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Toxische Opa-Enkel-Beziehung: Michael Köhlmeiers "Frankie"

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"Am Dienstag haben sie Opa entlassen. Er ist jetzt einundsiebzig." So harmlos beginnt Michael Köhlmeiers Roman "Frankie". Großvater war wohl im Krankenhaus, denkt man - und muss schon wenige Zeilen später schlucken. Großvater hat in der Strafanstalt Krems-Stein eine vieljährige Haft verbüßt und wurde nach 18 Jahren vorzeitig entlassen. Für welche Tat er verurteilt wurde, wird sein 14-jähriger Enkel, der Ich-Erzähler Frank, nie genau erfahren. Denn dem Opa ist nicht zu trauen.

Die Dialoge zwischen den beiden einander fremden und doch miteinander verwandten ungleichen Männern sind brillant. Auf der einen Seite ein etwas vorlauter Teenager, der gemeinsam mit der alleinerziehenden Mutter, eine Schneiderin und Garderoberin der Volksoper, den Haushalt schupft, auf der anderen Seite ein vom Gefängnis gezeichneter alter Mann, der es zu genießen scheint, dass seine Umgebung seine gerne zur Schau gestellten Eigenheiten nicht einzuordnen versteht: Schrulligkeit oder Gefährlichkeit? "Was bist du für einer?", fragt der Opa. Das würde auch Frank von seinem Gegenüber gerne wissen.

"Es ist die alte Geschichte von der Schönen und dem Biest, von der Unschuld und der Verführung", hat es Michael Köhlmeier selbst genannt. Dieser alten Geschichte gewinnt er neue, originelle Facetten ab. Von Anfang an liegt eine prickelnde, gefährliche Spannung in der Luft, die stetig geschürt wird. Handlung und Atmosphäre dieses Buches über eine hochgradig toxische Opa-Enkel-Beziehung verlangen geradezu zwingend nach einer Verfilmung für die große Leinwand. Doch auch das Kopfkino bekommt so viel Futter, dass man sich scheut, allzu viel von dem zu verraten, was Ferdinand (der möglicherweise ganz anders heißt, denn er durfte für die Entlassung seinen Namen ändern) und Frank (der es nicht leiden kann, von Opa "Frankie" genannt zu werden) auf gerade einmal 200 Buchseiten alles miteinander erleben.

Köhlmeier hat eine Mischung aus Familienroman, Psychothriller und Action-Film-Drehbuch geschrieben, die auch als Jugendbuch durchgehen kann, so gut trifft er den Ton zwischen Naivität und Ahnung, Kindlichkeit und Draufgängertum, in dieser Coming-of-Age-Story, die in ihrer Rasanz und Unmittelbarkeit den jungen Mann überfordert und aus der Bahn wirft. Welcher Jugendliche möchte nicht Regeln brechen, Stärke zeigen? Aber was tun, wenn die Herausforderungen - auch im ganz buchstäblichen Sinn - Schlag auf Schlag kommen?

Köhlmeier hat auch eine Reihe interessanter Nebenfiguren geschaffen, denen es nicht gelingt, den Lauf der Dinge ernsthaft zu beeinflussen. Franks Mutter hat Angst vor ihrem schwerkriminellen Vater und fühlt doch Verantwortung ihm gegenüber. Ihr Beruf und ihre noch junge Beziehung zu einem Mann lassen Frank auch dann viel Freiraum, wenn er Geborgenheit und Halt bräuchte. Franks Erzeuger Harald kreuzt dagegen samt neuer, attraktiver Lebensgefährtin und gelbem Sportwagen nach Jahren der Funkstille genau dann den Weg seines Sohnes, als dieser ihn brauchen kann - allerdings auf ganz unerwartete Weise. Ein Sozialarbeiter, Polizisten und Schulkameraden haben ebenfalls keine Ahnung, was die Begegnungen zwischen Opa und Enkel in Gang gesetzt haben. Und auch die Leser ahnen selten, was sie auf der nächsten Buchseite erwartet. Gut so. Sehr gut so. Tolles Buch!

(S E R V I C E - Michael Köhlmeier: "Frankie", Hanser Verlag, 208 Seiten, 24,70 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Großvater war wohl im Krankenhaus, denkt man - und muss schon wenige Zeilen später schlucken.
  • Großvater hat in der Strafanstalt Krems-Stein eine vieljährige Haft verbüßt und wurde nach 18 Jahren vorzeitig entlassen.
  • Die Dialoge zwischen den beiden einander fremden und doch miteinander verwandten ungleichen Männern sind brillant.
  • (S E R V I C E - Michael Köhlmeier: "Frankie", Hanser Verlag, 208 Seiten, 24,70 Euro)

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