APA/dpa/Daniel Bockwoldt

Amoklauf bei Hamburger Jehova-Gemeinde: Täter war Polizei bekannt

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Vor einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf eröffnete am Donnerstagabend ein 35-jähriges Ex-Mitglied das Feuer. Er stieg dann durch das Fenster ein und tötete sieben Menschen, dazu zählt die Polizei auch ein ungeborenes Mädchen. Die Mutter war im siebten Monat schwanger. Die Polizei war binnen Minuten vor Ort, der Täter flüchtete deshalb in den ersten Stock und wurde dort dann tot aufgefunden.

"Sieben Menschen" sind dem Amoklauf laut Hamburger Polizei zum Opfer gefallen, "acht weitere wurden zum Teil schwer verletzt". Der Täter tötete sich nach Einschreiten der Polizei selbst, sagte Innensenator Andy Grote am Freitag in einer Pressekonferenz. "Das ist das schlimmste Verbrechen der jüngeren Geschichte in unserer Stadt."

Täter brach während Messe ein

Der Täter wurde als Philipp F. identifiziert, ein früheres Gemeindemitglied der Zeugen Jehovas in Hamburg. Er eröffnete vor der Kirche der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf das Feuer. Erst schoss er auf ein Auto, zehn Kugeln trafen. Die Fahrerin ergriff die Flucht und wurde von den Schüssen leicht verletzt. Auch sie rief nach der Flucht die Polizei - eine von vielen. 

In der Kirche der Zeugen Jehovas fand zum Tatzeitpunkt ein öffentlicher Gottesdienst statt. Laut Wissensstand der Zeugen Jehovas befanden sich 36 Gemeindemitglieder vor Ort, 25 weitere waren digital zugeschaltet und wurden Zeugen der Tat. Sie seien schwer traumatisiert, sagte ein Mitglied der Zeugen Jehovas bei der Pressekonferenz. 

Spezialeinheit rein zufällig in der Nähe

Ab 21.04 Uhr gingen am Donnerstagabend bei der Polizei und der Feuerwehr 47 Notrufe ein, zum Teil aus der Kirche der Zeugen Jehovas. Laut Grote trafen die ersten Polizisten um 21.08 Uhr vor Ort ein, um 21.09 Uhr sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen. "Es war reiner Zufall", dass die Spezialeinheit sich nur drei Minuten vom Einsatzortes aufgehalten hatte, sagte der Innensenator. Sie wollten gerade Feierabend machen. Um 21.11 Uhr verschafften sich die Spezialkräfte Zugriff zum Gebäude. Sie schossen die Glastür auf, während drinnen noch geschossen wurde. "Wir können davon ausgehen, dass sie viele Leben gerettet haben." 

Augenzeuge Gregor Miesbach: "Hab gar nicht realisiert was passiert"

Die Beamten fanden in einem Saal dann bereits Personen am Boden liegend. Eine Person sahen sie in den ersten Stock laufen. Dort wurde der Mann - es handelte sich um den Täter - tot aufgefunden. Er hat sich laut Polizei selbst erschossen. 

Sieben Menschen getötet

Vier Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 33 und 60 Jahren starben beim Anschlag. Das siebente Opfer war ein ungeborenes Mädchen, dessen Mutter in der 28. Schwangerschaftswoche war. Sechs Frauen und zwei Männer wurden verletzt, mindestens vier davon durch "multiple Schusswunden" lebensbedrohlich. Der Amoktäter hatte mehr als 100 Mal geschossen, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit. "Alle Todesopfer sind deutscher Staatsangehörigkeit und starben jeweils durch Schusseinwirkung."

Anfangs bestand der Verdacht, dass es einen zweiten Täter geben könnte. Das hat sich nicht bewahrheitet. 

Täter Ex-Zeuge-Jehovas

Philipp F. habe vor eineinhalb Jahren die Zeugen Jehovas freiwillig, aber im Bösen, verlassen. Er lebte und arbeitete in Hamburg und war Sportschütze. Die halbautomatische Pistole mit der er das Feuer eröffnete, besaß er laut Polizeipräsident Ralf Martin Meyer seit 12. Dezember legal. Die Polizei fand beim Täter neun leere Magazine, zwei gefüllte trug er am Körper, 20 weitere in einem Rucksack bei sich. Weitere 200 Schuss und 15 geladene Magazine mit jeweils 15 Patronen wurden in seiner Wohnung gefunden. Laptops und Smartphones wurden sichergestellt. Sie werden nun ausgewertet. 

Anonymer Hinweis: Täter hatte Hass auf Zeugen Jehovas

Bei der Waffenbehörde ging nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Jänner ein anonymer Hinweis ein, dass der spätere Täter an einer psychischen, nicht diagnostizierten, Erkrankung leidet. F. habe sich jedoch nicht in ärztliche Behandlung begeben wollen. Der Mann habe eine "besondere Wut" gegen die Zeugen Jehovas und seinen früheren Arbeitgeber, sagte der Hinweisgeber der Polizei.

Polizei kontrollierte Täter im Februar in seiner Wohnung

Man sei dem Hinweis nachgegangen, am 7. Februar bekam F. Besuch von der Polizei. Die Vorwürfe erhärteten sich jedoch nicht, es hätte keine Rechtsgrundlage gegeben, weiter vorzugehen, so die Polizei.  

Es lagen keine Strafanzeigen gegen F. vor. Der Mann seinerseits hatte jedoch eine Firma in Bayern angezeigt. In diese Richtung werde nun weiter ermittelt. 

Amoklauf in Hamburg

Hamburgs Bürgermeister bestürzt

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich bestürzt über die Schüsse. "Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd", schrieb Tschentscher auf Twitter. "Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe." Tschentscher rief die Bürgerinnen und Bürger auf, die Hinweise der Polizei zu beachten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Angriff in einem Tweet als brutale Gewalttat bezeichnet. "Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen", postete er am Freitag über den Regierungsaccount auf Twitter. "Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben."

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zeigte sich entsetzt Sie sprach Freitagfrüh auf Twitter von einer "schockierenden Tat".

200.000 Zeugen Jehovas-Mitgliedern in Deutschland

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer" und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa. In Österreich gibt es laut ihrer Homepage etwas über 22.000 aktive Zeugen Jehovas.

ribbon Zusammenfassung
  • Vor einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg eröffnete am Donnerstagabend ein Mann das Feuer, stieg dann durch das Fenster ein, tötete sieben Personen und verletzte dutzende weitere.
  • Die Polizei war binnen Minuten vor Ort, der Täter flüchtete in den ersten Stock und wurde dort dann tot aufgefunden.

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