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Setz' "Monde vor der Landung": Wirrer Kopf, hohle Welt

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Die Mondlandung wurde vom US-Militär im Studio gedreht, Chemtrails dienen der Unterjochung der Menschheit und bei Covid-Impfungen gelangen von Bill Gates entwickelte Überwachungschips unter die Haut. Verschwörungstheorien wie diese haben heute erstaunliche Verbreitung. Querdenker gab es schon immer - etwa in der Flat Earth Society. Hanns Hörbigers Welteislehre fand ihre Anhänger ebenso wie die Hohlwelttheorie. Ihr widmet sich Clemens J. Setz in seinem neuen Roman.

Der österreichische Autor, 2021 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet, hatte schon immer ein Faible für schräge Vögel, seltsame Dinge und unerklärliche Vorgänge. Er selbst ist von UFO-Sichtungen fasziniert, seine Bücher erzählen von Grenzbereichen, die zu betreten immer etwas Unheimliches hat. Auch Peter Bender, der Protagonist von "Monde vor der Landung", ist kein angenehmer Zeitgenosse. Das steht für die Leser des 500-Seiten-Buches rasch fest. Er vertritt höchst eigenwillige Thesen und hat sich deren Verbreitung zur Lebensaufgabe gemacht. In einer Welt von Corona-Leugnern, Wissenschaftsskeptikern und Anhängern "alternativer Fakten" wirkt er sehr heutig.

Peter Bender gab es wirklich. Deshalb führt uns der Roman zunächst in das Worms der 20er-Jahre und in den Ersten Weltkrieg. Bender (1893-1944) war Aufklärungsflieger - und schon die Schilderungen seiner dabei gemachten Beobachtungen machen stutzig. Hier ist eindeutig jemand zugange, der eine spezielle Art der Wirklichkeitswahrnehmung hatte, und der die daraus gebauten Gedankengebäude, so einsturzgefährdet sie von außen betrachtet auch waren, mit großem Sendungsbewusstsein unters Volk zu bringen trachtete.

Alles stellte sich anders dar, wenn man es mit Benders Logik betrachtete, und alles musste anders werden: Das naturwissenschaftliche Weltbild ebenso wie das zwischenmenschliche Zusammenleben. Das freie Leben, das er in der "Wormser Menschengemeinde" propagiert, ist schon gegenüber seiner eigenen Ehefrau Charlotte gegenüber nicht problemlos durchsetzbar - zumal es auch freie Liebe inkludiert. Doch in der Liebe wie im Leben schöpft Bender aus Widerstand Energie: Viel Feind, viel Ehr'! Erst, als die Behörde gegen Vorhaben des fanatischen Redners einschreitet, fühlt er sich wirklich wahrgenommen. Wahrheit ist keine Sache der Mehrheit. Und die Erkenntnis, dass die Welt keine Kugel, sondern eine Hohlkugel ist, auf deren Innenseite die Menschen leben, muss eben erst durchgesetzt werden.

"Monde vor der Landung" gibt ein Psychogramm eines Quer-, keines Hohlkopfes - und ist gleichzeitig ein Abriss der Geschichte der 20er- bis 40er-Jahre in Deutschland. Erster Weltkrieg, Revolution und Räterepublik, Hyperinflation und Ludendorff-Putsch - Peter Bender ist nicht immer mittendrin, aber immer live dabei. Den Durchblick hat er nie, denn er ist dabei, mit Gesinnungsgenossen (er korrespondiert auch eifrig mit Amerika, wo sich eine Gemeinde etabliert hat, die sich ebenfalls als Erleuchtete wähnen) sein eigenes Paralleluniversum zu zimmern. Wer aber daran glaubt, dass bei der Landung auf der Erde aufbrechende Monde neues Leben bringen, übersieht leicht das Unheil vor seiner eigenen Haustüre.

Auch unter den Nazis gibt es Wirrköpfe, die den seltsamsten wissenschaftlichen Theorien nachhängen. Aber sie sind fanatische Antisemiten. Und sie hassen Menschen, die sich Befehlen nicht fügen. Benders Frau Charlotte ist Jüdin. Und er selbst hat sich noch von niemandem etwas sagen lassen. Der Querkopf ist auch ein Starrkopf. Doch allmählich bekommen Hakenkreuze ihren Platz in seinen Skizzen des Weltgebäudes. Er und seine Frau geraten dennoch unaufhaltsam in die Todesmühlen des NS-Regimes. Peter Bender soll 1944 im KZ Mauthausen gestorben sein.

Er habe für seine Rekonstruktion der Lebensgeschichte Peter Benders umfassend recherchiert, schreibt Setz. Ob auch diese Aussage als Teil der dichterischen Freiheit zu nehmen ist, lässt sich auf die Schnelle kaum nachprüfen. In jedem Fall enthält er sich in "Monde vor der Landung" jeder Parteinahme, zeichnet ein Leben, das ständig an der Kippe stand und teilweise im Gefängnis und in der Nervenklinik geführt wurde. Am ergreifendsten wirkt der Kampf seiner Frau Charlotte, die Abstempelung ihres Mannes zum Geisteskranken zu verhindern und ihn einfach als außergewöhnlichen Geist zu akzeptieren.

Ironie hebt sich Setz für Äußerungen außerhalb seines Romans auf. "Was würde Peter Bender wohl heute für eine Gemeinde gründen?", wird er in einem vom Verlag verbreiteten Interview gefragt - und antwortet: "Möglicherweise wäre er heutzutage ein ganz angesehener deutscher Politiker geworden."

(S E R V I C E - Clemens J. Setz: "Monde vor der Landung", Suhrkamp Verlag, 528 Seiten, mit Abbildungen, 26,80 Euro, Lesungen am 15.2. im Literaturhaus Graz, am 9.3. in der Alten Schmiede Wien, am 13.3. im StifterHaus Linz)

ribbon Zusammenfassung
  • Ihr widmet sich Clemens J. Setz in seinem neuen Roman.
  • Er selbst ist von UFO-Sichtungen fasziniert, seine Bücher erzählen von Grenzbereichen, die zu betreten immer etwas Unheimliches hat.
  • Auch Peter Bender, der Protagonist von "Monde vor der Landung", ist kein angenehmer Zeitgenosse.
  • Peter Bender soll 1944 im KZ Mauthausen gestorben sein.
  • Er habe für seine Rekonstruktion der Lebensgeschichte Peter Benders umfassend recherchiert, schreibt Setz.

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