Salzburger Pfingstfestspiele - Es tanzt der "Tod in Venedig"
Nach unglaublichen 50 Jahren als Intendant des Hamburg Balletts hat John Neumeier (86) zum Ende der vergangenen Spielzeit den Ruhestand angetreten und an Demis Volpi übergeben. Ganze 174 Ballette schuf Neumeier für seine Compagnie, deren zentrale Tänzerinnen und Tänzer teilweise heute noch aktiv sind: Anna Laudere, hier mit einer mehrfach gespiegelten, wunderbar kindlichen Mutterrolle ausgestattet, oder Silvia Azzoni und Alexandre Riabko, die schon lange die intellektuell gehegten, trostspendenden "Konzepte" des alternden Künstlerfürsten Aschenbach verkörpern.
Aber auch eine junge Generation aus der hauseigenen Kaderschmiede drängt in die bekannten Partien: Caspar Sasse etwa, der in der neuen Einstudierung mit federnder Leichtigkeit den jungen Tadzio gibt, während jener Tänzer, der die Rolle damals gemeinsam mit Neumeier kreierte, Edvin Revazov, in die hoch komplexe Figur des gealterten Aschenbach gereift ist. Eitel, taumelnd, eingesperrt in sich und doch nach einer letzten Freiheit ringend, ist die Partie zugleich Loblied und Abgesang auf die menschliche Sterblichkeit und in ihrer Unmittelbarkeit ganz großes Tanztheater.
"Tod in Venedig" ist Neumeier im besten Sinne. Seine Fähigkeit, nicht nur Musik, sondern auch Literatur in die Leibhaftigkeit seiner Tänzer einzuschreiben, ist stilgebend für das zeitgenössische Handlungsballett, zu dem er sich unerschrocken bekennt. Der literarische Ausgangspunkt bleibt nicht Vorlage, sondern wird seinem Wesen nach in Raum, in Muskel, in Rotation transkribiert. Und in Musik: Neumeier setzt auf eine Collage aus Bach und Wagner, aus Orchester vom Band und Solo-Klavier live (David Fray), dazwischen ein wenig Jethro Tull, ein traumwandlerischer Mix, der wohltuend verunsichert.
John Neumeier ließ sich persönlich feiern
Nach viel Begeisterung für die Compagnie freute sich das Salzburger Publikum besonders über den persönlichen Besuch des Choreographen, der seinen Tänzerinnen und Tänzern zuletzt vor den Vorhang folgte, vom Zuspruch sichtlich bewegt. Pfingst-Intendantin Cecilia Bartoli dankte mit Blumen. Ihre heuer unter venezianischem Motto stehenden Festspiele gehen morgen mit einer prunkvoll besetzten konzertanten "La Traviata" weiter und enden am Montag nach einer Matinee mit Matthias Goerne in einer großen Rossini-Gala in der Felsenreitschule.
(Von Maria Scholl/APA)
(S E R V I C E - "Tod in Venedig. Ein Totentanz von John Neumeier", Gastspiel des Hamburg Ballett. Choreographie und Inszenierung: John Neumeier, Bühne: Peter Schmidt, Klavier: David Fray. Mit Edvin Revazov, Anna Laudere, Caspar Sasse, Silvia Azzoni uvm. www.salzburgerfestspiele.at)
Zusammenfassung
- Das Hamburg Ballett präsentierte am Samstagabend John Neumeiers Ballett 'Tod in Venedig' als Gastspiel bei den Salzburger Pfingstfestspielen, 20 Jahre nach der Uraufführung und nach dem Ende von Neumeiers 50-jähriger Intendanz.
- Die Aufführung markiert einen Generationenwechsel: Neben erfahrenen Tänzern wie Anna Laudere und Edvin Revazov treten junge Talente wie Caspar Sasse in zentrale Rollen.
- John Neumeier, der insgesamt 174 Ballette für seine Compagnie schuf und mit 86 Jahren anwesend war, wurde vom Publikum und von Intendantin Cecilia Bartoli persönlich geehrt.