APA/APA/Theater im Bahnhof/Johannes Gellner

"Warme Geschichten" als queeres Solo im Theater im Bahnhof

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"Schwul sein ist keine Privatsache. Mir geht es um Sichtbarkeit." Dieses Motto stellt der Grazer Künstler Lorenz Kabas an den Anfang seines kraftvollen und bunten Soloabends mit dem Titel "Warme Geschichten für kältere Zeiten - Porträt eines schwulen Künstlers als alternder Mann", der als neueste Produktion des Theaters im Bahnhof am Freitag in Graz Premiere hatte.

"Warme Geschichten" ist ein per Publikumslos individuell zusammengestelltes Konglomerat aus einem reichhaltigen Topf mit vorbereiteten Bühnenerzählungen und Choreografien, die bestimmte und bestimmende Momente aus Kabas' Leben zum Inhalt haben. Fix an der Abfolge sind lediglich Prolog und Schluss sowie ein Intermezzo auf halber Strecke. Dazwischen intoniert Kabas - ebenfalls per Los ausgesuchte - Chansons schwuler Künstler oder von Kabas selbst vertonten Texte von solchen.

Letzteres ist ein "Queerer Newsflash", in dem Kabas - gekleidet als hochhackige Moderatorin einer Billignachrichtensendung - aktuelle Nachrichten aus aller Welt verliest, die die in vielen Teilen immer noch höchst prekäre Situation homosexueller und anderer LGBT-Menschen deutlich machen. In einigen Ländern der Erde droht Homosexuelle schließlich nach wie vor die Todesstrafe und auch in europäischen Staaten sieht die Wirklichkeit oft anders aus als die fortschrittlichsten Gesetze.

Zwischen den einzelnen Modulen wechselt Kabas an einer im zentralen Hintergrund der Bühne angesiedelten Garderobe das jeweils auf unterschiedlichste Weise queer definierte Kostüms. Der Umziehvorgang dient jedes Mal als Gelegenheit, sein pantomimisch-komödiantisches Talent genüsslich auszuspielen.

Unter den am Premierenabend zufällig ausgewählten Lebensgeschichten stach ein fiktiver Tagebucheintrag aus dem Jahr 2046 hervor, in dem Kabas den Augenblick seines Todes imaginiert. Darin erzählt er auf berührende Weise wie er von seinem Mann nach einem erfüllten Eheleben liebevoll beim Sterben begleitet wird. In einem anderen Modul spielt Kabas jenes Gespräch mit seinen Eltern nach, in dem er Ihnen als 26-jähriger seine Homosexualität offenbarte. Die - in derartigen Situationen vermutlich häufig anzutreffende - Reaktion der Eltern besteht darin, dass sie sich zunächst fragen, was sie "falsch gemacht" haben könnten, letztlich die Orientierung ihres Sohnes aber akzeptieren. Eindrücklich bleibt auch die humorvoll in Szene gesetzte Choreografie, in der Kabas in einem archaischen Tanzritual die queere Urgottheit "Mother Faggot" heraufbeschwört.

Die zwischendurch vorgetragenen Chansons begleitet Kabas auf der Gitarre oder auf dem Akkordeon. Hier kann der Künstler nicht nur seinen für diese Art von Musik perfekt geeigneten, klangvoll-weichen Bariton sondern auch seine außerordentliche Sprachbegabung unter Beweis stellen. Die Lieder werden auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch und Schwedisch vorgetragen.

Die Sprachbegabung ist dann auch ein wichtiges Element der Schlussepisode, in der Kabas, sich selbst als Großvater eines fiktiven Enkels imaginierend, diesem das queer umgeschriebene Andersen-Märchen vom "Prinz auf der Erbse" als Gutenachtgeschichte vorliest; im dänischem Original, versteht sich.

Das unmittelbar vor der österreichweiten Aufhebung der Corona-Restriktionen noch einmal streng kontrollierte und maskierte Publikum dankte Kabas für seine außerordentliche Leistung an dem in höchstem Maße persönlichen, aber niemals als Nabelschau präsentierten Abend mit einem besonders langen und intensiven Applaus und hinterließ diesen sichtlich gerührt. Mit "Warme Geschichten für kältere Zeiten" ist Kabas und dem Theater im Bahnhof eine ebenso poetische wie gesellschaftspolitisch ungebrochen relevante Produktion gelungen.

(S E R V I C E - Warme Geschichten für kältere Zeiten - Porträt eines schwulen Künstlers als alternder Mann. Von und mit Lorenz Kabas, künstlerische Begleitung: Eva Hofer. Weitere Termine: 05.03., 11.03., 12.03., 17.03., 18.03., 19.03, 24.03., 26.03. und 31.03. 2022, sowie 01.04. und 02.04. 2022 - jeweils 20.00 Uhr im Theater im Bahnhof. Karten und Infos: https://www.theater-im-bahnhof.com/de/ )

(B I L D A V I S O - Fotos von der Aufführung stehen unter http://fotos.gellner.at/tib_presse/2022_tib_warme_geschichten/ zum Download bereit.)

ribbon Zusammenfassung
  • Mir geht es um Sichtbarkeit."
  • Die zwischendurch vorgetragenen Chansons begleitet Kabas auf der Gitarre oder auf dem Akkordeon.

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