Aktivistin: "Österreich bequem für russische Ex-Beamte"

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Der Westen hat nach Ansicht der russischen Historikerin und Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa "in Russland zu lange weggeschaut, eigene, kurzsichtige Interessen verfolgt und Repressionen und Gewalt im Land ignoriert" - und tue es auch noch heute.

"Russische Dissident*innen sind schlecht für das Geschäft westlicher Firmen", sagte Scherbakowa. "Daran ändert auch der Krieg nichts, es wird immer noch weggeschaut, gerade auch in Österreich."

"Österreich bequem für russische Ex-Beamte"

Das gute Verhältnis Österreichs mit Russland führt Scherbakowa auf lange bestehende Kontakte zurück. "Dazu kommt, dass rechtspopulistische und nationalistische Strömungen in Österreich Putin natürlich in die Hände spielen, weil er diese ja weltweit fördern möchte. Österreich ist auch bequem für russische Exbeamte, die sich bereichert haben und einen sicheren Hafen suchen." Und auch die wirtschaftlichen Interessen an russischen Rohstoffen spielten eine Rolle, sagte Scherbakowa in einem Interview, das auf Website der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veröffentlicht wurde.

Die Historikerin ist auf Einladung der ÖAW in Wien und neben dem Osteuropa-Experten Philipp Ther eine der Keynote-Speaker der Konferenz "Krieg in der Ukraine und Vertreibung", die am 20. und 21. Juni 2022 auf dem Campus der Universität Wien stattfindet.

Scherbakowa ist Gründungsmitglied der Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich auch mit Verbrechen des Stalinismus befasste und in Russland verboten wurde. Sie sagt, sie habe "Russland verlassen, nicht aus Angst, aber aus Zorn und Verzweiflung". Scherbakowa lebt mittlerweile in Israel.

"Krieg ist der Anfang vom Ende Putins"

Scherbakowa zeigte sich überzeugt davon, dass "der Krieg in der Ukraine für Putins Russland der Anfang vom Ende ist, moralisch, politisch und wirtschaftlich. Das ist unvermeidbar." Aber das Regime von Präsident Wladimir Putin habe Ressourcen und werde sich entsprechend noch länger halten. "Das werden verlorene Jahre für Russland."

Seit dem Krieg habe es immer wieder Proteste in ihrem Heimatland gegeben. "Über 2.000 Menschen wurden verhaftet und bestraft, weil sie der offiziellen Meinung widersprochen haben. Die Gesetze sind verschärft worden, es gibt eine Menge neuer Zensurmaßnahmen. Hunderttausende Menschen haben Russland seit Ausbruch des Kriegs schon verlassen", so die Menschenrechtsaktivistin.

"Viele Russen haben Angst und schauen weg"

Die Folgen der Sanktionen seien für die russische Gesellschaft noch nicht sehr stark spürbar, aber der Druck werde steigen, prognostizierte Scherbakowa. "Die meisten Menschen sind keine glühenden Unterstützer des Kriegs, obwohl sie massiv mit Propaganda zugeschüttet werden. Sie versuchen lediglich, ihr normales Leben weiterzuführen. Viele haben Angst und schauen deshalb weg. Wie groß die Unterstützung für Putins Vorgehen tatsächlich ist, weiß niemand.

Die Abhängigkeit der Bevölkerung vom Staat als Arbeitgeber und Wirtschaftsmotor wächst durch den Krieg weiter." Auch die Eliten in Russland seien "komplett vom Staat abhängig". Jene Menschen, die tatsächlich Einfluss hatten, seien mittlerweile samt ihren Vermögen geflüchtet, wenn sie die Möglichkeit hatten.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Westen hat nach Ansicht der russischen Historikerin und Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa "in Russland zu lange weggeschaut, eigene, kurzsichtige Interessen verfolgt und Repressionen und Gewalt im Land ignoriert".
  • Das gute Verhältnis Österreichs mit Russland führt Scherbakowa auf lange bestehende Kontakte zurück.
  • "Dazu kommt, dass rechtspopulistische und nationalistische Strömungen in Österreich Putin natürlich in die Hände spielen, weil er diese ja weltweit fördern möchte", so Scherbakowa.