APA/APA/Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Premiere "Kallirhoe": Getanzter Männerkampf um eine Frau

Heute, 09:22 · Lesedauer 4 min

Im neuen Ballett an der Wiener Staatsoper, der ersten Premiere unter der Direktorin Alessandra Ferri, geht es um Männer, die glauben, alles gehöre ihnen: auch die Titelheldin. Üppig und theatralisch bot sich die europäische Erstaufführung von Alexei Ratmanskys "Kallirhoe": mit Piraten, die Frauen entführen und Männern mit geschwellter Brust. Es beeindruckten die neu engagierten Solotänzer Madison Young und Victor Caixeta als Liebespaar. Dem Publikum gefiel's.

Die Geschichte der Kallirhoe zu vertanzen muss eine echte Herausforderung gewesen sein. Sie basiert auf einem zweitausend Jahre alten Roman und es gibt viel Geschichte, vielleicht sogar zu viel, aber in einer Nussschale: Kallirhoe heiratet ihre große Liebe Chaereas (der Brasilianer Victor Caixeta), doch sie ist so unglaublich schön, so schön "wie Aphrodite selbst", alle Männer reißen sich um sie und Madison Youngs Heldin taumelt im Laufe des Abends von einem zum anderen.

Drei eifersüchtige Verehrer hecken einen Plan aus, um das Paar auseinanderzubringen. Es gelingt ihnen - und noch bevor der erste Akt zu Ende ist, wurde die schöne Kallirhoe bereits für tot erklärt, zweimal verheiratet, geschwängert, von Piraten entführt, und als Sklavin verkauft.

In gewisser Weise ist "Kallirhoe" auch eine Hommage an die Ballettstücke, mit denen Ratmansky - der am Bolschoi ausgebildet wurde - aufgewachsen ist: maskuline, sowjetische Klassikern wie "Spartakus". Es gibt viele Stellen, an denen die Männertruppe eine spartakusartige, donnernde, springende Diagonale vollführt, während der Frauencorps über die Bühne auf Spitzen trippelt.

Der in Amerika lebende ukrainische Choreograph, den das Wiener Publikum bereits durch die Ballettstücke "Pictures at an Exhibition" und "24 Préludes" sowie seine Inszenierung für den Opernball 2024 kennen könnte, hat "Kallirhoe" unter dem Titel "Of Love and Rage" bereits 2020 mit dem American Ballet Theatre uraufgeführt, wo Ferri in den 1980er-Jahren als Primaballerina engagiert wurde. Die Wahl von Ratmansky für ihre erste Premiere ist nicht nur eine selbstbewusste, sondern auch eine politische. Der Name des Künstlers wurde in Russland inzwischen von Plakaten und Besetzungslisten gestrichen.

Ein Highlight: Der Säbeltanz

Der heimliche Star des Abends war die überschwängliche Musik von Komponist Philip Feeney, der die Partitur von Aram Chatschaturjan, die er für sein 1930er-Jahre Ballett "Gayaneh" schrieb, neu arrangiert hat. Das Liebesduett, in dem Chaereas seine Geliebte um Vergebung bittet (weil er sie für untreu hielt und um die halbe Welt geschickt hat), wird zum gefühlvollen "Gayaneh Adagio" getanzt. Die entscheidende Schlacht am Ende ist mit dem berühmten "Säbeltanz" untermalt, der mit seinen wiederholten Stakkato-Noten und Messing-Glissandos ein tänzerisches Feuer auf der Bühne auslöst, das man sich vielleicht schon eher an diesem Abend gewünscht hätte.

Die Bühne, die an diesem Abend in verschiedene Blautöne getaucht war (auch die griechisch-antik anmutenden Kostüme von Jean-Marc Puissant) mit klassischen Säulen und Felsen, wird plötzlich blutrot, und die männlichen Tänzer machen Hirschsprünge und schnelle Pirouetten. Tosender Zwischenapplaus für Victor Caixeta, der unermüdlich in diagonalen Sprüngen über die Bühne wirbelte. In einer männlichen Nebenrolle hätte ihm Alessandro Frola mit seiner kraftvollen Darbietung als zweiter Ehemann fast die Show gestohlen. Die US-amerikanische Madison Young zeigte, dass sie weitaus mehr ist als schön: eine Kallirhoe, die sich am Ende nimmt, was sie will.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "Kallirhoe" in der Wiener Staatsoper, Opernring 2, 1., Wien. Musikalische Leitung: Paul Connelly, Choreografie: Alexei Ratmansky, Dramaturgie & Libretto: Guillaume Gallienne nach dem Roman "Kallirhoe" von Chariton von Aphrodisias, Musik: Aram Chatschaturjan arrangiert von Philip Feeney, Bühne & Kostüme: Jean-Marc Puissant, Licht: Duane Schuler, Einstudierung: Nancy Raffa und Eric Tamm. Weitere Vorführungen am 26., 28., 31. Oktober, am 10. November und am 4., 5., 7. Und 12. Jänner 2026. https://www.wiener-staatsoper.at)

Zusammenfassung
  • Die europäische Erstaufführung von Alexei Ratmanskys Ballett "Kallirhoe" an der Wiener Staatsoper begeisterte das Publikum mit einer üppigen und theatralischen Inszenierung rund um den Männerkampf um die schöne Titelheldin.
  • Die neu engagierten Solotänzer Madison Young und Victor Caixeta überzeugten als Liebespaar, während die Musik von Philip Feeney, darunter der berühmte "Säbeltanz", für musikalische Höhepunkte sorgte.
  • Die Premiere markierte den Auftakt unter Direktorin Alessandra Ferri, weitere Aufführungen finden am 26., 28., 31. Oktober, am 10. November sowie am 4., 5., 7. und 12. Jänner 2026 statt.