Künstlerinnen* der Moderne im Belvedere im Fokus
Vor sechs Jahren waren es vornehmlich österreichische Künstlerinnen wie Olga Wisinger-Florian, Teresa Feodorowna Ries, Broncia Koller-Pinell oder Friedl Dicker-Brandeis, die ihrem kunsthistorischen Schattendasein - wie sich später zeigen sollte auch nachhaltig - entrissen wurden. Das Publikum wusste die Schau zu würdigen und verhalf dem Belvedere zu einem Besucherrekord. Mit der neuen Ausstellung, in der ab Mittwoch mehr als 60 Künstlerinnen* aus 20 Ländern präsentiert werden, will man "die tradierte Erzählung der Kunstgeschichte erneut in Frage stellen", wie Rollig am Dienstag bei der Presseführung postulierte.
Schließlich sei der Blick auf die Moderne bisher als "Abfolge von streng abgegrenzten Bewegungen vom Kubismus bis zum Futurismus" vornehmlich "von Männern aus dem Westen" geprägt worden, unterstrich Kuratorin Stephanie Auer. Frauen, People of Color und queere Personen sei in dieser Erzählung fast kein Raum gegeben worden. "Dabei muss man nur den Blickwinkel ändern, um sie sichtbar zu machen", ist Auer überzeugt.
Protest, Emanzipation und neue Identitäten
Und so werden in enger Kooperation mit dem Museum Arnhem und dem Saarlandmuseum nicht nur verschiedenste Techniken von der Malerei und der Druckgrafik bis zu Textildesign und Fotografie gezeigt, sondern auch unterschiedliche moderne Formensprachen in den Blick gerückt. "Statt stilgeschichtliche Einordnungen fortzuschreiben, stellen wir die Individualität der einzelnen künstlerischen Praktiken in den Mittelpunkt", so Auer.
Folgerichtig bleibt der Stilpluralismus in den einzelnen Kapiteln der Ausstellung erhalten, während man auf inhaltliche Positionen von der Emanzipation über die Abstraktion bis zur Frage nach Geschlechterrollen und Identitäten setzt. So findet sich etwa im Raum "Kunst als Protest" das bereits 1936 entstandene Gemälde "Nazis ermorden Juden" der US-Künstlerin Alice Neel, ihre deutsche Kollegin Jeanne Mammen zeigte sowohl die Monarchisten als auch die Nazis 1946 als "Die Gestrigen", die sich vor dem Hintergrund der Entstehung demokratischer Parteien von der Welt verabschieden. Auch frauen- und gesellschaftspolitische Arbeiten wie "Nieder mit den Abtreibungsparagraphen!" von Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1923 oder das Pendant "Paragraf 218" von Alice Lex-Nerlinger von 1931 zeugen von der starken gesellschaftspolitischen Relevanz der Arbeiten.
Abwendung vom männlichen Blick
Die künstlerische Suche nach neuen Identitäten spiegeln Arbeiten etwa von der in Polen geborenen und in Mexiko verstorbenen Tamara de Lempicka, der Französin Romaine Brooks oder Charley Toorop wider, in denen der Blick der Abgebildeten direkt in die Linse des Betrachters gerichtet ist. Genderfluidität als explizites Thema findet sich etwa in den Werken von Laude Cahun.
Auch dem Akt und damit der Abwendung vom männlichen Blick ist ein Fokus gewidmet: So löst die Surrealistin Dorothea Tanning in ihrem Gemälde "Voltage" das weibliche Gesicht aus dem Körper, Vlasta Vostřebalová-Fischerová zeigt ihre Frauen von einem entbehrungsreichen Leben gezeichnet. Immer wieder präsent ist auch die Vereinbarkeitsfrage; Frauen werden zwischen Mutterschaft, Erwerbsarbeit und Liebhaberin zerrissen dargestellt. Auer fasst es so zusammen: "Viele der Anliegen haben nichts an Aktualität und Dringlichkeit eingebüßt."
(S E R V I C E - Ausstellung "Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910-1950" im Unteren Belvedere. 18. Juni bis 12. Oktober. Der gleichnamige Katalog umfasst 256 Seiten und kostet 29,80 Euro. www.belvedere.at)
Zusammenfassung
- Im Unteren Belvedere werden ab 18. Juni mehr als 60 Künstlerinnen* aus 20 Ländern in der Ausstellung "Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910-1950" präsentiert.
- Die Schau setzt auf Internationalisierung und Queerness, zeigt vielfältige Techniken und thematisiert Emanzipation, Protest, neue Identitäten sowie die Abwendung vom männlichen Blick.
- Der Ausstellungskatalog umfasst 256 Seiten, kostet 29,80 Euro und die Ausstellung läuft bis 12. Oktober.