"Œdipe" bot erfolgreichen Start der Bregenzer Festspiele
Es ist eine der uralten Menschheitstragödien, die der Rumäne Enescu (1881-1955) und sein Librettist Edmond Fleg unter Rückgriff auf die Sophokles-Dramen "König Ödipus" und "Ödipus auf Kolonos" in der 1936 in Paris uraufgeführten, französischsprachigen Oper erzählen. Er erzählt sie nicht neu, aber effektvoll - mit mächtig ausholender, den Zuhörer aber nie überfordernder Musik, etlichen wuchtigen Chorpassagen und Partien, die den Sängerinnen und Sängern alles abverlangen.
Die Mezzosopranistin Paasikivi war 15 Jahre lang Ensemblemitglied an der Finnischen Nationaloper, ehe sie diese ein Jahrzehnt lang leitete. Diese Erfahrung macht sich nun offenbar bezahlt, denn für Besetzungen scheint sie ein echtes Händchen zu haben. Die Produktion hat sängerisch keine Schwachstelle. Allen voran der Franzose Paul Gay in der Titelrolle füllt mit seinem beeindruckend geführten Bassbariton den Saal und kann dem Schicksal ebenso wie dem Bass des Kroaten Ante Jerkunica als Seher Tirésias trotzen. Tuomas Pursio als Créon, Michael Heim als Laïos, Marina Prudenskaya als Jocaste und Anna Danik als Sphinx sind ihnen beinahe ebenbürtig.
Doch der mit fast dreieinhalb Stunden ein wenig lang geratene Abend ist nicht nur ein Ohren-, sondern auch ein Augenschmaus. Regisseur Andreas Kriegenburg setzt weniger auf psychologische Personenführung als auf ein prägnantes optisches Konzept und ordnet jedem der vier Akte einen anderen Stoff zu. Die Tragödie des Ödipus führt über das Feuer ins Wasser, von dort über die Asche ins Holz. Das klingt banaler als es ist und sorgt durch eine Zusammenarbeit von Bühnenbildner Harald B. Thor, Kostümbildnerin Tanja Hofmann und Lichtdesigner Andreas Grüter in jedem Akt für einen stimmigen Gesamteindruck.
Klares Konzept, kräftige Farben
In kräftigen Rottönen feiert um eine lodernde Feuerschale das Volk von Theben ausgelassen die Geburt eines Thronfolgers, ehe Tirésias den bitteren Spaßverderber gibt und den Orakelspruch enthüllt, den König Laïos vor seiner Frau und seinem Volk enthüllt hat und nicht erst seit Sigmund Freud Teil der Kultur- und Zivilisationsgeschichte des Westens ist: Sein Sohn werde ihn dereinst erschlagen und seine eigene Mutter heiraten. Die Mordtat selbst, mit der sich der erste Teil des Fluchs erfüllt, wird von Kriegenburg in weiße Nebelwolken gehüllt. Von dort geht es ins Blaue hinein - und zur Sphinx, die so gar nichts Altägyptisches an sich hat, sondern ein Todesengel mit riesigen, von vier Sklaven bewegten Flügeln ist.
Dass hier nicht nur optisch, sondern auch textlich die Geschichte an einer Zentralstelle eine andere Wendung nimmt, geht beinahe unter - eine der wenigen Schwachstellen dieser ansonsten mustergültigen Inszenierung. Anstelle des üblichen Rätsels nach dem Wesen mit zwei, drei und vier Füßen lautet die Frage der Sphinx: "Was ist stärker als das Schicksal?" Dass auch hier die richtige Antwort "Der Mensch" wird am Ende des Abends noch bekräftigt. Nach dem grauen Schrecken, der Theben und den Königshof erfasst, als sich enthüllt, dass Ödipus den Orakelspruch erfüllt hat, erreicht der blinde, von seiner Tochter Antigone geführte Verstoßene einen heiligen Hain. Der Mensch kann das Schicksal überwinden und Frieden finden.
Nur noch zwei Vorstellungen
Stürmischer Jubel beendete die erste Premiere der neuen Intendanz. Am Donnerstag kann man mit der Premiere der Reprise des "Freischütz" auf der Seebühne noch einmal auf die alte Ära zurückblicken. Wer aber die formidable "Hausoper" des Jahres 2025 sehen möchte, sollte kurz entschlossen sein. Nur noch zwei Aufführungen stehen am Programm. Dann droht diese so aufwändige wie sehenswerte Produktion wieder zu verschwinden, ohne dass sie künftig das Repertoire eines Opernhauses schmückte. Das ist aber nicht Schicksal, sondern: ein Jammer.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Œdipe" von George Enescu, Tragédie lyrique in vier Akten und sechs Bildern (1936), Libretto von Edmond Fleg, Inszenierung: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Tanja Hofmann, Musikalische Leitung: Hannu Lintu. Wiener Symphoniker. Mit: Paul Gay - Œdipe, Ante Jerkunica - Tirésias, Tuomas Pursio - Créon, Mihails Čuļpajevs - Le Berger, Nika Guliashvili - Le Grand Prêtre, Vazgen Gazaryan - Phorbas / Le Veilleur, Nikita Ivasechko - Thésée, Michael Heim - Laïos, Michael Heim, Marina Prudenskaya - Jocaste, Anna Danik - La Sphinge, Iris Candelaria - Antigone, Mérope - Tone Kummervold. Prager Philharmonischer Chor. Festspielhaus Bregenz. Weitere Vorstellungen: 20.7., 11 Uhr, 28.7., 19.30 Uhr. https://bregenzerfestspiele.com/de/musiktheater/oedipe )
Zusammenfassung
- Mit der Premiere von George Enescus Oper "Œdipe" starteten die 79. Bregenzer Festspiele am Mittwochabend mit großem Jubel.
- Die neue Intendantin Lilli Paasikivi überzeugte mit der Wahl von Regisseur Andreas Kriegenburg und Dirigent Hannu Lintu, der die Wiener Symphoniker zu Höchstleistungen führte.
- Sängerisch stach besonders Paul Gay in der Titelrolle hervor, unterstützt von Ante Jerkunica, Tuomas Pursio, Michael Heim, Marina Prudenskaya und Anna Danik.
- Die Inszenierung beeindruckte mit einem klaren optischen Konzept, kräftigen Farben und unterschiedlichen Materialien in jedem der vier Akte.
- Nur noch zwei Vorstellungen von "Œdipe" stehen am Programm: am 20. Juli um 11 Uhr und am 28. Juli um 19:30 Uhr.