefahr, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Bedeutung dieser Wahl nicht sehen. Wenn wir Mehrheiten erreichen wollen, dann müssen wir die Wählenden mobilisieren, zur Wahl zu gehen." Derzeit sieht sie einen großen Einfluss großer Konzerne auf die EU-Institutionen: "Die Konzerne investieren viel Geld, um Mitarbeiter nach Brüssel zu schicken. Es gibt 25.000 Lobbyisten in Brüssel."

Aktuell bestehe die Gefahr, dass rechte und konservative Parteien eine Mehrheit bekommen: "Dann steht die Politik im Interesse der Konzerne, das bedeutet keine Klimaschutzmaßnahmen, Menschen mit geringen Einkommen werden weiter abgehängt und die Menschenrechte - ob nun an den Außengrenzen oder in der EU - weiter beschnitten. Ich denke, dass es in dieser Situation extrem wichtig ist, sich öffentlich dem Rechtsruck entgegenzustellen und sich für die Demokratie einzusetzen", fordert Rackete die Menschen auf, "sich gemeinsam dagegen zu engagieren".

Ein anderes demokratiepolitisches Problem sei, dass im EU-Rat der Mitgliedstaaten ein einziges Land den Gesetzgebungsprozess blockieren könne: Häufig sei es Ungarn, aber auch Deutschland blockierte zuletzt "wegen Eskapaden der FDP" Gesetze, die schon fast beschlossen waren. Die Ökologin nennt als Beispiele das Verbrenner-Aus oder das Lieferkettengesetz. "Die gesamte europäische Politik kann von einem Land blockiert werden, das ist nicht im Sinne der Menschen in Europa."

(Das Gespräch führte Franziska Annerl/APA.)

ribbon Zusammenfassung
  • Carola Rackete, Spitzenkandidatin der Linken für das EU-Parlament, fordert eine Umverteilung zur Transformation der Gesellschaft und betont die Verknüpfung von sozialen und ökologischen Themen.
  • Sie kritisiert die Macht großer Konzerne und die Gefahr einer rechtskonservativen Mehrheit in der EU, die Klimaschutzmaßnahmen und soziale Gerechtigkeit gefährdet.
  • Rackete sieht in der Blockademöglichkeit einzelner EU-Staaten im Gesetzgebungsprozess ein demokratiepolitisches Problem und fordert eine neue Agrarpolitik sowie eine Finanztransaktionssteuer.