Säbeltanz im Walzertakt: "Imperial Ball" im Museumsquartier
Der für seine Ausstattung von "Tiger & Dragon" mit einem Oscar ausgezeichnete Hongkonger Szenograf Tim Yip hat einen großen, reich beladenen Esstisch vor eine kathedralenartige Rückwand gestellt. Kerzenflackern und bunte Glasfenster bieten eine Fülle von Schauwerten, die an die Filme von Peter Greenaway erinnert, vom Ausstatter "Neuer Orientalismus" genannt wird, und gegen die sich erst einmal schwer ankommen lässt.
Was mehr nach Bankett denn nach Ball aussieht, wird sogleich mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen: Der Ballsaal ist auch ein Trainingssaal für Soldaten, die in historischen Uniformen den Nahkampf üben. Bald kommen auch blitzende Säbel ins Spiel. Die Säbeltänze, für die Johann Strauss statt Aram Chatschaturjan die Musik beisteuert, sind martialisch. Immer wieder wird dem Gegenüber spielerisch die Kehle durchschnitten oder der Leib durchstoßen. Tanzen und Sterben sind hier eins, und der Tod, der im schwarzen Ballkleid als Mischung zwischen Conchita und Sissi auftritt, steht fast immer im Zentrum.
Mitunter wirkt "Imperial Ball" als choreografierte Kurzfassung des neuen Buches des Historikers Philipp Ther, der in "Der Klang der Monarchie" den Zusammenhang von Macht und Musik darstellt. Der Rausch der Walzerseligkeit sollte davon ablenken, dass ein riesiges Reich, das nicht imstande war, die Zeichen der Zeit zu erkennen, dem Untergang entgegentaumelte. Gestorben wird im Ballsaal, der immer wieder zum Schlachtfeld wird, aber nicht zum Radetzky-Marsch (der für Kritiker zum Synonym für die blutige Unterdrückung von Emanzipations- und Freiheitsbewegungen wurde), sondern zu "Tik-Tak Polka" und "Unter Donner und Blitz".
Und jetzt: Alles Donauwalzer!
Nach rund zwei Dritteln der 90-minütigen Aufführung nimmt das Ensemble des Ballet du Grand Théâtre de Genève, das mit seinen Fertigkeiten auf der Bühne deutlich mehr überzeugt als das Wiener KammerOrchester unter der Leitung von Constantin Trinks im Orchestergraben, für den Donauwalzer Aufstellung. Sidi Larbi Cherkaoui, mehrfach zum Choreografen des Jahres gewählt, empfiehlt sich damit eindrücklich für alle einschlägigen Balletteinlagen rund um Silvester und Neujahrskonzert - nicht mehr und nicht weniger. Genderfluidität und Gesellschaftskritik - alles da, was es heutzutage dafür braucht!
Und doch stellt sich bald eine Art von Übersättigung ein, gegen die asiatische Askese möglicherweise das richtige Rezept wäre. Was genau Cherkaoui mit den eingefügten Kontrasten durch drei japanische Musiker, mit denen er schon lange arbeitet (Percussionistin Tsubasa Hori, Multiinstrumentalist Shogo Yoshii und Sänger Kazutomi "Tsuki" Kozuki) bezweckt, erschließt sich auf der Bühne jedoch kaum.
"Wenn man aufhört, die Unfreiheit zu fürchten, und den Geist mit ihr versöhnt, erfährt man die wahre Freiheit", heißt es in seinem japanisch rezitierten Schlusstext, dessen Übersetzung man im Programmheft nachlesen kann. Es gehe darum, "die Wellen nicht aufzuhalten, sondern als Welle zu leben". Als Donauwelle etwa? Na dann: Alles Donauwalzer!
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Imperial Ball", Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui, Bühnenbild und Kostüme: Tim Yip, Ensemble des Ballet du Grand Théâtre de Genève, Wiener KammerOrchester, Musikalische Leitung: Constantin Trinks. Eine Produktion des Grand Théâtre de Genève, Johann Strauss 2025 Wien und der Eastman Dance Company in Kooperation mit ImPulsTanz und dem Tanzquartier Wien. MuseumsQuartier - Halle E. Weitere Vorstellungen am 5. und 6.12., 19.30 Uhr. https://www.johannstrauss2025.at/event/imperial-ball/)
Zusammenfassung
- Der als letzter Höhepunkt des Strauss-Jahres angekündigte "Imperial Ball" von Sidi Larbi Cherkaoui wurde am Mittwoch in der Halle E des Wiener Museumsquartiers uraufgeführt und läuft noch bis 6. Dezember.
- Die 90-minütige Produktion zeigt eine opulente Ausstattung von Oscar-Preisträger Tim Yip und kombiniert Walzer, Polkas und Märsche von Johann Strauss mit japanischen Kompositionen sowie martialischen Säbeltänzen.
- Tänzerisch überzeugte vor allem das Ensemble des Ballet du Grand Théâtre de Genève, während Themen wie Genderfluidität, Gesellschaftskritik und der Tod im Zentrum der Inszenierung stehen.
