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EU-Gipfel sucht Lösung zur Nutzung russischer Vermögen

Heute, 07:23 · Lesedauer 7 min

Die EU-Staats- und Regierungschefs sind am Donnerstag in Brüssel zu einem Gipfel zusammengekommen, der als entscheidend für die Zukunft der Ukraine, aber auch der EU selbst gilt. Dominiert wird das Treffen von der Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögen für die Ukraine, die dringend Geld braucht. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) zeigte sich zuversichtlich, dass ein Ergebnis gelingen wird. Die EU-Spitzen drohen mit einem Endlosgipfel.

Die russische Zentralbank will europäische Banken vor einem russischen Gericht verklagen. Grund seien die Versuche, eingefrorene russische Vermögenswerte zur Finanzierung der Ukraine zu verwenden, wie die Notenbank in Moskau mitteilte.

Entwurf: EU-Gipfel soll Nutzung russischer Vermögen vorbereiten

In einem Entwurf für die Schlussfolgerungen des EU-Gipfels wird der Auftrag erwähnt, dringend Instrumente zur Einrichtung eines Reparationsdarlehens für die Ukraine auf der Grundlage eingefrorener russischer Guthaben auszuarbeiten. Damit solle die notwendige finanzielle Unterstützung für Kiew ab dem zweiten Quartal 2026 gesichert werden. "Diese Vermögenswerte bleiben von der EU eingefroren, bis die Bedingungen für die Aufhebung des Einfrierens erfüllt sind", heißt es in dem Entwurf. Zudem wird festgehalten, dass sich alle Finanzinstitute in der EU, die Barguthaben an russischem Staatsvermögen halten, an der Bereitstellung des Geldes beteiligen sollten. Damit es sich nicht um eine Enteignung handelt, sollten EU-Anleihen hinterlegt werden. Das Risiko müsse von allen EU-Staaten übernommen werden, die zudem nationale Garantien für die Kredite an die Ukraine bereitstellen sollen, heißt es weiter. Allerdings sind diese Passagen im Entwurf der Gipfel-Erklärung noch als strittig gezeichnet, können sich also noch ändern.

Von der Leyen und Costa drohen mit Endlos-Gipfel

"Wir werden den Europäischen Rat nicht verlassen, ohne eine Lösung für die Finanzierung der Ukraine für die nächsten zwei Jahre gefunden zu haben", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor Beginn der Beratungen. Sie schloss sich damit den Worten von EU-Ratspräsident António Costa an. Dieser leitet die Sitzungen und bereitet sie inhaltlich vor.

De Wever: Belgien kann Risiko nicht allein tragen

Belgiens Regierungschef Bart De Wever hat vor dem EU-Gipfel am Donnerstag seine Forderung nach mehr Rückendeckung für die mögliche Nutzung in Belgien eingefrorener russischer Vermögenswerte für die Ukraine bekräftigt. Sein Land könne "das Risiko und die Verantwortung nicht alleine tragen", sagte De Wever am Donnerstagfrüh im belgischen Parlament. Die Vorschläge ändern sich seinen Angaben zufolge stetig. "Ich habe bisher noch keine Vorlage gesehen, der Belgien zustimmen könnte", sagte er.

Stocker will Belgien nicht überstimmen

Es gehe nicht darum, ob sondern "wie wir die Ukraine unterstützen wollen", sagte Stocker bei seinem Eintreffen ins EU-Ratsgebäude. "Gegen Belgien sollte eine solche Entscheidung nicht getroffen werden", sagte der Kanzler. Andererseits dürfe auch nicht die Raiffeisen Bank International (RBI) benachteiligt werden, wenn eingefrorene russische Gelder zur Unterstützung der Ukraine verwendet würden, so Stocker. Hintergrund ist die Forderung der RBI, dass sanktionsrechtlich eingefrorene Aktien des österreichischen Baukonzerns Strabag im Wert von rund zwei Milliarden Euro, die derzeit im Besitz der russischen Firma Rasperia stehen, freigegeben werden sollen, damit sie an Raiffeisen übertragen werden können.

Merz: Sehe keine bessere Option

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz hält eine Einigung der EU-Staaten zur Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte für möglich. "Mein Eindruck ist, dass wir zu einem Ergebnis kommen können", sagte Merz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Er plädierte dafür, die eingefrorenen Gelder zu nutzen. "Ich sehe keine bessere Option", fügte Merz hinzu. Er verstehe die Bedenken einiger Mitgliedstaaten, insbesondere der belgischen Regierung. Er hoffe jedoch, dass diese gemeinsam ausgeräumt werden könnten.

Tusk: Entweder heute Geld oder morgen Blut

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk rief die Europäer mit eindringlichen Worten auf, die Nutzung russischer Vermögen zu beschließen: "Wir haben jetzt eine einfache Wahl: Entweder Geld heute oder Blut morgen." Dabei gehe es nicht nur um die Ukraine, sondern um Europa, warnte Tusk indirekt vor der Gefahr eines Kriegs mit Russland.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die in Brüssel versammelten EU-Staats-und Regierungschefs zu einer Zustimmung zur Nutzung der in Europa eingefrorenen russischen Vermögenswerte auf. Er hoffe, dass beim EU-Gipfel "eine positive Entscheidung" getroffen werde, sagte Selenskyj am Donnerstag vor seiner Abreise nach Brüssel. Sollte keine Einigung erzielt werden, wäre dies "ein großes Problem für die Ukraine".

Kallas rechnet nach eigenen Angaben damit, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf einen Kompromiss einigen werden. Bei 27 Demokratien mit verschiedenen politischen Ausgangslagen werde dies zwar nicht leicht, man habe aber schon in vielen schwierigen Situationen einen Ausweg gefunden, sagte Kallas im Deutschlandfunk. Kallas in der möglichen Nutzung russischen Vermögens kein besonders großes rechtliches Risiko für die Staatengemeinschaft.

Großteil des Vermögens in Belgien

Auch nach wochenlangen Verhandlungen zeichnete sich bisher keine Lösung ab. Immer noch ist Belgien, wo ein Großteil der russischen Vermögen bei Euroclear lagert, nicht überzeugt. EU-Ratspräsident Antonio Costa, der bisher die Gipfeltreffen auf einen Tag gestrafft hatte, kündigte bereits an, die Staatschefs im Notfall "tagelang verhandeln" zu lassen.

Rund 210 Milliarden Euro an eingefrorenem russischem Staatsvermögen liegen in der EU, der Großteil davon in Belgien. Das Land mittels Mehrheitsentscheidung zu überstimmen, gilt als keine gute Option. Denn die von allen akzeptierten Bedenken eines EU-Landes, das viele EU-Institutionen beheimatet, zu übergehen, könnte die EU in eine tiefe Krise stürzen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nimmt persönlich am Gipfel teil.

Orbán und Fico gegen russische Gelder für Ukraine

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kündigte an, sich grundsätzlich gegen weitere Finanzhilfen für die von Russland angegriffene Ukraine zu stellen. "Geld zu geben, bedeutet Krieg", sagte der rechtsnationale Politiker, der weiter enge Kontakte nach Moskau pflegt. Er wolle keine EU im Krieg sehen.

Zu dem Plan für die Nutzung von in der EU eingefrorenen Vermögenswerten Russlands für die Ukraine sagte Orban, er glaube, die Sache sei erledigt, weil es auf Spitzenebene keine ausreichende Unterstützung gebe. Die Idee, jemandem das Geld wegzunehmen, sei dumm. Wenn die EU das täte, würde sie zu einer der Kriegsparteien werden, warnte er. "Das ist ein Marschieren in den Krieg." Den Verdacht, im Interesse Moskaus zu handeln, wies Orban zurück. "Ich arbeite nur für den Frieden", sagte er.

Vor dem Gipfel kündigte am Mittwoch auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico nach Angaben der Nachrichtenagentur TASR an, dass er keine Maßnahmen unterstützen werde, die zu einer weiteren Unterstützung des Krieges in der Ukraine führen, einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte. "Ich lehne es grundsätzlich ab, morgen irgendetwas zu unterstützen, das zu Geld für den Krieg führen würde", sagte Fico. Er würde die Verwendung der eingefrorenen Vermögenswerte nur für ein Abkommen über den Wiederaufbau der Ukraine unterstützen.

Ziel sei es, der Ukraine zu ermöglichen, weiterhin sicher zu bleiben und sich gegen die russische Invasion zu verteidigen, betonte indes der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Jede Vereinbarung müsse rechtlich und fiskalisch abgesichert sein. Zugleich müsse gewährleistet werden, dass bei der Rüstungsbeschaffung auch die spezifischen nationalen Prioritäten der EU-Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. "Wir dürfen Brüssel nicht verlassen, ohne eine rechtlich einwandfreie Lösung gefunden zu haben, die bestehende Probleme behebt", sagte Mitsotakis.

Zusammenfassung
  • Rund 210 Milliarden Euro an eingefrorenem russischem Staatsvermögen liegen in der EU, der Großteil davon in Belgien.
  • Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten in Brüssel über die Nutzung dieser Gelder zur Finanzierung der Ukraine, wobei ein Reparationsdarlehen ab dem zweiten Quartal 2026 geplant ist.
  • Belgien fordert mehr Rückendeckung, da es das Risiko und die Verantwortung nicht allein tragen will, während Ungarn und die Slowakei grundsätzlich gegen die Nutzung der Gelder sind.
  • EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa drängen auf eine Einigung und schließen einen Endlos-Gipfel nicht aus.
  • Polens Ministerpräsident Donald Tusk warnt: "Wir haben jetzt eine einfache Wahl: Entweder Geld heute oder Blut morgen."