Staatsballett haucht Malandains "Marie Antoinette" Leben ein
Sanft erklingt Joseph Haydns Symphonie in D-Dur, Nr. 6, "Le Matin", bevor sich der Vorhang hebt. Zu sehen ist das Ensemble, einen großen, türkisen Rahmen horizontal in den Händen haltend. Mit jedem Schritt dreht und verschiebt sich die Form entlang des Bühnenraums, Verdichtung folgt auf Leere - ein fesselnder Anblick. Sogleich rutschen Elena Bottaro und Andrés Garcia Torres auf Knien durch den so entstandenen Freiraum: gewollt kindlich - schließlich waren Dauphin Ludwig August, später Ludwig XVI., und Erzherzogin Maria Antonia von Österreich bei der Hochzeit in Versailles erst 15 und 14 Jahre alt.
Türkise Rahmen strukturieren auch das schlichte, über den Großteil der 90 Minuten gleich bleibende Bühnenbild. Der dahinter befindliche bewölkt-blaue Himmel wird damit genauso ausschnitthaft sichtbar wie das Leben der Marie Antoinette. In 14 Szenen - von der unbeholfenen Begegnung in der Hochzeitsnacht bis zur unglücklichen Ehe und Mutterschaft - erkundet das Staatsballett die Biografie einer bedeutenden historischen Persönlichkeit zur Musik zweier Zeitgenossen Antoinettes - Joseph Haydn und Christoph Willibald Gluck. Sogar ein Ballett im Ballett reiht sich in die getanzten Momente: In Jean-Baptiste Lullys "Persée" wird Medusas Haupt abgetrennt - so mancher Zuseher mag erahnen, worauf hier verwiesen wird.
Verweise und Andeutungen
Von besonderer Schönheit ist jene Sequenz, in der große, goldene Fächer zum Einsatz kommen. Getragen werden sie von den Herren, wie es im Zeitalter des Barock durchaus üblich war. Auch die Bewegungssprache gibt barocke Elemente zu erkennen: die lockeren Handgelenke, einige der Haltungen im Pas de deux. Und doch lässt sich Malandains Handschrift zwischen Neoklassik und kraftvollem, modernem Stil nicht klar einordnen. Oft ist es nur ein sanftes Zucken der Finger, das in Drehungen, Sprüngen und Hebefiguren mündet. Das Maß an Präzision, mit dem ein Relevée, ein Achselzucken, ein Kopfnicken zu den Akzenten der Musik seine Wirkung entfaltet, ist bemerkenswert. Dass Staatsballettdirektorin Alessandra Ferri die unter Vorgänger Martin Schläpfer kritisierte mangelnde Synchronität des Ensembles ins Visier genommen hat, lässt dieses Stück - wie auch die vorherigen der Saison - deutlich erkennen.
Ab dem zweiten Drittel hellen Pastellfarben die Bühne auf. Bodenlange Kleider mit angedeuteten Reifröcken erinnern an die Kunstrichtung Rokoko. Ein Anblick, der die Handlung in den Hintergrund rücken lässt, bis der Zeugungsakt von Antoinettes erstem Kind angedeutet wird. Ob das Publikum nicht auch ohne plumpe Anspielung verstehen würde, was Sache ist, sei dahingestellt. Der Augenblick der Uneleganz kann im nächsten Moment dank einer sanft geführten Marionette, die das Kind darstellt, wieder vergessen werden.
Pastelltöne weichen der Farbe der Trauer
Für informativere Einblicke in Antoinettes Leben, die nicht bloß Stimmungsbilder darstellen, zahlt es sich aus, im Voraus einen Blick ins Programmheft zu werfen. Dass das Leben der österreichischen Erzherzogin und französischen Königin auch 270 Jahre nach ihrer Geburt bewegt, lässt sich nach diesem Ballettabend jedenfalls nicht leugnen.
Es ist ein harmonisches Stück, uraufgeführt 2019 an jenem Ort, den Marie Antoinette 1770 anlässlich ihrer Hochzeit mit Ludwig XVI. einweihte: der Opéra Royal Château de Versailles. Scheinbar ohne auffallende Brüche gehen die Szenen ineinander über. Doch dann verklingt die Musik. Ferne Rufe ertönen. Das Premierenpublikum vermutete wohl das Ende der Vorstellung, bis der Wolkenhimmel einem schwarzen Hintergrund wich. Düstere Stimmung und schwarze, schlichte Gewänder des Corps de Ballet verraten: Die Hinrichtung der Königin im Verlauf der Französischen Revolution steht bevor. In einer Variation werden Elemente des Balletts im Ballett wiederholt, ehe sich das Ensemble zerstreut und in völliger Stille die Guillotine wie auch der Vorhang fallen.
(Von Selina Teichmann/APA)
(S E R V I C E - "Marie Antoinette" in der Wiener Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. Musikalische Leitung: Christoph Altstaedt, Choreografie: Thierry Malandain, Musik: Joseph Haydn und Christoph Willibald Gluck, Bühne & Kostüme: Jorge Gallardo, Licht: Francois Menou, Einstudierung: Frederik Deberdt. Weitere Vorführungen am 22., 26., 28. Dezember, am 3. Jänner 2026, am 6., 11., 13. Februar 2026, am 29., 31. März 2026 und am 5. April 2026, Werkeinführungen am 22. Dezember und 6. Februar 2026. https://www.volksoper.at)
Zusammenfassung
- Das Staatsballett präsentierte am Samstagabend an der Wiener Volksoper Thierry Malandains Ballett "Marie Antoinette", das dem Leben der österreichischen Erzherzogin und späteren französischen Königin gewidmet ist.
- Das 90-minütige Stück setzt sich aus 14 Szenen zusammen und spannt den Bogen von der Hochzeit mit Ludwig XVI. bis zur Hinrichtung während der Französischen Revolution.
- Musikalisch untermalt wird der Abend von Werken Joseph Haydns und Christoph Willibald Glucks, mit einem Ballett im Ballett zu Jean-Baptiste Lullys "Persée".
- Das Bühnenbild besticht durch pastellfarbene und barocke Elemente, wobei goldene Fächer, Marionetten und der Wechsel von Pastelltönen zu Trauerfarben zentrale visuelle Akzente setzen.
- Weitere Aufführungen finden an der Wiener Volksoper am 22., 26., 28. Dezember 2025, sowie am 3. Januar, 6., 11., 13. Februar, 29., 31. März und 5. April 2026 statt.
