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Zurück zur Natur: David Bröderbauers Roman "Die Halbe Welt"

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David Bröderbauer, geboren 1981 in Zwettl, ist im Botanischen Garten der Universität Wien für die Wissenschaftskommunikation zuständig. Mit seinem dritten Roman hat er nun seine beiden Berufe als Biologe und Autor auf ideale Weise verbunden. "Die Halbe Welt" greift den 2016 geäußerten Vorschlag des US-amerikanischen Insekten- und Evolutionsforschers Edward O. Wilson (1929-2021) auf, die Hälfte der Erdoberfläche als Naturschutzreservat ohne menschliche Eingriffe zu widmen.

Wie befinden uns in der Zukunft. Die Klimaerwärmung schreitet weiter voran, die Meeresspiegel steigen, großräumige Waldbrände sind Alltag. Doch die Menschheit hat ihr Dasein radikal umgestellt, um als Spezies weiter eine Überlebenschance auf diesem Planeten zu haben. Die Welt wurde geteilt - in eine "zivilisierte", urbane, von Menschen bevölkerte Hälfte, in der Ernährung und Fortpflanzung weitgehend nur noch künstlich möglich sind und echte Früchte teuer am Schwarzmarkt gehandelt werden, und in eine der Natur überlassenen Hälfte, in der riesige Wiederbewaldungsprogramme durchgeführt und aus der Menschen abgesiedelt wurden.

Lilian Wagner, bei der mächtigen Verwaltungsbehörde der Halben Welt für die äußerst restriktiv gehandhabte Ausstellung von Zutrittsberechtigungen zu den Reservaten zuständig (so sollen etwa Frauen im gebärfähigen Alter von dort ferngehalten werden, um zu verhindern, dass sich in der Natur Aussteiger-Gemeinden bilden), beginnt einen Bericht, der die Entstehungsgeschichte der Halben Welt für die Nachwelt festhalten soll. Bei diesem nüchternen Plan kommt ihm jedoch das Verschwinden zweier prominenter Persönlichkeiten dazwischen: Der Wissenschafter Thomas Mark und der Milliardär Joe Tyskins, beide zentrale Figuren bei der Realisierung des radikalen Renaturierungskonzepts, sind im Zuge eines Forschungsaufenthaltes in einem der Reservate abgängig gemeldet worden. Lilian versucht, mehr darüber herauszufinden.

"Die Halbe Welt" ist Climate Fiction, wie sie im Buche steht. Bröderbauer lässt viele wissenschaftliche Fakten - und wohl so manche Erfahrungen seiner eigenen Forschungsreisen nach Costa Rica - einfließen und entwickelt daraus eine mögliche Zukunftsvision. "Fridays for Future" wird darin im Rückblick "zum Symbol einer ohnmächtigen Jugend, die an ihren eigenen Zielen gescheitert war" und mit der Entführung der Trump-Söhne schließlich alles politische Kapital verspielte. Die Wende brachten Naturkatastrophen und massiver Kapitaleinsatz einiger Mäzene, die ihr Geld für Landkauf in großem Stil einsetzen - und ein Scheidungskrieg, in dem ein Großindustrieller gegen seine ökologisch engagierte Exfrau verlor.

Die human dominierte Hälfte scheint in Bröderbauers Vision weniger kultiviert als manipuliert, durch Schaffung künstlicher "Kopfräume", die das virtuelle Eingliedern des Einzelnen in die riesigen Serverfarmen besorgen, teilweise sogar bereits umoperiert. Auf die näheren Lebensumstände dieses Rests der Weltbevölkerung geht "Die Halbe Welt" nur am Rande ein, und auch der von Lilian verfasste Bericht über die Realisierung der Reservate, die von gigantischen und teilweise gewaltsam herbeigeführten Migrationsströmen begleitet wurde, geht weniger ins Detail, als man es sich wünschen würde. Denn die vergleichsweise triviale Detektivgeschichte, bei der Lilian über die schwangere Partnerin des verschwundenen Wissenschafters auf eine Fährte zu kommen hofft, nimmt immer mehr Platz ein. Das halbe Buch, möchte man sagen. Erst gegen Ende nimmt wieder Grundsätzliches Überhand.

Wilsons Schluss war, "dass die Lösung nicht in der Versöhnung von Mensch und Natur lag, sondern in deren Trennung": Die Hälfte der Erde sollte dem Blick der Menschen entzogen werden, "denn nur was der Mensch nicht sah, was seinem Wissen und damit seinem Zugriff entzogen war, konnte geschützt werden". Freiheits- und Forschergeist sind jedoch Teil der menschlichen Natur. Und so gibt es am Ende doch wieder einen neuen Aufbruch und die Hoffnung, es diesmal besser zu machen.

"There's no Planet B", heißt ein Slogan der Klimaschutzbewegung. Ein halber Planet A könnte schon reichen, lautet Bröderbauers These. Heute, Donnerstag, Abend liest er im Rahmen des Wortspiele-Festivals in Wien aus seinem Buch.

(S E R V I C E - David Bröderbauer: "Die Halbe Welt", Milena Verlag, 248 Seiten, 25 Euro; Lesung bei den Wortspielen in der facultas Dombuchhandlung am Wiener Stephansplatz: Heute, 30.3., 20.20 Uhr; https://davidbroederbauer.at)

ribbon Zusammenfassung
  • David Bröderbauer, geboren 1981 in Zwettl, ist im Botanischen Garten der Universität Wien für die Wissenschaftskommunikation zuständig.
  • "Die Halbe Welt" greift den 2016 geäußerten Vorschlag des US-amerikanischen Insekten- und Evolutionsforschers Edward O. Wilson auf, die Hälfte der Erdoberfläche als Naturschutzreservat ohne menschliche Eingriffe zu widmen.
  • "Die Halbe Welt" ist Climate Fiction, wie sie im Buche steht.

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