APA/APA (Nesterval)/Lorenz Tröbinger für Nesterval

"Goodbye Kreisky" feierte als Zoom-Theaterabend Premiere

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Bereits im April, zur Hochzeit des ersten Lockdowns, überraschte das Theaterkollektiv Nesterval mit "Der Kreisky-Test" mit einem erfrischenden Online-Theaterevent, das schlussendlich im Rahmen der "Nestroy"-Preisverleihung mit dem Corona-Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. Gestern, Mittwoch, Abend feierte die Fortsetzung Premiere, die eigentlich offline in der Generali-Arena geplant war. Das nunmehrige Zoom-Stück krankt jedoch ein wenig an den Dimensionen.

Wurde das brut Wien-Publikum im Frühjahr noch in wechselnde Kleinstgruppen aufgeteilt und durch zahlreiche "Breakout-Rooms" geschleust, wo es um intimen Austausch mit den Darstellern ging, setzt man diesmal auf größere, gleichbleibende Gruppen, die weitgehend als Beobachter jenes Prozesses fungieren, der in "Goodbye Kreisky" zu einer weichenstellenden Entscheidung führen soll. Gespielt wird auf dem weitläufigen Fußballfeld, in Treppenhäusern und kleinen Räumen, via Schwarz-Weiß-Überwachungskamera ist man live dabei, wenn die Darsteller sich auf den Gängen bewegen.

Schon der Einlass in die Zoom-Sitzung erinnert an die komplizierten Corona-Maßnahmen, die man in diesem kurzen Theaterherbst erleben konnte. Da jeder Besucher nach seinem echten Namen gefragt wird, um ihn dem gekauften Ticket zuzuordnen, entsteht gleich zu Beginn eine Wartezeit von rund 20 Minuten, die das Theatererlebnis schließlich auf mehr als zwei Stunden anwachsen lässt. Nach einem Tag, den man vielleicht ohnehin schon hauptsächlich auf Video-Plattformen verbracht hat, ein etwas ernüchterndes Prozedere.

Geht es dann endlich los, wird man seine vorher preisgegebene Identität gleich wieder los. Der Moderator aus dem "Analyse-Team" verpasst den "Kommissionsmitgliedern" eigene Kürzel (a la "K_027"): "Dies dient Ihrer Anonymität und Sicherheit", heißt es. Schließlich schreitet die Gruppe nun zur Beobachtung der "letzten verbliebenen Sozialdemokraten", die sich in den vergangenen 50 Jahren in einem Bunker unter dem Karlsplatz versteckt haben und nach ihrer Entdeckung nun in der Generali-Arena unter Beobachtung stehen. Bei ihnen handelt es sich um eine Gruppe rund um die Kreisky-Vertraute Gertrud Nesterval, deren Verschwinden in Teil 1 Thema war. Der mittlerweile etablierte "Nesterval-Fonds" setzt sich - zumindest vermeintlich - zum Schutz der "Bedroten" (sic!) ein.

Diese 14 Personen haben deutliche Anpassungsschwierigkeiten an die neuen politischen Bedingungen unserer Gesellschaft und wünschen sich zum großen Teil nichts mehr, als wieder in ihren Bunker zurückkehren zu können. Das Publikum kann entscheiden, welchen Protagonisten es folgen will und erhält so Einblick in die Gedankenwelten der Familien Weiß, Grau, Rot und Schwarz. Eine wirkliche Interaktion so wie in der letzten Folge findet kaum statt. Statt sich mit den Mitgliedern auszutauschen, bleibt man stummer Beobachter. Das ist einerseits ein deutliches Bekenntnis von Nesterval, sich nicht einfach zu wiederholen, nimmt dem Format jedoch jenen immersiven Kick, der damals so spannend war.

Stattdessen lernt man die "Bedroten" Schritt für Schritt immer besser kennen, erhält aber auch Einblick in die wahren Pläne des Nesterval-Fonds rund um Gertruds Sohn Jonas Nesterval (Christopher Wurmdobler). Als es schließlich zu einer richtungsweisenden Entscheidung kommen soll, ist tatsächlich die Kommission (also das Publikum) gefragt, hier mitzumischen. In der Diskussion der Zuschauer wird bald deutlich, dass die Lage nicht so klar ist, wie man zu Beginn vielleicht gedacht hat...

Und so gewinnt "Goodbye Kreisky" erst nach der Pause an Fahrt, was durchaus an den Dimensionen des Projekts liegt. Die vielen unterschiedlichen Orte, die Weitläufigkeit des Fußballfelds, die Fülle an Erklärungen für all jene, die Teil 1 nicht gesehen haben, verlangsamen das Geschehen zu Beginn doch sehr. Auch die wenig pointierten, etwas ziellos mäandernden Dialoge und ausufernde Choreografien tragen zu diesem Gefühl bei. Nichtsdestotrotz ist Nesterval auch diesmal wieder ein interessantes Experiment gelungen, das die Urteilsfähigkeit des Publikums auf die Probe stellt. Neben den zahlreichen Spitzen gegen den heutigen Zustand der Sozialdemokratie findet sich auch ein amüsanter aktueller Nebensatz. Als es darum geht, warum Filme und Theater im Bunker verboten waren, heißt es: "Gertrud war der Meinung, dass Kunst nicht systemrelevant ist, deshalb wollte sie das nicht. Kunst kann man machen, wenn die Arbeit vorbei ist."

Und so endet der fast zweieinhalbstündige Zoom-Theaterabend für jede Besuchergruppe ein wenig anders. Da bekommt man durchaus Lust, noch ein zweites Mal dabei zu sein. Zumindest nach der Pause, wenn es ums Eingemachte geht.

(S E R V I C E - "Goodbye Kreisky. Willkommen im Untergrund" von Nesterval, brut Wien, online über Zoom. Regie: Herr Finnland, Buch: Frau Löfberg. Mit u.a. Aston Matters, Christopher Wurmdobler, Claudia Six, Johannes Scheutz und Romy Hrubes. Weitere Termine am 27., 28. und 29. November sowie 3. bis 6. und 10. bis 12. Dezember. Infos unter www.brut-wien.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Gestern, Mittwoch, Abend feierte die Fortsetzung Premiere, die eigentlich offline in der Generali-Arena geplant war.
  • Kunst kann man machen, wenn die Arbeit vorbei ist."