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Musiker Ulrich Drechsler begibt sich auf "Reise ins Neuland"

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Ulrich Drechsler versteht sich im Understatement. "Prinzipiell bin ich nie stolz auf meine Musik", sagt der Saxofonist und Klarinettist vor der Veröffentlichung des Albums "Azure". Es ist der neueste Teil seines Projekts "Liminal Zone", mit dem er seit 2018 seine stilistische Vielfalt nach Herzenslust auslebt. "Damit habe ich begonnen, mich aus dem Schubladendenken zu verabschieden. Ich habe mir eine Pippi-Langstrumpf-Welt gebaut und sage dezidiert: Ich mache, was ich will."

Wobei der gebürtige Deutsche, der schon seit vielen Jahren in Österreich lebt, arbeitet und musiziert, eigentlich noch nie für engstirniges Genredenken bekannt war. Doch die neue Spielwiese ist selbst im Vergleich zu seinem Cafe Drechsler noch mal ein großer Schritt, angefangen beim 2020 erschienenen Album "Caramel", das Jazz, World Music und Minimal kombinierte, über das neoklassische "Chrome" im Jahr darauf bis zu "Azure". Der neueste Streich ist Drechslers Version einer extrem energetischen, dabei sehr anspruchsvollen Clubmusikplatte. "Und das mit meinem Repertoire, meinen Möglichkeiten, meinen Line-ups", beschrieb er die Herausforderung im APA-Interview.

Das Ergebnis kann sich definitiv hören lassen: Vom kraftvollen Opener "The Overview Effect" über das aus ruhigen Gefilden sich erhebende "Naked Singularity" bis zum auf sperrige Rhythmik setzenden "Shoreless 9mm" passiert in dieser Dreiviertelstunde ungemein viel. "Liminal Zone" sei zwar alles andere als abgeschlossen, aber jetzt sei aus musikalischer Sicht ein Durchschnaufen angesagt. "Die Gesamtidee hat sich in den vergangenen Jahren ein bisschen geändert. Am Anfang war es ein rein musikalischer Baukasten, jetzt ist es eigentlich ein Gesamtkonzept geworden, bei dem ich auf mehreren Ebenen parallel denke und agiere. Dadurch ergeben sich auch andere Möglichkeiten."

Heißt konkret: Remix-Platten mit jungen Elektronikkünstlern sind nun ebenso Teil des Vorhabens wie kuratierte Konzertreihen oder Listeningsessions. "Die Idee 'Ulrich Drechsler gibt ein Konzert und die Leute haben zu kommen' funktioniert nicht mehr", meinte der Musiker. "Das hat auch Corona mit sich gebracht, wobei ein Großteil dieser Branche das noch nicht verstanden hat. Ich muss das Ganze also anders gestalten. Klar: Musik wird immer der zentrale Baustein bleiben. Aber in allem, was ich mache, geht es darum, wie ich es schaffe, mein Publikum noch direkter zu erreichen."

Eine Frage sei dabei auch, ob physische Tonträger künftig überhaupt noch Sinn machen. "Ich denke schon an die nächste 'Caramel'-Platte - aber vielleicht wird es auch ein Programm. Der Markt digitalisiert sich immer mehr, während der physische Vertrieb stagniert. Da können auch die paar Vinyls, die mehr verkauft werden, nicht darüber hinwegtäuschen." War es früher für ihn kein Problem, seine Albenproduktionen zu refinanzieren, werde dies zusehends schwieriger. "Alle meine Produktionen konnte ich autark finanzieren, aber jetzt frage ich mich: Was macht noch Sinn? Gebe ich 20.000 oder 30.000 Euro für eine Platte aus, die sich nach drei oder vier Jahren nicht mal zur Hälfte refinanziert hat? Selbst wenn ich die Musik nur digital veröffentliche, habe ich trotzdem noch die Studiokosten."

Fürs Musikmachen habe er "Ideen ohne Ende", aber die Vermarktung sei mittlerweile zu einem zentralen Element geworden. "Es muss ja immer alles neu und exklusiv sein, der heiße Scheiß sozusagen. Ohne eine Geschichte funktioniert es nicht mehr. Das ist aber etwas, was wir im Bereich Klassik und Jazz nie gelernt haben, während es im Pop gang und gäbe ist", nickte Drechsler. "Wir können das aber nicht, weil wir uns komplett über Musik definieren. Also müssen wir das jetzt lernen." Mit "Liminal Zone" habe er sich ein "Spinnennetz" aus verschiedenen Standbeinen und Kooperationen gebaut. "Ziel ist, dass alles so engmaschig wie möglich miteinander vernetzt wird und sich gegenseitig befruchtet. Dann gibt es für den Fall, dass etwas wegbricht, genug Standbeine. Ich will einfach kreativ bleiben!"

Die Suche nach neu zu erobernden Bereichen dürfte jedenfalls weitergehen, wie nun eben mit dem Clubsound auf "Azure". Für die Stücktitel hat sich Drechsler übrigens Inspiration bei schwarzen Löchern geholt. "Wir wissen zwar viel, aber haben keine Ahnung, was in einem schwarzen Loch passiert", so der Musiker. Was insofern passe, weil auch der Sound der Platte für ihn eine "totale Reise ins Neuland" war und er gleichzeitig mit seinen Stücken "neue Aufmerksamkeit generieren und ein neues Zielpublikum ansprechen" möchte. Außerdem tue der Blick auf solche Phänomene manchmal ganz gut, wie er mit Verweis auf "Shoreless 9mm" meinte. "Würde aus unserer Erde ein schwarzes Loch werden, hätte dies einen Radius von 9 Millimetern. Das ist für unser Denken, wie wichtig wir uns nehmen, sehr relativierend", lachte Drechsler.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - www.liminalzone.at; www.ulrichdrechsler.com)

ribbon Zusammenfassung
  • "Prinzipiell bin ich nie stolz auf meine Musik", sagt der Saxofonist und Klarinettist vor der Veröffentlichung des Albums "Azure".
  • Es ist der neueste Teil seines Projekts "Liminal Zone", mit dem er seit 2018 seine stilistische Vielfalt nach Herzenslust auslebt.
  • Mit "Liminal Zone" habe er sich ein "Spinnennetz" aus verschiedenen Standbeinen und Kooperationen gebaut.
  • Dann gibt es für den Fall, dass etwas wegbricht, genug Standbeine.

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