"every_body" erforscht bei ImPulsTanz körperliche Potenziale
Ein Vorhang aus schwarzen Lametta-Büscheln wird zur Seite geschoben, die dabei entstehenden Lichtreflexionen lassen die Bühne funkeln. Aus dem Schatten treten Vantournhout und Väisänen, barfuß. Gemeinsam steigen sie auf ein Laufband und beginnen zu gehen. Schritt für Schritt. Erst synchron, dann symmetrisch. Trotz Stille ist ein Rhythmus spürbar, als die Performenden in zahlreichen Variationen einen Fuß vor den anderen setzen. Bald ist nicht mehr ersichtlich, welches Bein zu welcher Person gehört. Langsam setzt Geoffrey Burtons Klangkomposition ein, schenkt den gleichmäßigen Bewegungen einen Takt. Es ist ein streng choreografierter Balanceakt, ein Meisterwerk der Koordination - vom Premierenpublikum mit Zwischenapplaus belohnt.
Das Laufband beiseitegeräumt, wird die Akrobatik an einem quadratischen Tisch fortgesetzt. Nur mithilfe der anderen Person und des Möbelstücks können die Tänzer in Posen verharren, für die eigentlich der Sessel fehlt. Seiner Suche nach körperlichen Grenzen sowie Beziehungen zwischen Performenden und Objekten ist der Belgier Vantournhout seit Beginn seines künstlerischen Schaffens treu geblieben. Mit der 2012 gegründeten Not Standing Compagnie zeigt er, dass every body herausragende Potenziale hat.
Das Unmögliche wird zur willkommenen Herausforderung und für die Zuschauenden gleichzeitig zur überraschungsvollen Unterhaltung. Nicht selten wurde am Premierenabend gelacht - etwa als Väisänen eine Sesselreihe aus drei Sitzen aufstellt und den darauf sitzenden Vantournhout damit auf den Boden kippt. Weshalb - das spielt keine Rolle. Weder Handlung noch dramaturgischer Bogen sind vordergründig. Auch mimisch ist kaum Variation vorhanden. Der Fokus des 2024 uraufgeführten Stücks liegt allein auf der Bewegung.
Verlust von Raum und Zeit
Dabei geht jede Bewegung flüssig in die darauffolgende über, kaum entwirrbar sind die entstehenden Figuren, ebenso wenig die Gliedmaßen. Die gelb-rosa Kostüme des Modedesigners Tom Van der Borght tragen zusätzlich zu dieser Illusion bei. Jegliches Gefühl für Zeit geht verloren, während sich die Performer - scheinbar federleicht - an einer Gerüststange in die Luft heben, einen Haltebügel umtanzen.
Schließlich folgt eine Begegnung frei von Objekten. Ein alltäglicher Handshake mündet in unzählbaren Verkettungen und Verdrehungen der Arme. Während des Aussetzens der Klanglandschaft gibt das Klackern der Perlen an den Kostümen einen Rhythmus vor. Repetitiv und meditativ. Abschließend kommen Lichteffekte zum Einsatz, die den Bewegungen einen Standbild-Charakter verleihen und letztlich doch eine dramaturgische Steigerung erlauben. Umso abrupter scheint das Ende der knapp einstündigen Performance.
Für ihre Kreativität und ihr akrobatisches Talent ernteten Vantournhout und Väisänen am Premierenabend Jubel und Standing Ovations. Es mag überraschen - die Verbeugungen blieben ganz klassisch. Bestimmt gäbe es hier noch reichlich kinetisches Potenzial.
(Von Selina Teichmann/APA)
(S E R V I C E - "every_body" im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Wiener Akademietheater. Choreografie und Performance: Alexander Vantournhout und Emmi Väisänen, in Zusammenarbeit mit Charlotte Cétaire und Chia-Hung Chung. Weitere Termine: 25. Juli um 21.00 Uhr und 26. Juli um 19.00 Uhr. https://www.impulstanz.com)
Zusammenfassung
- Die Performance 'every_body' von Alexander Vantournhout und Emmi Väisänen wurde am Donnerstagabend im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Wiener Akademietheater uraufgeführt und vom Premierenpublikum mit Standing Ovations gefeiert.
- Das knapp einstündige Stück lotet mit akrobatischen Verknotungen, Laufbandsequenzen und ungewöhnlichen Bewegungsabläufen die Grenzen von Alltagsbewegungen aus und verzichtet bewusst auf eine klassische Handlung.
- Weitere Aufführungen finden am 25. Juli um 21:00 Uhr und am 26. Juli um 19:00 Uhr statt.