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Franzobels "Das Floß der Medusa" im Schauspielhaus Salzburg

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Wie bringt man eine Schiffbruchs-Tragödie des Jahres 1816 auf eine Theaterbühne? In Susi Webers Bearbeitung im Schauspielhaus Salzburg wird Franzobels Roman "Das Floß der Medusa" eine trockene Angelegenheit. Mit Ausstatterin Isabel Graf entschied sie sich für ein Museumsambiente als Setting. Im Mittelpunkt steht nicht Theodore Guéricaults berühmtes Monumentalgemälde aus dem Louvre, sondern ein zwischen roten Kordeln platziertes Floß, das eine Kunstinstallation sein könnte.

Ähnliche Installationen etwa von Ai Weiwei eröffnen deutliche Assoziationen zu heutigen Tragödien auf hoher See, wo beinahe täglich Flüchtlinge ertrinken. Auch Franzobel hatte 2017 in seinem fast 600-seitigen "Roman nach einer wahren Begebenheit" nicht ausschließlich die Geschichte der Fregatte "Medusa" beschrieben, die vor der westafrikanischen Küste auf eine Sandbank lief. Viel zu wenig Rettungsboote machten es notwendig, einen guten Teil der Mannschaft auf einem Floß unterzubringen. Nicht notwendig, ja geradezu barbarisch war es jedoch, dieses steuerungslos sich selbst zu überlassen. Nur ein Zehntel der Besatzung überlebte ein zweiwöchiges Martyrium, bei dem die Toten als Nahrung dienten. Nach zwei Wochen wurden von 147 Ausgesetzten die letzten 15 Überlebenden gerettet.

Es sei "unmöglich, sowohl die Realität des Ereignisses, als auch die Bearbeitung von Franzobel angemessen eins zu eins auf einer Bühne darzustellen", hält die Regisseurin im Programmheft der gestrigen Österreichischen Erstaufführung fest. Das Bühnengeschehen wirkt bei ihr anfangs wie eine Mischung aus Maskenball und Vernissage: Zwischen zwei Tischen mit aufgebautem Buffet, vor einem großen Meeresbild und einem davor platzierten famosen Schlagzeuger (Wolfi Rainer), der durchaus noch mehr in Spiel kommen könnte, tummelt sich eine Abendgesellschaft in bizarren Kostümen. Das Ensemble fungiert mehr als Erzähler denn als Spieler. Man könne beim Versuch, die Bilder auf einer Theaterbühne nachzustellen, nur verlieren, meint Susi Weber. Das erzeugt freilich eine gewisse Distanz. Nur wenige Szenen, etwa wenn die Floßbesatzung von den per Rettungsboot Entkommenen aus Trinkpokalen angeschüttet und damit ein schwerer Gewittersturm angedeutet wird, gehen tatsächlich unter die Haut.

Seltsam: Im Laufe ihrer Bühnen-Fahrten wurde das Floß der Medusa immer schneller. Im Mai 2019 dauerte eine Dramatisierung des umfangreichen Romans in Münster 2 Stunden 40 Minuten, im Dezember 2021 in Mannheim nur noch 1 Stunde 50 Minuten. In Salzburg ist man noch eine Viertelstunde schneller. Viele Entwicklungen werden dadurch stark verkürzt. Gerade dort, wo das quälend langsame Verstreichen der Zeit die Hoffnungslosigkeit und den allmählichen Verlust der Menschlichkeit verstärken würde, treiben kurze Ansagen aus dem Off die Handlung unnötig forciert weiter.

Was dennoch hängen bleibt, ist die groteske Selbstüberschätzung des unerfahrenen Kapitäns auf seiner ersten großen Ausfahrt und seines blasierten Freundes (Antony Connor und Marcus Marotte als Duo aufgeblasener Clowns), die Verzweiflung des die Tragödie früh kommen sehenden karrierebewussten Schiffsoffiziers (Maximilian Thienen), die groteske Ignoranz des Gouverneurs (Olaf Salzer) oder der Kampf des Schiffsarztes (Theo Helm) um die Bewahrung der menschlichen Selbstachtung. "So sieht es also in der Hölle aus", konstatiert er, als mit viel Ketchup daran gegangen wird, eine grausame Entscheidung zwischen Hungertod und Kannibalismus zu treffen. Ein echter Höllentrip ist der bei der gestrigen Premiere mit viel Applaus bedachte Abend aber nicht geworden. Doch auch das Trockentraining dafür lässt das erahnen, was einmal aus dem Off festgestellt wird: Was hier zu sehen war, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel unseres Zusammenlebens. Wir zerfleischen einander. Nur fällt das im Alltag kaum mehr auf.

(S E R V I C E - "Das Floß der Medusa" nach dem Roman von Franzobel, Regie und Fassung: Susi Weber, Ausstattung: Isabel Graf, Musik: Wolfi Rainer. Mit Antony Connor, Marcus Marotte, Maximilian Thienen, Olaf Salzer, Susanne Wende, Magdalena Oettl, Theo Helm, Jannik Görger, Jakob Kücher, Wolfgang Kandler und Christiane Warnecke. Österreichische Erstaufführung im Schauspielhaus Salzburg, Termine bis 6. März. https://www.schauspielhaus-salzburg.at)

ribbon Zusammenfassung
  • In Susi Webers Bearbeitung im Schauspielhaus Salzburg wird Franzobels Roman "Das Floß der Medusa" eine trockene Angelegenheit.
  • Mit Ausstatterin Isabel Graf entschied sie sich für ein Museumsambiente als Setting.
  • Seltsam: Im Laufe ihrer Bühnen-Fahrten wurde das Floß der Medusa immer schneller.
  • (S E R V I C E - "Das Floß der Medusa" nach dem Roman von Franzobel, Regie und Fassung: Susi Weber, Ausstattung: Isabel Graf, Musik: Wolfi Rainer.