APA/APA/dpa/Bernd von Jutrczenka

Botschafter: Kasachstan will im Ukraine-Konflikt vermitteln

0

Kasachstan bietet sich angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine weiter als Vermittler zwischen Moskau und Kiew an. Schon im Eigeninteresse wolle sein Land bald "zu einem normalen Leben ohne Krieg" zurückkehren, sagte der neue kasachische Botschafter in Österreich, Alibek Bakajew, am Freitag in Wien. Kasachstan habe in der jüngeren Vergangenheit in anderen Konflikten vermittelt, verwies Bakajew auf entsprechende Initiativen bezüglich Syrien oder Berg-Karabach.

Nach einer dreijährigen Tätigkeit als Chef an der für die Schweiz, Liechtenstein und den Heiligen Stuhl zuständigen kasachischen Botschaft in Bern, weilt der 42-jährige Karrierediplomat seit rund drei Wochen als Missionschef in Wien, sein Beglaubigungsschreiben hat er aber bisher noch nicht an Bundespräsident Alexander Van der Bellen übergeben.

In der kasachischen Hauptstadt Astana, die bis vor Kurzem Nur-Sultan hieß, hätten bereits 17 "Runde Tische" zwischen Vertretern der syrischen Regierung sowie der Opposition stattgefunden, erinnerte Bakajew am Freitag in einem Pressegespräch mit Vertretern der "Vereinigung der Europajournalistinnen und -journalisten" (AEJ). Zudem habe Kasachstan mehrmals im Berg-Karabach-Disput zwischen Armenien und Aserbaidschan vermittelt und auch Gespräche zwischen Russland und der Türkei organisiert, nachdem die türkische Luftwaffe im November 2015 einen russischen Kampfjet vom Typ SU-24 an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossen hatte. Die Maschine verletzte Ankara zufolge trotz Warnungen den türkischen Luftraum. Die russische Regierung erklärte dagegen, das Flugzeug habe sich ausschließlich im syrischen Luftraum aufgehalten.

Zum aktuellen Ukraine-Konflikt hielt der Diplomat die aktuelle Position Kasachstans fest: "Wir versuchen, in der Mitte und neutral zu beiden Seiten zu sein, und gehen davon aus, dass wir in dieser Situation behilflich sein können." Das Angebot erfolge durchaus auch aus "Eigeninteresse", meinte der Botschafter. "Beide Länder sind wichtige politische und wirtschaftliche Partner", so Bakajew. Russland sei etwa die Nummer eins beim bilateralen Import und Export von Rohstoffen. "Kasachstan steht auch deshalb in der Mitte, weil wir an unsere eigene Zukunft denken müssen."

Der am vergangenen Wochenende mit einer großen Mehrheit von über 80 Prozent wiedergewählte Präsident Kassym-Schomart Tokajew stehe sowohl mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin als auch seinem ukrainischem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj in regelmäßigem Kontakt, betonte Bakajew. Für kommenden Montag ist auch ein persönliches Treffen zwischen Tokajew und Putin in Moskau geplant. Die traditionell eher pro-russische kasachische Führung versucht laut internationalen Beobachtern seit Beginn des Ukraine-Kriegs einen Balanceakt, um es sich mit dem wirtschaftlich wichtigen Westen nicht zu verscherzen. Schließlich ist die EU laut Botschafter Bakajew Kasachstans wichtigster Wirtschaftspartner, noch vor China und Russland.

Allerdings baute Tokajew noch vor Kurzem auf die Unterstützung Moskaus. Im Jänner waren in Kasachstan Proteste gegen hohe Preise und soziale Ungerechtigkeit in einen beispiellosen Machtkampf umgeschlagen. Der Staatschef gab damals einen Schießbefehl gegen die Demonstranten, die er als "Terroristen" bezeichnete. Und er bat Putin um Hilfe des von Russland dominierten Militärbündnisses "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS). Die Soldaten sorgten für Ruhe - und zogen rasch wieder ab.

Russische Hardliner sind daher verärgert, dass Kasachstan Moskau die enge Gefolgschaft verweigert, die sie in Sachen Ukraine erwartet hatten. Botschafter Bakajew ist sich bewusst, dass es nicht zuletzt wegen der großen russischen Minderheit im Land auch Befürchtungen gibt, dass Russland seine militärischen Angriffe auch auf Kasachstan ausweiten könnte. "Es gibt diese Sorge in der Bevölkerung", sagte der Botschafter in dem AEJ-Gespräch. "Aber diplomatisch gesehen besteht keine Gefahr. Ich gehe davon aus, dass wir nichts zu befürchten haben."

Dass Kasachstan russischen Bürgern und Geschäftsleuten Möglichkeiten eröffne, die internationalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu umgehen, stellte Bakajew in Abrede. Mittlerweile sei es so, dass man "gewisse Voraussetzungen" erfüllen müsse, um in Kasachstan ein Bankkonto zu eröffnen. Natürlich gebe es russische Bürger mit Konten in Kasachstan, aber mittlerweile sei es nicht mehr so einfach, solche zu bekommen. Dazu seien schon belegbare Kontakte aus früheren geschäftlichen Beziehungen mit Kasachstan notwendig, so der Botschafter.

Die jüngsten Präsidentenwahlen verteidigte der Botschafter gegen Kritik. Über mögliche Fehler könne stets gesprochen werden, meinte er. Er wies aber eine generelle Kritik von ODIHR, dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), zurück, wonach bei der Wahl keine richtige Wettbewerbssituation geherrscht habe. Es habe zahlreiche Kandidatinnen und Kandidaten gegeben, führte er an, darunter auch Vertreter der Opposition. "Es gab auch die Möglichkeit, gegen alle Kandidaten zu stimmen". Immerhin hätten mehr als 500.000 Menschen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Politische Beobachter hatten auch bemängelt, dass die zeitliche Abfolge gewisser politischer Entscheidungen für Teile der weitläufig über das Land verstreuten Bevölkerung zu rasant gewesen sei. Mitte September war per Verfassungsänderung festgelegt worden, dass der Präsident des zentralasiatischen Landes künftig nur einmal für eine Dauer von sieben Jahren gewählt werden kann. Die Wahl fand dann am 10. November statt, bereits im Frühling 2023 soll es vorgezogene Parlamentswahlen geben. Bei diesen dürften aber auch neu gegründete Parteien zugelassen werden.

Kasachstan ist über 2,7 Millionen Quadratkilometer groß und hat knapp 19 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Das Land verfügt über große Mengen an Erdöl, Erdgas und Metallen und ist die größte Volkswirtschaft unter den fünf früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Kasachstan 1991 unabhängig. Präsident war bis 2019 der heute 81-jährige Nursultan Nasarbajew, der das Land mit harter Hand regierte. Er übergab die Macht an den von ihm ausgewählten heutigen Präsidenten Tokajew.

Kasachstan ist ein mehrheitlich muslimischer Staat, der im Westen am Kaspischen Meer liegt. Im Norden teilt er sich eine rund 7.000 Kilometer lange Grenze mit Russland. Im Südosten grenzt er über fast 1.800 Kilometer an China. Kasachstan ist auch Teil des chinesischen Großprojektes "Neue Seidenstraße". Damit befindet sich der riesige Binnenstaat Kasachstan - das neuntgrößte Land der Welt - mitten im geopolitischen Tauziehen zwischen Russland, China und dem Westen. Das Land hat eine historisch gewachsene, enge Verbindung zu Russland. Ethnische Russen machen knapp ein Fünftel der Bevölkerung aus.

ribbon Zusammenfassung
  • Kasachstan bietet sich angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine weiter als Vermittler zwischen Moskau und Kiew an.
  • Schon im Eigeninteresse wolle sein Land bald "zu einem normalen Leben ohne Krieg" zurückkehren, sagte der neue kasachische Botschafter in Österreich, Alibek Bakajew, am Freitag in Wien.
  • Schließlich ist die EU laut Botschafter Bakajew Kasachstans wichtigster Wirtschaftspartner, noch vor China und Russland.