Wiener Aktionismus Museum wird unter Schröder erweitert
Schröder, der seinen neuen Job mit Monatsbeginn angetreten hat und am 15. September seinen 70er feiert, hatte mit Jahreswechsel die Generaldirektion der Albertina nach 25 Jahren abgegeben. "Dass ich mich zur Ruhe setzen und Tauben im Park vergiften würde, hat ja wohl niemand ernsthaft geglaubt", scherzte der Nun-wieder-Museumsleiter am Donnerstag bei seiner Antrittspressekonferenz. Er habe in den vergangenen Monaten das Privileg gehabt, eine Reihe von attraktiven Angeboten aus dem In- und Ausland zu sichten und sich letztlich für den Führungsjob in Wien entschieden, "weil ich meinen Lebensmittelpunkt jetzt nicht mehr wechseln möchte". Und der Aktionismus sei "die radikalste, fortschrittlichste und vielleicht wichtigste Kunstform" der österreichischen Kunstgeschichte und in ihrer Bedeutung "kaum zu unterschätzen".
Bisher fungierten Jürgen Boden und Philipp Konzett, beides Gründungsmitglieder des Museums, als Geschäftsführer. Basierend auf der Sammlung Friedrichshof, die einst von der Kommune Muehls zusammengetragen worden war, wurden im WAM in wechselnden Ausstellungen in erster Linie Arbeiten von Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler gezeigt. Galerist Konzett, der künftig beratend weiterhin für das Haus tätig sein wird - Boden bleibt kaufmännischer Geschäftsführer - sprach nun davon, dass es an der Zeit sei, "den nächsten Schritt in Richtung Professionalisierung zu machen": "Wir sind alle eigentlich keine Museumsleute." Er habe aber nicht zu träumen gewagt, einen "Topprofi" wie Schröder zu bekommen.
Am Wort, wollte selbiger etwaigen Vergleichen zu seiner Albertina-Zeit gleich vorbeugen. "Das Einzige, was diese beiden Häuser gemeinsam haben, sind weniger als 10.000 Besucher im Jahr zu dem Zeitpunkt, als ich sie übernommen habe", erklärte Schröder. Die Albertina habe er zu einem "Weltmuseum" machen können, mit Raum- und Sammlungserweiterungen und zwei zusätzlichen Standorten. "Das ist hier nicht das Ziel." Denn hier gehe es um einen "Ort der Verdichtung und nicht der Breite". Insofern wolle er das WAM nicht zu einer zweiten "Besuchererfolgsgeschichte" machen.
Der "Topprofi" und seine Pläne
Was hat der "Topprofi" also nun vor mit seiner neuen Wirkungsstätte? Da stehen einmal bauliche Maßnahmen an, die bereits angelaufen sind, weshalb das zweigeschoßige Museum derzeit nicht geöffnet hat. Allzu viele Details gab es noch nicht. Nur so viel: Durch die Erschließung zusätzlicher Kellerräume und andere Maßnahmen - übrigens nach Entwürfen des Neo-Hausherrn selbst - soll eine mehr als Verdreifachung der Hängefläche erzielt werden. Der Haupteingang wird von der Weihburggasse in die Schellinggasse verlegt. Dazu kommen Modernisierungen bezüglich Klimatisierung, Beleuchtung und Sicherheitstechnik.
Fertig sein soll alles bis zur Wiedereröffnung im März 2026. Die erste Ausstellung der Ära Schröder wird sich um das Frühwerk von Nitsch drehen - Jahre, in denen der Künstler die Theorie für sein Orgien Mysterien Theater formuliert hat und in denen das Sakrale einen zentralen Stellenwert einzunehmen begann. Die Schau ist als Kooperation mit dem Nitsch Museum im niederösterreichischen Mistelbach konzipiert, das zeitgleich Nitschs Oeuvre ab den 1980ern und bis zu seinem Tod ins Licht rücken wird. Kuratiert wird der Doppelpack von Sammlungsdirektorin Julia Moebus-Puck, die "noch nie gezeigte Werke und Zyklen" ankündigte.
Schröder selbst stellte grundsätzlich eine Neupositionierung des WAM in Aussicht - womöglich samt neuem Namen für das Museum in mittlerer Zukunft. Was das Programm anbelangt, soll etwa die Rolle Wiens als Dreh- und Angelpunkt für performative Kunst mehr herausgearbeitet werden. Außerdem sind Ausstellungen zur feministischen Transformation des Wiener Aktionismus beispielsweise im Werk von VALIE EXPORT, Renate Bertlmann oder Birgit Jürgensen sowie zur Thematik Blasphemie und das Obszöne in der Kunst geplant. Selbst kuratieren wird Schröder erstmals für das Museum im Zuge der für Herbst 2026 geplanten Retrospektive von Otto Muehl (auch: Otto Mühl). Später soll eine eigene Ausstellung zur Geschichte der Muehl-Kommune im nationalen und internationalen Kontext folgen.
Muehl als Herausforderung
Schröder sprach hier auch die Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit Muehl an. Sein Werk sei einerseits mit einer in den 1970ern gefeierten Gesellschaftsutopie der Überwindung des Konzepts Kleinfamilie, der freien Sexualität und der Vergemeinschaftung des Eigentums verbunden, habe aber andererseits zwei Jahrzehnte später in eine Dystopie gemündet. 1991 wurde Muehl wegen Sittlichkeitsdelikten bis hin zur Vergewaltigung, Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz und Zeugenbeeinflussung schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Der Neo-Geschäftsführer kündigte an, das Amt drei bis fünf Jahre ausüben zu wollen. Das Ziel sei, in dieser Zeit die u.a. wegen zahlreicher Verkäufe in der Vergangenheit filetierte und fragmentierte Sammlung Friedrichshof so gut wie möglich abzusichern und nach Möglichkeit die Fragmentierung zu reduzieren. Nachfragen, warum nach fünf Jahren tatsächlich Schluss sein soll, bezeichnete Schröder "beinahe als Schmeichelei": "Ich bin dann 75 Jahre alt." Dann werde endgültig seine Zeit als "Privatier" beginnen.
(S E R V I C E - https://wieneraktionismus.at/)
Zusammenfassung
- Klaus Albrecht Schröder ist seit Monatsbeginn neuer Geschäftsführer des Wiener Aktionismus Museums (WAM) und leitet eine umfassende räumliche und inhaltliche Erweiterung ein.
- Das Museum bleibt bis zur geplanten Wiedereröffnung im März 2026 wegen Umbauarbeiten geschlossen, wobei die Hängefläche mehr als verdreifacht und der Haupteingang in die Schellinggasse verlegt wird.
- Die erste Ausstellung der Ära Schröder widmet sich 2026 dem Frühwerk von Hermann Nitsch und entsteht in Kooperation mit dem Nitsch Museum Mistelbach.
- Schröder plant eine Neupositionierung des Museums, will die Rolle Wiens für performative Kunst betonen und denkt mittelfristig über einen neuen Namen nach.
- In den kommenden Jahren sind Ausstellungen zu feministischer Transformation, Blasphemie und Obszönität in der Kunst sowie retrospektive Schauen zu Otto Muehl und der Muehl-Kommune geplant.