APA/HERBERT NEUBAUER

Deutschland widerspricht Kurz bei Impfstoff-Verteilung

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Deutschland ist der Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der unterschiedlichen Impfstoff-Verteilung in der EU entgegengetreten.

Grund sei, dass EU-Staaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, so ein Regierungssprecher am Freitag in Berlin. In diesem Fall könnten andere Staaten diese Dosen aufkaufen. Kurz hatte von einem "Basar" gesprochen und die Vermutung von Nebenabsprachen mit Pharmafirmen geäußert. Auch Malta wies die Vorwürfe zurück.

"Es ist vereinbart, dass die Verteilung der Impfstoffkontingente zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich nach dem Bevölkerungsanteil erfolgt", sagte der deutsche Regierungssprecher auf Anfrage von Reuters. "Für den Fall, dass Mitgliedstaaten die ihn zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, wurde ein Verfahren etabliert, das anderen Mitgliedstaaten den 'Aufkauf' dieser nicht abgenommenen Dosen ermöglicht", fügte er hinzu. Auch dabei würden die Bestellungen nach demselben Verfahren verteilt. "Wenn ein Mitgliedstaat dabei keine Dosen bestellt, erhält er auch nichts." Ähnlich hatte sich zuvor auch die EU-Kommission geäußert.

Auch Malta weist Vorwürfe zurück

Auch Malta wies die Vorwürfe, sich heimlich mit Extra-Impfdosen gegen das Coronavirus versorgt zu haben, am Abend zurück. Gesundheitsminister Chris Fearne erklärte laut dpa am Freitag in der Hauptstadt Valletta, die Impfstoffe seien über den Mechanismus beschafft worden, dem alle EU-Mitgliedstaaten und auch die EU-Kommission zugestimmt hätten.

Kurz hatte konkret Malta erwähnt, das bisher die meisten Impfungen im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl verabreicht hat. Der Bundeskanzler warnte vor einer Spaltung der Union. Wenn nämlich Länder wie Bulgarien "mitansehen müssen, dass in Malta drei Mal so viele Impfdosen vorhanden sind, dann wird das zu Spannungen führen." Laut Kurz würden einzelne Länder wie Bulgarien, Lettland oder Kroatien, wenn sich der Trend fortsetze, erst im späten Sommer oder Herbst mit der Durchimpfung fertig sein. Andere könnten dagegen schon im Mai durch sein.

Kurz hatte in der Frage die Gesundheitsministerien in der Verantwortung gesehen. Die Kommissionspräsidentin, der Ratspräsident und alle Staats- und Regierungschefs hätten "immer gesagt, es wird gemeinsam beschafft und es wird pro Kopf verteilt", betonte Kurz am Freitagnachmittag in einer Videoschaltung zum Digitalkongress der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Trotz dieser Einigungen unter den Regierungschefs gab es eine andere Gruppe von Vertretern der Gesundheitsressorts quer durch Europa, und dort sind anscheinend geheime Liefervereinbarungen und Bestellabgaben getroffen worden", kritisierte er.

Kurz kritisierte wieder einmal die EU

Konkret hatte Kurz das sogenannte Steering Board der EU im Visier, in dem Österreich mit dem Spitzenbeamten Clemens Martin Auer hochrangig vertreten ist. Auer ist der stellvertretender Vorsitzender der EU-Steuerungsgruppe. Er war zunächst für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Kurz hatte in der Pressekonferenz auch Kritik daran geäußert, dass man nicht wisse, wer die Verträge unterschrieben habe und wie sie aussehen. Es sei schwierig, an Informationen heranzukommen, "da alle Mitglieder Geheimhaltungsvereinbarungen unterschrieben haben".

Die EU-Kommission räumte Abweichungen vom ursprünglich vereinbarten Bevölkerungsschlüssel ein. Die EU-Staaten könnten sich im Steering Board für mehr oder weniger Impfstoffe entscheiden. "In diesem Kontext ist ein neuer Verteilungsschlüssel möglich", sagte ein EU-Kommissionssprecher in Brüssel. Die EU-Kommission halte an ihrem Ziel fest, dass bis Ende des Sommers 70 Prozent der Erwachsenen in der EU geimpft seien, so ein Sprecher der EU-Behörde weiter.

So könnten die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie von Lieferungen ein "Opt-out" in Anspruch nehmen, sagte der Kommissionssprecher. Einige EU-Staaten hätten von dieser Option Gebrauch gemacht, hieß es weiter in Kommissionskreisen. Der Steuerungsausschuss mit Gesundheitsbeamten der Mitgliedstaaten sei wichtig bei der Umsetzung der Verträge. Entscheidungen in dem Board würden aber zwischen den EU-Staaten und der EU-Kommission gemeinsam vereinbart. Bei ihrem Gipfel im Jänner hatten die EU-Staats- und Regierungschef bekräftigt, dass Impfstoffe gleichzeitig und entsprechend dem jeweiligen Anteil an der Unionsbevölkerung verteilt werden sollten.

Pharmaindustrie: Verteilung Sache der EU

Die EU-weite Impfstoff-Verteilung ist Sache der EU, betonten auch der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) sowie der Österreichische Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) in einer Aussendung. Es gäbe keine Nebenabsprachen zwischen Herstellern und einzelnen Regierungen von EU-Mitgliedsstaaten.

Die EU habe mit den Herstellern von Covid-19-Impfstoffen Verträge abgeschlossen, sogenannte "Advanced Purchase Agreements", kurz APA's. "In diesen Verträgen sind die Gesamtmengen definiert, die die einzelnen Hersteller in die Europäische Union liefern. Wie diese Mengen dann innerhalb der EU verteilt werden, ist weder in diesen Verträgen geregelt noch liegt es in der Verantwortung der pharmazeutischen Unternehmen", erläuterte Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des ÖVIH.

Auch Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog erklärte: "Die Hersteller liefern das, was in den Verträgen vereinbart wurde. Sie sind nicht in die Entscheidungsprozesse seitens der EU eingebunden, wann welches Land mit welcher Menge beliefert werden soll. Ebenso wenig sind sie dafür verantwortlich, ob die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten auch die Mengen abrufen, die ihnen auf Basis des Bevölkerungsschlüssels zustehen."

Unterstützung von Bulgarien und Slowenien

Unterstützung für den Kanzler äußerten Bulgarien und Slowenien. "Mit Sebastian Kurz haben wir einen gemeinsamen Aufruf an die EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission für anhaltende Solidarität, um einen gleichberechtigten Zugang zu den knappen Ressourcen zu gewährleisten, die der Covid-19-Impfstoff derzeit darstellt", betonte der bulgarische Regierungschef Bojko Borissow auf Twitter. Der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa ergänzte: "Alle 450 Millionen Europäer müssen die Chance erhalten, bis zum Sommer zur Normalität zurückzukehren. Ungleichbehandlung ist völlig inakzeptabel."

Das Gesundheitsministerium unterstrich, dass das "Ziel in dieser entscheidenden Phase eine gerechte gleichberechtigte Aufteilung der Impfstoffe innerhalb der EU für die Sicherstellung einer gleichzeitigen Impftätigkeit sein muss". Dies sei das gemeinsame Bemühen des Gesundheitsministeriums und des Bundeskanzleramtes.

Bei den Oppositionsparteien sorgten die Vorwürfe von Kurz für heftige Kritik. Der Kanzler versuche "auf unwürdige Art und Weise, Sündenböcke für sein Versagen zu finden", meinte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kritisierte, dass Österreich "womöglich" selbst Impfstoff ausgeschlagen habe.

Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte auf Twitter: "Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der 'Impfstoff Benachteiligung Österreichs' Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des 'Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses' hinaus?".

ribbon Zusammenfassung
  • Deutschland ist der Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der unterschiedlichen Impfstoff-Verteilung in der EU entgegengetreten.
  • Grund sei, dass EU-Staaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, so ein Regierungssprecher am Freitag in Berlin.
  • Ähnlich hatte sich zuvor auch die EU-Kommission geäußert.
  • Entscheidungen in dem Board würden aber zwischen den EU-Staaten und der EU-Kommission gemeinsam vereinbart.

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