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Komponist Srnka: "Ich arbeite ziemlich brutal mit Libretti"

Heute, 03:01 · Lesedauer 7 min

Es ist der mutmaßliche Höhepunkt der Saison im Musiktheater an der Wien: "Voice Killer" stellt die erste Uraufführung der Intendanz von Stefan Herheim dar. Am Freitag (13. Juni) feiert die Arbeit ihre Weltpremiere, die von einem der renommiertesten zeitgenössischen Komponisten stammt. So feierte Mirsolav Srnka mit seiner Oper "South Pole" an der Bayerischen Staatsoper 2016 einen veritablen Erfolg und gehört seither zur ersten Liga seines Fachs.

Vor der Weltpremiere sprach der 50-jährige Tonsetzer mit der APA über die Wahrnehmung von Energie, seinen persönlichen Hofmannsthal und die Frage, wie brutal er mit Libretti umgeht.

APA: Bisher war mit drei Opern München gleichsam die Homebase für Sie und Ihren Librettisten Tom Holloway. Wie kam es nun zum Wechsel nach Wien?

Miroslav Srnka: Es war eigentlich erstaunlich, dass wir so lange in München waren, aber wir haben drei Aufträge hintereinander bekommen. Und natürlich war es auch entsprechend schwierig, sich zu trennen. Aber es war einfach an der Zeit, weiterzuziehen. Und genau da hat sich das Theater an der Wien gemeldet, und ich habe freudig Ja gesagt.

APA: So steht nun am 13. Juni die Uraufführung Ihres neuen Projekts "Voice Killer" an. Wie sehr sind Sie als Komponist in die Produktion involviert?

Srnka: In die musikalische Interpretation natürlich sehr. In die Regie eigentlich nicht, wie das heutzutage üblich ist. Gleich nach dem Abschließen des Stückes habe ich eine kommentierte Partitur für das Regieteam erstellt, und ich habe bei den Konzeptionsgesprächen in den ersten Tagen mein Konzept vorgestellt.

APA: Fällt es Ihnen leicht, Ihr Werk für die Interpretation loslassen zu können?

Srnka: Ich habe es gelernt, nachdem ich mit Menschen wie Hans Neuenfels gearbeitet habe. Das hat mir viel über den Austausch der Kräfte gelehrt. Ich abstrahiere aus der konkreten Geschichte des Librettos Prinzipien, über die ich dann schreibe. Ich überlasse es wiederum der Auslegung der Regie, das abstrakte Medium Musik für die szenische Umsetzung zu konkretisieren. Meine Opern sollen viel Wahlfreiheit für die Inszenierung geben, mit der Partitur als abstrakter Code, der entschlüsselt werden soll.

Aufzeigen, wo es gefährlich wird

APA: Und Sie helfen bei der Dechiffrierung?

Srnka: Ich bin dabei, um die roten Flaggen zu setzen, wenn die musikalische Dechiffrierung anderswohin geht. Ich fühle mich wie auf einer Piste, wo rechts und links der Abhang gähnt und ich nur zeige, wo die Abfahrt verläuft. Ob man die schnell oder langsam nimmt, ist dann die Entscheidung der Aufführenden, aber ich zeige auf, wo es gefährlich wird. Und ich gebe auch offensichtliche Zeichen in der Partitur, wie zum Beispiel das Beibehalten der Namen der Opfer, aber ein konsequentes Auslöschen des Namens des Täters.

APA: Sie sprachen von der Abstrahierung des Librettos im Kompositionsprozess. Können Sie die Zusammenarbeit mit Ihrem Stamm-Librettisten Tom Holloway etwas umreißen?

Srnka: Ich arbeite ziemlich brutal mit den Libretti - was aber mit Tom vereinbart ist. Wir besprechen anfangs alle möglichen dramaturgischen Fragen, aber dann schreibt er ein Libretto, wie er auch für die Sprechtheaterbühne arbeiten würde. Darauf folgt eine lange Phase des Abgleichens, bevor ich mich ganz zurückziehe und die Endphase des Komponierens beginne. Am Ende ist die Partitur fertig, und übriggeblieben sind etwa 25 Prozent von seinem ursprünglichen Text.

APA: Das hält Ihre Arbeitsbeziehung aus?

Srnka: Ich habe in Tom meinen eigenen Hofmannsthal gefunden, was ein totaler Glücksfall ist. Wir sind sehr eng befreundet und gehen ganz ehrlich miteinander um. Wir streiten nicht, sondern schätzen sehr, was der andere macht. Und so etwas findet man im Leben nicht oft.

APA: Gilt diese Feedbackschleife auch umgekehrt? Hat er auch bei der Partitur ein Veto?

Srnka: Das ist natürlich schwieriger, weil ich ihm wenig Material vorweisen kann, das er kritisieren könnte. Denn selbst wenn die Partitur vorliegt, kann man sich das nicht einfach gegenseitig am Klavier vorspielen, um einen Eindruck zu bekommen. Ich arbeite mit freien Resonanzfeldern und fluider Konsonanz, einem Energiestrom - all dies ist fast undarstellbar, bevor es das Orchester spielt.

Musik als Vorstellung

APA: Können Sie selbst es sich denn vor der Orchesterprobe vorstellen?

Srnka: Das soll jetzt überhaupt nicht arrogant klingen, aber: Das ist schon meine Arbeit, und ich muss wissen, was dabei herauskommt ... Aber ich bin sehr glücklich, dass wir das Klangforum und den Arnold Schoenberg Chor für diese Produktion haben - das sind zwei absolute Spitzenensembles, die eine unheimliche Hingabe an die Sache haben! Da muss man nicht Widerstände gegen die Neue Musik überwinden.

APA: Was für eine Rolle erfüllt die Musik auf der Bühne, die nicht auch das Sprechtheater übernehmen könnte?

Srnka: Energie ist hier der zentrale Begriff für mich, denn das ist es, was Menschen primär wahrnehmen - und eben nicht irgendwelche kompositorischen Systeme, mit denen ich mich als Komponist befasse. Sie nehmen das energetische Resultat wahr.

APA: Ist diese Energie planbar?

Srnka: Das ist sogar einer meiner primären Parameter. Und bei "Voice Killer" ganz besonders. Das Ensemble und teils der Chor laufen in drei Zeitspiralen, die sich immer mehr verdichten und dann wieder ausdünnen. Das Ganze passiert dabei immer schneller, ist ein Malstrom. Wenn dieser Prozess nicht gestoppt werden kann, werden immer mehr Menschen in diesen verhängnisvollen Bewusstseinsstrom gezogen. Das kann die Musik transportieren.

Verdoppeltes Klangforum

APA: Dafür haben Sie das Klangforum gleichsam verdoppelt?

Srnka: Es sind tatsächlich fast alle Instrumente in Paaren vorgesehen. Es geht ja in "Voice Killer" auch um die geistige Gesundheit - schließlich würde der Mörder in unserem Stück heute sehr wahrscheinlich für nicht zurechnungsfähig befunden. Es geht um einen Soldaten, der vor dem Hintergrund des Krieges psychisch zerbricht, der Warnzeichen gibt, auf die aber niemand hört. Das macht die Geschichte ungewollt aktuell. Und das spiegeln wir in der Orchesterbesetzung. Es gibt stets Doppelsoli, nie eine Eindeutigkeit. Und der Schoenberg Chor stellt die überschnelle Clickbait-Society dar, die nicht die Tiefe und Aufmerksamkeitsspanne hat, sich mit den wirklichen Problemen zu beschäftigen. Das repräsentieren die Instrumente, die aus der Masse des Orchesters kurzzeitig heraustreten, dann aber auch wieder damit verschwimmen.

APA: Das klingt nach einem gesellschaftspolitischeren Ansatz, als man aufs Erste denken könnte ...

Srnka: Und genau das interessiert mich. Ich will keine Gewalt auf der Bühne darstellen, sondern erforschen, woher die Gewalt kommt und wie die Opfer hätten geschützt werden können.

APA: Sehen Sie das als den roten Faden für Ihr Œuvre?

Srnka: Tom Holloway und ich sind beide am Verhalten von Menschen in extremen Situationen interessiert. Das verbindet all unsere Stücke, in ganz unterschiedlichen Facetten.

APA: Und doch ist musikalisch "Voice Killer" offenbar wieder etwas ganz anderes geworden als Ihre vorherigen Werke ...

Srnka: Das hoffe ich sehr! Ich versuche, mit jeder Oper etwas ganz Neues zu machen. In meinen konzertanten Stücken sehe ich eher eine kontinuierliche Entwicklung. Aber eine Oper schaffe ich nur ungefähr alle fünf Jahre. Insofern ist hier der Schritt viel größer. Und nach dem Erfolg von "South Pole" 2016 haben wir bewusst einen Cut gemacht. Einen Erfolg versuchen zu wiederholen, ist künstlerisch irrelevant. Wir wollten ein neues Format.

APA: Und doch hat Sie "South Pole" in die erste Liga der Komponisten befördert. Ist für Sie als Künstler das mehr Fluch oder Segen?

Srnka: Etwas ambivalent sehe ich, dass nun schon erste Projekte für das Jahr 2030 vorgesehen sind. Da stelle ich mir natürlich die Frage, was ich für ein Mensch im Jahr 2030 sein werde? In welcher Welt leben wir dann? Aber dennoch habe ich Lust, diese Projekte anzugehen. Und es ist ein absolutes Glück, mit Menschen wie Klaus Mäkelä oder den Berliner Philharmonikern arbeiten zu können. Das gibt mir Lebensenergie. Habe ich dennoch Angst, wenn ich das erste Mal vor diesen Toporchestern stehe? Ja natürlich! Denn der Begriff der Verantwortung ist mir sehr wichtig. Ich möchte den Möglichkeiten, die mir gegeben werden, gerecht werden.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

Zusammenfassung
  • Am 13. Juni feiert Miroslav Srnkas neue Oper "Voice Killer" ihre Uraufführung am Theater an der Wien und gilt als Höhepunkt der Musiktheater-Saison.
  • Srnka arbeitet mit seinem Librettisten Tom Holloway so, dass am Ende nur etwa 25 Prozent des ursprünglichen Librettos in der Partitur verbleiben.
  • Das Werk thematisiert psychische Gesundheit und gesellschaftliche Verantwortung, wobei der Arnold Schoenberg Chor die schnelle, oberflächliche Gesellschaft symbolisiert.
  • Musikalisch setzt Srnka auf verdoppelte Instrumente und komplexe Zeitspiralen, um Energie und Bewusstseinsströme darzustellen.
  • Nach dem Erfolg von "South Pole" 2016 wollte Srnka einen künstlerischen Neuanfang und hat bereits Projekte bis 2030 geplant.