APA/APA (THEATERARCHE)/JAKUB KAVIN

Theater der Einsamkeit: "Hikikomori" im Wiener TheaterArche

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Nein, eine Aufführung war das am Montag natürlich nicht. Das wäre ja verboten. Deswegen ist das auch keine Theaterkritik, sondern vielmehr eine Reportage. Denn wenn derzeit in Wien Theater gespielt wird, muss man befürchten, dass die Polizei vorbeischaut. Selbst, wenn sich nur vier Personen im Saal befinden: ein Techniker, der auch der Regisseur ist, eine Schauspielerin und zwei Journalisten.

Nein, eine Aufführung war das am Montag natürlich nicht. Das wäre ja verboten. Deswegen ist das auch keine Theaterkritik, sondern vielmehr eine Reportage. Denn wenn derzeit in Wien Theater gespielt wird, muss man befürchten, dass die Polizei vorbeischaut. Selbst, wenn sich nur vier Personen im Saal befinden: ein Techniker, der auch der Regisseur ist, eine Schauspielerin und zwei Journalisten.

Am 19. März hätte im kleinen Wiener TheaterArche, das ältere Theaterbesucher noch als "Theater Brett" von Nika Brettschneider und Ludvik Kavin kennen, ein Stück namens "Hikikomori" uraufgeführt werden sollen. Die Theaterleiter Jakub Kavin und Manami Okazaki waren dafür nach Japan gereist, um über das soziale Phänomen der Hikikomori zu recherchieren.

Rund 700.000 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren sollen bereits von dieser Art des kompletten sozialen Rückzugs betroffen sein, bei dem keine Schule besucht oder einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen wird und man auch sonst alle Kontakte meidet. Die Autoren Sophie Reyer und Thyl Hanscho wurden gebeten, im schreiberischen Dialog einen Text für ein Solo zu entwickeln, das danach die Sängerin Okazaki unter Kavins Regie probte. Dann kam Corona.

Der gesellschaftliche Rückzug, die freiwillige Isolation, wird nun nicht mehr als Krankheit, sondern als Heilmittel gesehen, ja als Verpflichtung, um anderen das Leben zu retten. "Diese Aktualität habe ich mir in der Zeit der Stückentwicklung nicht einmal in meinen schlimmsten Albträumen vorstellen können", schreibt Kavin im Programmheft. Dass ein Stück mit derartiger plötzlicher Brisanz durch die behördlich verordnete Vereinzelung nicht gespielt werden dürfe, wollte der Theaterleiter nicht so einfach hinnehmen. Kaum hatte er einen scheinbaren Ausweg, nämlich Reduktion der 99 zugelassenen Plätze auf die Hälfte, machte ihm schon die nächste Verordnung wieder einen Strich durch die Rechnung.

Die nun gewählte Vorgangsweise sieht so aus: keine Aufführung, sondern Voraufführungen. Für maximal fünf Personen im gleichen Raum und strikt eingehaltenem sozialen Abstand. Aus der selbstverständlichen Alltäglichkeit Theater wird mit einem Mal ein Kraftakt, der Mut - oder zumindest Widerspruchsgeist - erfordert.

Bühne frei für Manami Okazaki. Sie liegt in einem Kinderpyjama auf einer Matratze in einem kleinen Bühnenraum, der wie ein Kinderzimmer wirkt. Ein bunter Spielteppich, auf dem sie mit einem Spielzeugauto Straßen entlangfahren wird, eine Plastikpuppenküche, die sie für morgendliche Katzenwäsche nutzt, ein Saxofon und ein Keyboard. Sofort nach dem Aufwachen setzt sie sich an die Tasten und spielt. "Für Elise". Für den Tag macht sie sich fertig, indem sie ihre alte Schuluniform anzieht. Es sind einsame Rituale, die sie in den nächsten 80 Minuten in größter Ruhe vollzieht. Die Texte tröpfeln spärlich. Sie beziehen sich immer wieder auf "da draußen". "Darum lieber nicht hinausgehen!", sagt sie in einem ihrer Selbstgespräche, und: "Draußen wird Frühling sein." Unmöglich, nicht dabei an die Corona-Quarantäne zu denken. Ein wesentlicher Unterschied: Hier ist offenbar ein Mensch in selbst gewählter Einsamkeit. Und er weigert sich, erwachsen zu werden - "weil Leben Angst macht". Denn "Leben ist anstrengend, Leben tut weh".

Musik und Gesang sind immer wiederkehrende Elemente. Doch Jakub Kavin bricht auch den Realismus des Raumes immer wieder auf und lässt die Hauptdarstellerin regelmäßig einen hinter der Bühne liegenden, mit halb durchsichtiger Gaze abgetrennten Raum betreten. Hier befindet sich eine Art Musikstudio, vielleicht ist es auch ein Panic Room. Während wiederholt künstlerische Visuals projiziert werden, nimmt Okazaki hier immer wieder Töne und Textfetzen auf, die repetitiv eingespielt werden ("Bewegung - als Hoffnung") oder deutet Tanzbewegungen an. Klar ist: Hier ist ein nicht ganz einfaches künstlerisches Puzzle zusammenzusetzen. Doch man hat viel Zeit dafür. So wie Okazaki, die auf der Bühne alte Erinnerungsfotos als Memory auflegt.

Am Ende spenden beide Zuschauer ausgiebig Applaus. Er hallt in dem fast leeren Theaterraum besonders gut. Es ist ein zweifaches Theater der Einsamkeit, das hier zu erleben war. Das Team der TheaterArche hofft sehr, dass die Ausgangsbeschränkungen bald aufgehoben werden und im Zuschauerraum die Einsamkeit ein Ende finden wird. Unterdessen bereitet man sich auf eine japanische Version vor. Um das Stück auch in der Heimat der Hikikomori zeigen zu können.

Infos über Spieltermine, sobald die behördlichen Restriktionen aufgehoben werden, gibt es unter www.theaterarche.at/hikikomori/.

ribbon Zusammenfassung
  • Deswegen ist das auch keine Theaterkritik, sondern vielmehr eine Reportage.
  • Denn wenn derzeit in Wien Theater gespielt wird, muss man befürchten, dass die Polizei vorbeischaut.
  • Am 19. März hätte im kleinen Wiener TheaterArche, das ältere Theaterbesucher noch als "Theater Brett" von Nika Brettschneider und Ludvik Kavin kennen, ein Stück namens "Hikikomori" uraufgeführt werden sollen.
  • Musik und Gesang sind immer wiederkehrende Elemente.