APA/APA (AFP)/JOHN THYS

EU-Marathongipfel zum Aufbau-Fonds in kritischer Phase

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Nach drei Tagen zäher Verhandlungen ist der EU-Sondergipfel am Sonntagabend in die Zielgerade eingebogen. Bei einer Plenarsitzung unterstützten Diplomatenangaben zufolge 22 der 27 Mitgliedsstaaten einen Kompromissvorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel zum billionenschweren Finanzpaket, doch stemmte sich eine kleine Nettozahlergruppe rund um Österreich dagegen.

Nach drei Tagen zäher Verhandlungen ist der EU-Sondergipfel am Sonntagabend in die Zielgerade eingebogen. Bei einer Plenarsitzung unterstützten Diplomatenangaben zufolge 22 der 27 Mitgliedsstaaten einen Kompromissvorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel zum billionenschweren Finanzpaket, doch stemmte sich eine kleine Nettozahlergruppe rund um Österreich dagegen.

Gestritten wurde über die Dotierung des EU-Aufbaufonds, der nach dem Willen der EU-Kommission und der großen Mitgliedsstaaten zu 500 Milliarden Euro aus Zuschüssen und 250 Milliarden Euro aus Krediten bestehen soll. Nachdem Michel den "Sparsamen Vier" (Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden) schon am Samstag mit einem Kompromissvorschlag entgegen gekommen war, lotete er am Sonntag eine weitere Senkung der Zuschüsse auf 400 Milliarden Euro aus, wie Diplomaten bestätigten.

Die um Finnland erweiterte Allianz der "Sparsamen" hatte nur 350 Milliarden Euro geboten und dies am Sonntagabend als "letztes Angebot" formuliert. Die Gruppe forderte auch ein geringeres Volumen für den Aufbaufonds, nämlich 700 Milliarden statt 750 Milliarden Euro.

Offen war auch die Frage der Budgetrabatte. Nach bisher unbestätigten Angaben der Nachrichtenagentur ANSA bot Michel fünf Ländern Rabatte im Umfang von 25 Milliarden Euro für das siebenjährige EU-Budget von 2021 bis 2027. Rabatte sollten nach bisherigem Stand Deutschland, die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark erhalten. Für Österreich sah er eine vorteilhaftere Lösung bei den Geldern für ländliche Entwicklung vor.

Nach übereinstimmenden Berichten von Diplomaten hatte Michel für seinen Kompromissvorschlag die Unterstützung von 22 Mitgliedsstaaten. Wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete, hätten diese während des Abendessens Druck auf die fünf "Sparsamen" gemacht, doch nicht immer mehr zu fordern und dem Ernst der Situation gerecht zu werden.

Auch Michel redete den Staats- und Regierungschefs ins Gewissen. In seinem von Medien kolportierten Redebeitrag verwies er auf die zahlreichen Kompromissangebote und Zugeständnisse, die er gemacht habe. Wegen der beispiellosen Krise sei aber eine Einigung erforderlich. Michel verwies auch auf das negative Medienecho, wenn der Gipfel scheitern sollte. "Mein Wunsch ist es, dass wir eine Einigung erzielen, und dass die FT ("Financial Times") und andere Zeitungen morgen titeln, dass die EU erfolgreich eine "Mission Impossible" gemeistert hat."

Umstritten war auch die Frage des Rechtsstaatsmechanismus. Auch hier drängten die fünf Nettozahlerländer darauf, die Kriterien nicht aufzuweichen. Die Fronten in dieser Frage seien "verhärtet", sagte ein Diplomat am Sonntagabend. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuvor betont, dass man keinen "faulen Kompromiss" zustimmen werde. Er äußerte sich, nachdem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ein nationales Vetorecht in dieser Frage vorgeschlagen hatte. Dies hätte den Mechanismus ad absurdum geführt, weil ein Mitgliedsstaat EU-Gelder nur verlöre, wenn er sich auch selbst Rechtsstaatsverletzungen attestierte.

Bei den Gipfelteilnehmern waren am Sonntag die Nerven zunehmend blank gelegen. So rüffelte der italienische Premier Giuseppe Conte laut einem Diplomaten seinen niederländischen Amtskollegen Mark Rutte wegen dessen harter Haltung. "Du bist vielleicht ein Held in deiner Heimat für ein paar Tage, aber nach ein paar Wochen wirst du vor allen europäischen Bürgern dafür verantwortlich gemacht werden, dass du eine angemessene und effiziente europäische Antwort blockiert hast", sagte Conte nach Angaben des italienischen Diplomaten bei einem der zahlreichen Kleingruppentreffen im Laufe des Tages. Michel hatte den eigentlich bis Samstag angesetzten Gipfel in den Sonntag verlängern lassen. In großer Runde ließ er die Staats- und Regierungschefs aber erst nach 19 Uhr zum Abendessen zusammenkommen.

Der slowenische Ministerpräsident Janez Janša twitterte während des Abendessens der Staats- und Regierungschefs offenbar aus Frustration über die Haltung der Nettozahlerländer ein Balkendiagramm, das zeigte, um wie viel der Nutzen des Binnenmarktes die jeweiligen EU-Beitragszahlungen übersteige. "Die EU wurde auf der Annahme errichtet, dass man einander vertrauen kann, in gutem Glauben zusammenzuarbeiten. Wegen dieses Vertrauens haben die Länder ihre Grenzen und Märkte geöffnet und einen Binnenmarkt geschaffen. Sein Nutzen übersteigt bei weitem die Kosten, die durch Beiträge zum Mehrjährigen Finanzrahmen entstehen", schrieb Janša.

Unterdessen bereiteten einflussreiche EU-Politiker die Öffentlichkeit auf ein Scheitern des Gipfels vor. So sagte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz am Sonntagabend im ZDF, dass auch die EU-Finanzminister beim ersten Corona-Hilfspaket zwei Anläufe gebraucht hätten. "Man darf sich nicht Bange machen lassen", sagte er. EZB-Präsidentin Christine Lagarde ließ ebenfalls eine Präferenz für eine Vertagung erkennen. "Aus meiner Sicht ist es besser, sich auf ein ambitioniertes Paket entlang dieser Linien zu verständigen, auch wenn es etwas mehr Zeit braucht", sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach drei Tagen zäher Verhandlungen ist der EU-Sondergipfel am Sonntagabend in die Zielgerade eingebogen.
  • Die Fronten in dieser Frage seien "verhärtet", sagte ein Diplomat am Sonntagabend.

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