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Pia Hierzeggers Tour de Force: "The Second Woman"

29. Mai 2025 · Lesedauer 4 min

Ein und dieselbe Szene 100 Mal wiederholen zu müssen, ist wohl der Albtraum jeder Schauspielerin, aber genau das tut Pia Hierzegger gerade bei den Wiener Festwochen im Museumsquartier - um genau zu sein: bis heute Donnerstagabend 18 Uhr. So, als wäre die Künstlerin in einer Zeitschleife gefangen, spielt sie 24 Stunden lang dieselbe Beziehungsszene - und es ist großartig. Wie lange man dabei zusehen möchte, entscheidet man selbst. Es gibt noch Tickets um 10 Euro.

Auf der Bühne in der Halle E des Museumsquartiers steht eine in pinkes Licht getauchte Glasloge mit rotem Teppich und kirschroten Vorhängen. An der Wand in rosaroten Neonbuchstaben steht der Titel des Stücks: "The Second Woman". Was er bedeutet, ließ sich gestern Abend, als die Performance begann, nur erahnen. Es ist jedenfalls ein Raum, der die Farben und die Atmosphäre von Luis Buñuels "Belle de Jour" heraufbeschwört und an eine Szene mit Nastassja Kinski in Wim Wenders "Paris, Texas" erinnert. Aber die Situation, die sich hier vor den Augen des Publikums abspielt, wurde von John Cassavetes 1977er Filmdrama "Opening Night" inspiriert.

Die wunderbare Hierzegger, die Virginia spielt, weist dann auch mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit Gena Rowlands auf, wenn sie in einem roten Kleid und blonder Perücke hereinschlurft und einen Barwagen mit Whiskey vor sich herschiebt. Sie setzt sich auf einen Stuhl, um sich auf das bevorstehende Treffen vorzubereiten. Lange sagt sie gar nichts, schaut nur ins Narrenkastl.

Eine Person, die jemanden namens Marty spielt, kommt herein. Er hat chinesische Nudeln mitgebracht. Sie trinken Whiskey, und Virginia macht sich selbst fertig, will ihm vielleicht auch einfach Komplimente entlocken. Man weiß es nicht so genau. "Ich hab dich nicht verdient", sagt sie. "Ich war nie gut genug, oder?" Jeder der Mitwirkenden stottert pflichtbewusst irgendetwas von "Vielschichtigkeit". Ein selbstgefälliger Spruch bringt Virginia dazu, Marty ihre Nudeln auf seine Brust zu werfen. Sie schaltet die Stereoanlage ein - die 70er-Jahre Nummer "Taste of Love" von der Band Aura ertönt.

Meisterleistung in Körperkomik

Was sich dann auf der Bühne abspielt, ist eine Meisterklasse in Körperkomik. Das Publikum, das an diesem Abend kommt und geht, beginnt zu lachen, und Hierzegger steigert sich in einen grotesken Tanz, den man selbst gesehen haben muss. Sie rekelt sich in den Armen der Männer, mal hängt sie schlaff wie eine Puppe, mal steif. Irgendwann sinkt sie in ihn hinein und landet oft auf dem Boden. Die Szene verliert auch nach ihrer 16. Wiederholung nicht an Reiz. Dann schaltet sie die Musik aus, bietet ihm Geld an und bittet ihn zu gehen. Er sagt ihr, dass er sie liebt (oder auch nicht liebt) und geht. Sie räumt alles auf, setzt sich wieder, und so geht es 24 Stunden lang. Immer und immer wieder.

Hierzegger hat zwar einen festen Text, aber die anderen können bis auf wenige Vorgaben frei improvisieren, was die in Graz geborene Darstellerin potenziell verletzlich macht. Manche Männer wirken steif und schüchtern, andere selbstbewusst, fast arrogant, und auch Festivalintendant Milo Rau schaut als Liebhaber Nummer 4 in grauem Mechanikeroverall vorbei. Auf der Liste der 100 Personen stehen auch bekannte Künstler wie Dirk Stermann, und nicht nur Männer, sondern auch Frauen, aber die meisten von ihnen sind keine ausgebildeten Schauspieler. Sie haben unterschiedliche Formen, Größen, und Ethnien. Manche legen ihre Figur romantisch an, manche komisch. Viele fallen aus ihrer Rolle und lachen.

Therapiesitzung und Spektakel

Das Stück, das von den Australiern Nat Randall und Anna Breckon geschaffen und im Jahr 2017 in Sydney uraufgeführt wurde, wird als Auseinandersetzung mit Geschlechterdynamiken angepriesen, doch das wirkt zu vereinfacht. Es geht um Beziehungen als Performance, die Grenze zwischen Schauspiel und Realität. Es geht um Klischees, die wir verinnerlicht haben und nicht zuletzt auch um das Publikum selbst, das über die Eitelkeiten und Grausamkeiten so mancher Männer lacht.

Das hauptsächliche Vergnügen besteht darin, Hierzeggers Klugheit, Verspieltheit und ihre sich fortwährend verändernde Gesichtslandschaft zu beobachten. Ihr Blitzen in den Augen. Ihre Offenheit. Ihre Wut. Alle zwei Stunden gönnt sie sich eine 15-minütige Pause. Ansonsten ist sie permanent im Blickfeld. Eine Livekamera auf der Bühne verfolgt alles mit und projiziert es auf eine Leinwand. Mit jeder Wiederholung wird man süchtiger. Stunden später, zu Hause, sehnt man sich zurück in diesen Kokon, wo die Zeit still zu stehen scheint.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "The Second Woman" von Nat Randall und Anna Breckon mit Pia Hierzegger. Übersetzung Text: Nina Frey. Sounddesign: Nina Buchanan. Bühne: Future Method Studio. Originaldesign Haare und Makeup: Sophie Roberts. Gastspiel im Rahmen der Wiener Festwochen in der Halle E im Museumsquartier, www.festwochen.at)

Zusammenfassung
  • Pia Hierzegger spielt bei den Wiener Festwochen im Museumsquartier Wien 24 Stunden lang dieselbe Beziehungsszene 100 Mal hintereinander.
  • Die Performance 'The Second Woman', die 2017 in Sydney uraufgeführt wurde, basiert auf John Cassavetes' 'Opening Night' und thematisiert Beziehungen, Geschlechterklischees und die Grenze zwischen Schauspiel und Realität.
  • Insgesamt 100 Mitwirkende – darunter Männer, Frauen und Prominente wie Dirk Stermann und Milo Rau – improvisieren als Hierzeggers Gegenüber, während sie selbst einem festen Text folgt.
  • Das Publikum kann flexibel und für 10 Euro Tickets beliebig lange zusehen, während eine Livekamera das Geschehen auf eine Leinwand überträgt.
  • Alle zwei Stunden gönnt sich Hierzegger eine 15-minütige Pause, bleibt ansonsten aber 24 Stunden lang nahezu ununterbrochen im Rampenlicht.