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NHM nimmt koloniales Erbe in Sammlungen in den Fokus

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Ein neueres Kapitel in der stark auf die NS-Zeit fokussierten Provenienzforschung schlagen nun heimische Museen auf - die Auseinandersetzung mit Sammlungsgegenständen mit kolonialer Vergangenheit. In vier Pilot-Forschungsprojekten werden nun Grundlagen zum Umgang damit erarbeitet. Eines davon läuft am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, wo kommende Woche auch ein Workshop geplant ist. Die Rückgabe etwa von menschlichen Überresten stehe aber noch nicht im Fokus, so Experten.

In Österreich, mit seiner bekanntlich sehr überschaubaren eigenen Geschichte als Kolonialmacht, sei das Thema im Gegensatz zu Deutschland noch nicht breiter in der Diskussion angekommen, hieß es bei einem Hintergrundgespräch am NHM. Demgegenüber hat sich im Bereich der Restitution von Kulturgütern im Zusammenhang mit der NS-Zeit hierzulande zumindest in den vergangenen Jahrzehnten einiges bewegt.

Auch wenn das Thema in den Häusern bereits seit Jahrzehnten angekommen sei, gehe es nun darum, größere "Forschungsstrategien zu entwickeln", wie man mit Objekten mit kolonialem Hintergrund in musealen Sammlungen künftig umgehen will, erklärte die Generaldirektorin und wissenschaftliche Geschäftsführerin des NHM, Katrin Vohland, gegenüber Journalisten. Wie viele der Millionen Bestandteile der naturkundlichen Sammlungen in dem erweiterten kolonialen Zusammenhang gesehen werden könnten und sollten, lasse sich zur Stunde keineswegs sagen. Zuerst müsse man abstecken, mit welcher Definition man eigentlich an das vielfach "unterbelichtete Thema" österreichischer Kolonial-Bezüge herangehen kann, so der Leiter des Archivs für Wissenschaftsgeschichte des NHM, Martin Krenn.

Zuerst gehe es darum, den Blick mit dieser Brille über die Bestände schweifen zu lassen. Am NHM hat man sich im Rahmen des Forschungsprojekts - ähnliche Vorhaben laufen auch im Weltmuseum, dem Technischen Museum und am MAK - die Zeit von 1876 bis 1918 vorgenommen. Dabei handle es sich um die "große Zeit der Sammlungseinbringung" des Hauses - auch wenn dieser Rahmen etwa nicht die 1817 gestartete Brasilien-Expedition oder die Expedition der "Novara" (1856-1859) umfasst. Nach dem Ende der Habsburgermonarchie 1918 habe sich in diesem Zusammenhang nur noch sehr wenig getan.

Methodisch gehe man ähnlich wie bei der NS-Provenienzforschung vor, geht es doch in erster Linie um die Frage, was wie und über wen an das Museum gekommen ist. Es gebe aber auch klare Unterschiede, so die Leiterin der Kommission für Provenienzforschung beim Kulturministerium, Pia Schölnberger. Denn im NS-Kontext können Fragen zur etwaigen Restitution eines Objekts auch von externen Experten geklärt werden. Bei naturwissenschaftlichen Sammlungen müsse man noch stärker "das Objekt an sich verstehen", die Expertise liege mehr in den Häusern selbst und die zeitlichen Abstände seien vielfach noch größer. Das mache die Nachforschungen komplexer bzw. Wege gar nicht mehr nachvollziehbar, sagte Schölnberger, die kürzlich als Herausgeberin des Buches "Das Museum im kolonialen Kontext" fungierte.

Vielleicht am greifbarsten im naturkundlichen Kontext wird die Problematik bei menschlichen Überresten, die in den Archiven lagern. Am NHM zähle man rund 40.000 sogenannte "human remains", aus Ländern mit kolonialem Hintergrund seien es rund 3.000, so Expertinnen von der Anthropologischen Abteilung des Hauses. Eine Rückgabe an Vertreter jener Volksgruppen, von deren Vorfahren die Überreste stammen, würde allerdings bei weitem nicht in allen Fällen angestrebt, erklärte NHM-Forscherin Sabine Eggers. Die Forschung in diesem Bereich bedeute nicht gleich den Weg in Richtung Restitution. So sei man etwa mit Maori-Vertretern aus Neuseeland in gutem Kontakt, was etwa die Überreste betrifft, die von dem Forschungsreisenden Andreas Reischek im 19. Jahrhundert nach Wien mitgebracht wurden.

Derartige Anfragen würden oft eine Flut an Grundlagenforschung auslösen. Im Gegensatz zu anderen Ländern macht Neuseeland auch genaue Vorgaben zum Umgang mit "human remains". Der Forschungsbedarf sei jedenfalls groß. Alleine für das Durchforsten der laut Krenn "in einer ganz grauslichen Handschrift" angefertigten Aufzeichnungen Reischeks bräuchte es ein eigenes mehrjähriges Projekt. Bei der Arbeit dürfe man jedenfalls auch nicht davor zurückschrecken, "große Namen der Hausgeschichte zu entmystifizieren", so der Archivleiter.

Letztlich gehe es auch viel um Beziehungsaufbau zu indigenen Gruppen. So habe man vor einiger Zeit über die Online-Plattform Instagram Vertreter von früheren Ureinwohnern Feuerlands ausfindig gemacht. Über ein Jahr hinweg habe sich hier der Kontakt entwickelt, sagte Eggers. Kürzlich habe man gemeinsam auf einer wissenschaftlichen Konferenz gesprochen.

(S E R V I C E - Informationen zum NHM-Projekt: https://www.nhm-wien.ac.at/forschung/projekt_koltext; Informationen zum Buch: "Das Museum im kolonialen Kontext", Pia Schölnberger (Hg.), Czernin Verlag, 464 Seiten, 35 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Ein neueres Kapitel in der stark auf die NS-Zeit fokussierten Provenienzforschung schlagen nun heimische Museen auf - die Auseinandersetzung mit Sammlungsgegenständen mit kolonialer Vergangenheit.
  • In vier Pilot-Forschungsprojekten werden nun Grundlagen zum Umgang damit erarbeitet.
  • Eines davon läuft am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, wo kommende Woche auch ein Workshop geplant ist.

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