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Songtexte als Gesellschaftsspiegel

Heute, 16:01 · Lesedauer 3 min

Menschen hören Musik mitunter, um ihre Stimmung auszudrücken und zu regulieren. Dies lässt sich laut einer Studie nicht nur auf individueller, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene feststellen. In einem 50-jährigen Zeitraum stiegen Stresslevel und negative Emotionen in populären Songtexten fast durchgehend, heißt es im Fachblatt "Scientific Reports". In Krisenzeiten sei es jedoch umgekehrt. Dafür analysierte ein Forscherteam mit Wiener Beteiligung 20.186 Lieder.

Über den gesamten Zeitraum passen die Ergebnisse zu anderen Trends wie dem Anstieg von stressbezogenen Störungen, so Studien-Erstautor Markus Foramitti von der Universität Wien zur APA. Allerdings greifen Menschen während großer Krisen wie der Covid-19-Pandemie nicht zu Musik, die zu ihrer Stimmung passt, sondern eher zu gegensätzlicher - mit weniger negativen und weniger stressbezogenen Texten. "Das interpretieren wir als eine Art von Selbstregulation oder Eskapismus, auf gesellschaftlicher Ebene", sagte der Forscher. Auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei eine solche Tendenz erkennbar, die jedoch etwas weniger eindeutig ist.

Außerdem wurde die lyrische Komplexität der Liedtexte untersucht, die zuerst kontinuierlich abnahm. "Aber bei Stress und Negativität sind die Trends über 50 Jahre, bis auf solche Schwankungen wie bei Covid-19, immer einheitlich und relativ durchgängig. Bei der Komplexität ist es nicht so, was uns ziemlich überrascht hat", so Foramitti. Denn 2016 gab es eine Trendumkehr: Bis 2023 wurden die Texte wieder komplexer.

Die Gründe dafür seien unklar und müssten weiter untersucht werden, so der Experte. Aber die Forschenden konnten zeigen, dass die unterschiedlichen Trends nicht miteinander zusammenhängen. Mehr Stress bedeutet in diesem Kontext also nicht automatisch weniger Komplexität.

Olivia Rodrigo und The Isley Brothers als Gegenpole

Der Fokus der Forschenden lag dabei auf jenen Songs, die beliebt sind und von vielen Menschen gehört werden. Deswegen wählten sie für die Analyse die wöchentlich erscheinenden Billboard-Hot-100-Charts im Zeitraum von 1973 bis 2023. Das US-amerikanische Ranking kombiniert Radio-Airplay, digitale und physische Verkäufe und, wenn vorhanden, Streamingdaten. Somit biete es einen guten Einblick in das Konsumverhalten.

Nach dem Entfernen von mehrmals geführten Liedern kam man so auf die über 20.000 individuellen Songs, deren Texte mithilfe unterschiedlicher Algorithmen untersucht wurden. Für die Feststellung der Stresslevels kam eine Art vordefiniertes, validiertes Wörterbuch mit rund 270 stressbezogenen Begriffen zum Einsatz. Dieses umfasse übergeordnete Konzepte wie "Bedrohung" oder "Schaden", emotionale Wörter wie "nervös" oder "gestresst" oder auch zu körperlichen Zuständen wie "Kopfweh" oder "Migräne". "Aus der Analyse der Texte mithilfe dieser Liste entsteht dann für jeden einzelnen Song ein übergeordneter Score, der zeigt, wie viele Stresswörter vorkommen", so Foramitti.

Um die negativen Emotionen zu quantifizieren, wurde ein Modell verwendet, das jedem Wort eine Wahrscheinlichkeit zuordnet, ob es in einem negativen oder positiven Kontext vorkommt. Bei der Komplexität haben die Forschenden mithilfe eines Algorithmus wiederholende Informationen aus den Texten gestrichen. Umso stärker man die Lyrics so verdichten kann, umso weniger komplex seien sie eingangs gewesen.

Als Beispiel für einen recht abwechslungsreichen, positiven Song nannte Foramitti "What It Comes Down To" von The Isley Brothers aus dem Jahr 1973, während "love is embarassing" von Olivia Rodrigo aus 2023 viel stressbezogene Sprache und Wiederholungen enthält. "Das sind natürlich nur einzelne, plakative Beispiele, die konkrete Pole des Trends darstellen sollen", merkte der Forscher an.

(S E R V I C E - https://www.nature.com/articles/s41598-025-28327-5)

Zusammenfassung
  • Eine Studie mit Wiener Beteiligung analysierte 20.186 Songs aus den Billboard-Hot-100-Charts von 1973 bis 2023 und stellte fest, dass Stresslevel und negative Emotionen in den Songtexten über fünf Jahrzehnte hinweg fast durchgehend anstiegen.
  • Während großer Krisen wie der Covid-19-Pandemie griffen Menschen jedoch eher zu Musik mit weniger negativen und weniger stressbezogenen Texten, was als gesellschaftlicher Eskapismus interpretiert wird.
  • Die lyrische Komplexität der Songtexte nahm zunächst ab, erlebte ab 2016 aber eine Trendumkehr und stieg bis 2023 wieder an, wobei die Gründe hierfür noch unklar sind.