APA/Anna-Maria Löffelberger

Gebrochene Flügel im Theater-Circuszelt: Horváth in Salzburg

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Eine wankende Liebe in einer wankenden Welt. Eine Zeit, in der Hoffnungsfrohe und Fortschrittsverdrossene wetteifern um die Gunst einer ausbeuterischen Elite und ihre Würde verkaufen für ein Stück Brot. Ein Abend, aus dessen ekstatischem Rausch ein Paar aufschreckt wie aus dem bösen Traum, den es teilt und auch nicht: Am Samstagabend feierte Ödön von Horváths Volksstück Kasimir und Karoline eine kurzweilige Premiere im "Theater-Circuszelt" des Salzburger Landestheaters.

Das Drama um die Entfremdung zweier Liebender entspinnt sich vor eindrücklicher Zirkus-Kulisse. Ist der Ort der Aufführung doch das sommerliche Ausweichquartier des von einem Umbau betroffenen Landestheaters. Die gelungen stilisierte Manege unter der anheimelnden Zeltdecke, erfüllt von süßlichem Popcorn-Duft, versetzt zurück in fieberhaftes kindliches Entzücken vor Clownerie und Kleinkunst. Doch trotz des hier und da eingestreuten Galgenhumors hat Horváths beklemmendes Stück um den Verfall einer jungen Liebe so gar nichts Komisches an sich.

Die betäubende Feuchtfröhlichkeit des Oktoberfests soll die dürren Finger der Wirtschaftskrise, die den Schwächsten die Luft abschnüren und Existenzen wie Ungeziefer zerquetschen, für einen rauschhaften Augenblick vergessen machen. Das wilde Treiben aber zieht die aus gutem Haus stammende Karoline (Sarah Zaharanski) und ihren eben aus dem Chauffeurs-Dienst entlassenen Verlobten Kasimir (Maximilian Paier) nur kurz in seinen Bann. Die glamouröse Welt der Reichen und Schönen lockt die ehrgeizige Karoline, ihr fatalistischer Geliebter wirkt nur noch wie ein mürrischer Klotz an ihrem Bein. Denn Kasimir träumt nicht mehr. Karoline dafür umso größer.

Während Karoline sich mit dem aalglatten Schneider Schürzinger (Aaron Röll) vergnügt, der sie später an den schmierig-frivolen Kommerzienrat Rauch (Axel Meinhardt) und seinen Kumpanen Speer (Christoph Wieschke) verschachert, gerät der orientierungslos umherirrende Kasimir an den grobschlächtigen Kleinkriminellen Merkl Franz, dessen abseitige Ironie Georg Clementi gekonnt auf die Bühne bringt. Aus der Bahn geworfen vom unerreichbaren Ideal der Anständigkeit - Gängelband der Kleinen und Feigenblatt der Großen - driften Kasimir und Karoline auseinander, bis es zum finalen Bruch kommt.

Desillusioniert verliebt sich Kasimir in die vom Merkl Franz misshandelte, im Stillen von Revolution und Heldentod träumende Erna, in ihrer inneren Zerrissenheit brillant gespielt von Lisa Fertner. Karoline gibt sich emotionslos dem doppelzüngigen Schürzinger hin, geschniegelt und in seinem taillierten Maßanzug auch äußerlich der Konterpart zu Kasimir, der mit wirrem Haar und plumpen Trainingsklamotten über die Bühne schlurft.

Das rasante Auf und Ab der Emotionen spiegelt sich nicht nur in der musikalischen Untermalung, die stilistisch zwischen überhitztem Schlager, mit Bässen unterlegter Folklore und dumpf-melancholischem Klavier-Blues changiert: Eine eigens für diese Produktion angefertigte Rundschaukel-Konstruktion, Fluchtpunkt des sparsamen Bühnenbildes und jahrmärktlichen Fahrgeschäften nachempfunden, fungiert mal als Achterbahn, mal als metaphorisches Hamsterrad und wird geschickt von den Protagonisten bespielt. Ein Sinnbild der fehlgeleiteten Emanzipation von Kasimir und Karoline, die aus dem rummelhaften Trubel immer wieder zurückstürzen auf den harten Boden der trostlosen Tatsachen.

Die Inszenierung von Carl Philip von Maldeghem unter der Dramaturgie von Christina Piegger gestaltete sich kurzweilig, minutenlanger Applaus honorierte die schauspielerische Gesamtleistung. Mit der Einbindung einer bärtigen Frau in das textlich entschärfte Abnormitäten-Kabinett im Mittelteil des Stücks bewies die Regie Mut zur wohldosierten Selbstentfaltung und Sensibilität für gesellschaftspolitisch drängende Fragen. Abseits einer Gesangseinlage, offenbar angelehnt an Conchita Wurst, hätte diese Figur mit ihrer Botschaft aber mehr Raum verdient. Weiterer Gegenwartsbezüge entbehrte die Darbietung. Dabei sind Karolines verzweifelter Selbstverrat für falsche Aufstiegsversprechen und die omnipräsente Existenzangst, die gesunde Beziehungen bersten und toxische Abhängigkeiten gedeihen lässt, heute aktuell wie kaum einmal, seitdem "Kasimir und Karoline" 1932 uraufgeführt wurde.

Wieder wankt die Welt. Und die Liebe mit ihr. Im Zwiespalt zwischen dem fernen Besseren und dem nahen Besten für das eigene Leben. Ein innerer Kampf, den Horváth seine Karoline in eindringliche Worte gießen lässt: "Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär man nie dabei gewesen."

(S E R V I C E - "Kasimir und Karoline" von Ödön von Horváth, Eröffnungs-Vorstellung im Ausweichquartier Theater-Circuszelt; Inszenierung: Carl Philip von Maldeghem, Bühne und Kostüme: Stefanie Seitz, Dramaturgie: Christina Piegger; Kasimir: Maximilian Paier, Karoline: Sarah Zaharanski, Der Merkl Franz: Georg Clementi, Erna: Lisa Fertner, Rauch: Axel Meinhardt, Speer: Christoph Wieschke; Schürzinger: Aaron Röll; Weitere Aufführungen am 8., 10., 17. und 25. Mai sowie am 2., 4., 9., 10., 11., 17. und 18. Juni.)

ribbon Zusammenfassung
  • Eine wankende Liebe in einer wankenden Welt.
  • Das Drama um die Entfremdung zweier Liebender entspinnt sich vor eindrücklicher Zirkus-Kulisse.