Kurdwin Ayubs "Weiße Witwe" als Theater fast ohne Safe Space
Ayub, geboren 1990 im Irak, lässt sich mit Filmen wie "Sonne" und "Mond" zweifellos zu den spannendsten Regisseurinnen des Landes zählen. Roh und augenzwinkernd stellt sie Klischees auf den Prüfstand, konfrontiert mit dem eurozentristischen Blick und entlässt das Publikum nie ohne mehr Fragen als Antworten im Kopf. Im Theater setzt Ayub diese Linie nun fort.
Weiße Männer haben es im islamischen Staat Europa nicht leicht - speziell, wenn sie jung sind. Denn Königin Aliah, gespielt von der Berliner Rapperin addeN, lässt einen von ihnen jede Nacht herbeikarren, um ihre schier unersättliche sexuelle Lust abzukühlen. Kaum ist das geschehen, werden die Bettgefährten auch schon ihrer Hausspinne zum Fraß vorgeworfen - am besten schön vorgekocht. Doch die Sex- und Mordlust der Herrscherin macht bereits die Runde im Staat. Ihre Schergen - darunter ein herrlich aufgeregt wie lautstark von Benny Claessens verkörperter Eunuch - haben zusehends Probleme, Nachschub aufzutreiben. Nicht mal Dubai-Schokolade erfüllt seinen Zweck als Lockmittel.
Friedrich als "arabischer Nikolaus"
Da ist es ausnahmsweise genehm, wenn ein älterer Mann die Königin aufsucht. Dieter Weißmann, solide gespielt von Georg Friedrich, kommt aus "Medina-Wien-Floridsdorf" und versucht, sich mit seinen Besitztümern wie einem zweistöckigen Beduinenzelt oder seinem Faible fürs Spazierengehen schmackhaft zu machen. Doch die Herrscherin ist vom "arabischen Nikolaus" ziemlich abgetörnt. Nicht mal tanzen kann er.
Aber Dieter ist ohnehin nicht hier, um die Lust der Herrscherin zu stillen. Er will ihr Morden stoppen, um seine "Rasse" zu retten und damit die Menschheit diverser zu machen. Ja, selbst Wahlrecht steht kurz im Raum. Wie in "Tausendundeine Nacht" setzt er zu einer langen Geschichte an. Sie handelt von der "Weißen Witwe", die zum Islam konvertierte, um alle Ungläubigen zu töten.
Mit den Rechten über Ängste reden
Parallel verfolgt die aufmüpfige Tochter der Herrscherin, Cezaria (Samirah Breuer), ihre eigenen Pläne. Sie schwingt sich an der Seite der "linken Bunten" zu einer Revolution auf, um künftig Liebe und Güte im Reich regieren zu lassen. Mit den "Neuen Alten Rechten", die in Europa wieder auf dem Vormarsch sind, will sie ganz einfach über deren Ängste reden. Für Ärger ist also gesorgt. Rasch flüchtet Königin Aliah in den einzigen (vermeintlichen) Safe Space des Abends: den Hintern der Spinne.
So ungelenk sich manche Szene an die nächste reiht, so visuell ansprechend ist das Treiben auf der Bühne. Die riesige auf- und abfahrende Spinne wird den Theaterbesucherinnen und -besuchern wohl noch länger in Erinnerung bleiben. Auch Aliahs lasziv-gefährlicher Hofstaat in Latexsuits samt Niqabs und Maschinengewehr macht einiges her (Bühne & Kostüme: Nina von Mechow). Begleitet wird das schrille, inflationär mit Kraftausdrücken gespickte Treiben, von einem Tanzchor (Studio motion*s), der sich wahlweise am Boden rekelt oder zu wummerndem Techno samt Stroboskopeinsatz vorzeigt, wie eine Clubnacht auszusehen hat.
Humor statt Zeigefinger
So sehr das Spektakel zu unterhalten weiß, ist es gut, dass Ayub mit dem letzten Viertel des ca. 105-minütigen Abends in ruhigere Gewässer steuert. Mit viel Lust wird darin in alle Richtungen ausgeteilt, die Darstellung von Migranten reflektiert und sich über Männer aus dem Kulturbetrieb ausgekotzt, die Ayub schon immer sagen wollten, was sie lieber nicht zu tun habe. Den Zeigefinger fährt die Wienerin dabei nicht aus, sondern packt die beißende Kritik in viel Humor.
Sollte man die sexy-terroristische Mutter und ihre Schreckensherrschaft nicht lieber aus den Geschichtsbüchern streichen?, fragt sich Dieter an einer Stelle. Das wäre trotz so mancher Unebenheit zu schade. Denn "Weiße Witwe" ist vieles, aber sicher nicht langweilig.
(Von Lukas Wodicka/APA)
(S E R V I C E - "Weiße Witwe" von Kurdwin Ayub im Wiener Volkstheater im Rahmen der Wiener Festwochen. Regie: Kurdwin Ayub, Bühne & Kostüme: Nina von Mechow, Choreografie: Camilla Schielin, Licht: Denise Potratz, Dramaturgie: Leonie Hahn und Anna Heesen. Mit: addeN, Samirah Breuer, Benny Claessens, Georg Friedrich, Zarah Kofler und dem Tanzchor motion*s. Weitere Termine, Samstag 13 und 19.30 Uhr, Sonntag 19.30 Uhr)
Zusammenfassung
- Das Theaterstück 'Weiße Witwe' von Kurdwin Ayub feierte am Freitagabend seine Österreichpremiere im Wiener Volkstheater im Rahmen der Wiener Festwochen.
- Die Inszenierung spielt im Jahr 2666 in einem islamischen Staat Europa, wo eine Königin junge weiße Männer verführt und von einer riesigen Spinne töten lässt.
- Das Stück dauert etwa 105 Minuten, ist visuell auffällig durch eine große Spinne und einen Hofstaat in Latexsuits mit Niqabs und Maschinengewehren.
- Mit viel Humor und ohne moralischen Zeigefinger werden gesellschaftliche Klischees, Migration, Geschlechterrollen und Kritik am Kulturbetrieb thematisiert.
- Weitere Vorstellungen finden am Samstag um 13 und 19.30 Uhr sowie am Sonntag um 19.30 Uhr statt.