Milena Michiko Flašars Roman "Oben Erde, unten Himmel"

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Einsam sind sie fast alle, die Protagonisten in "Oben Erde, unten Himmel": Takada Suzu und Takada Yuto, die zufällig den gleichen Familiennamen tragen und einander beim Bewerbungsgespräch für einen neuen Job kennenlernen, die Menschen, die ihnen in der spezialisierten Putzfirma durch ihr lange unbemerktes Ableben Arbeit machen, und sogar Suzus Hamster Punsuke, "der wichtigste Mensch" für die Mittzwanzigerin, die ihren Beziehungsstatus so angibt: "Alleinstehend. Mit Hamster".

In Wohnungen gehaltene Hamster wollen alleine sein, erfährt man in dem neuen Roman von Milena Michiko Flašar. Der Stress durch die unmittelbare Nähe eines Artgenossen könnte sie umbringen. Bei den toten und lebenden Menschen, denen man in dem Buch begegnet, ist das nicht so sicher. Suzu jedenfalls, die ihren vorherigen Job als Aushilfskellnerin wegen "mangelndem Liebreiz" und "fehlendem sozialen Plus" verloren hat, möchte zwar nicht heiraten (wie es sich ihre Eltern von ihr wünschen würden), hätte aber an sich nichts gegen ein bisschen Gesellschaft. Doch die bisherigen Männerbekanntschaften über Dating-Apps endeten stets im Bett und alles in allem höchst unbefriedigend.

Die netten, alten Nachbarn sind die einzigen Menschen, mit denen "Fräulein Suzu" gelegentlich redet. Das ändert sich in der neuen Firma. Denn überraschender Weise wachsen nicht nur der skurrile Chef und die gewöhnungsbedürfigen Kollegen, sondern auch jene, deren Leichensäfte über Wochen in Polsterungen und Teppichböden gesickert waren, deren langsamer Zersetzungsprozess Nahrung für unzählige Insekten bot und deren hinterlassene Verwesungsgerüche bei der Reinigungsarbeit ohne Gasmasken nicht auszuhalten wären, Suzu mit der Zeit ans Herz. Der Putztrupp geht mit größter Diskretion ans Werk, denn Menschen, die ohne Kontakt zu anderen gelebt haben, sollen auch im Tod nicht erschreckt werden, lautet das Firmenmotto.

"Kodokushi" lautet der Spezialbegriff für so einen einsamen Tod, der in der japanischen Gesellschaft gar nicht selten ist. Viereinhalb Seiten umfasst am Ende des Romans das Glossar mit Worterklärungen, doch eigentlich erklärt sich alles aus dem Text selbst. Milena Michiko Flašar, 1980 in St. Pölten geborene und in Wien lebende Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vater, setzt das fort, was sie bei ihren mehrfach ausgezeichneten Romanen "Ich nannte ihn Krawatte" und "Herr Kato spielt Familie" bewiesen hat: Sie beherrscht ein Schreiben, das Sensibilität für Menschen wie für Sprache gleichermaßen auszeichnet.

Deswegen erfährt man in "Oben Erde, unten Himmel" zwar viel über die japanische Gesellschaft, aber noch viel mehr über die Menschen an sich: liebenswert, doch nicht kitschig, anrührend, doch nicht rührselig. Obwohl es eindeutig ums Leben geht, ist der Tod ständiger Gast und macht auch vor den Mitgliedern des Putztrupps nicht Halt. Der versucht, professionell damit umzugehen - und erlebt am Ende eine echte Überraschung. Große Leseempfehlung!

(S E R V I C E - Milena Michiko Flašar: "Oben Erde, unten Himmel", Wagenbach Verlag, 300 Seiten, 26,70 Euro; Lesung am 22. Februar, 19.30 Uhr, im Literaturhaus Salzburg, Strubergasse 23)

ribbon Zusammenfassung
  • In Wohnungen gehaltene Hamster wollen alleine sein, erfährt man in dem neuen Roman von Milena Michiko Flašar.
  • Die netten, alten Nachbarn sind die einzigen Menschen, mit denen "Fräulein Suzu" gelegentlich redet.
  • Deswegen erfährt man in "Oben Erde, unten Himmel" zwar viel über die japanische Gesellschaft, aber noch viel mehr über die Menschen an sich: liebenswert, doch nicht kitschig, anrührend, doch nicht rührselig.

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