Ein Meer von "Nelken" bei ImPulsTanz
Zu Beginn bittet Festivalintendant Karl Regensburger alle Besucherinnen und Besucher zu einer Gedenkminute zu Ehren des am Mittwoch verstorbenen Theatermachers und langjährigen Direktors des Hauses, Claus Peymann. Der Blick auf das Feld mit den tausenden rosa Blumen, als Bühnenbild einst bereits von Peter Pabst für Pina Bausch entworfen, ist schon frei.
Noch ragen die Nelken dicht und gerade in die Höhe. Fast flamingoartig setzen die Tänzerinnen und Tänzer jeden Schritt vorsichtig in die Zwischenräume. Inmitten des Felds beginnt einer von ihnen (Reginald Lefebvre) mit dem berühmten Solo, einst getanzt von Lutz Förster aus Bauschs Ensemble: Der Mann steht nun allein im Blumenmeer und performt in Gebärdensprache Sophie Tuckers "The Man I Love" - und damit berührend zur erhofften Liebe. Doch diese wird schnell weiterverhandelt.
Und ebenso schnell durchsetzen die verschiedenen Darbietungen - etwa zum Geliebtwerden in der Kindheit, zu Beziehungen zwischen den Geschlechtern, aber auch zum komplizierten Verhältnis von Tänzern zum Publikum, dem man gefallen will oder muss - Formen von Macht und Gewalt. So wird das ausgelassene Hoppeln von fünf Männern in Frauenkleidern auf der Spielwiese jäh unterbrochen durch den Ruf "Passkontrolle!" (die ein Mann im schwarzen Anzug, ganz der Ordnung verpflichtet, auch durchsetzt). Später wachsen sich einzeln eingeflochtene Passkontrollen zur unerträglichen Demütigung aus, wenn sich etwa der Kontrollierte wie ein Hund auf alle Viere zu begeben oder wie ein Papagei zu krächzen hat. Es entfaltet sich Beklemmung, auch wenn das Gezeigte nicht selten unter dem Deckmantel von Komik daherkommt.
Berührend wiederum, wie Männer in Frauenkleidern ihre Strategien im Umgang mit zwischenmenschlichem "Krach" verhandeln und einer von ihnen zur Puppe wird, mit dessen kraftlosem Körper Gesten und Haltungen der Verzweiflung nachgestellt werden. Wunderschön, als die rund 20 Tänzerinnen und Tänzer die weithin bekannte Nelken-Formation "Frühling Sommer Herbst Winter" tanzen, eingeführt durch die ausstrahlungsstarke trans Tänzerin Naomi Brito: Nun stellen alle in einer Reihe schreitend mit kleinen, sich wiederholenden Gesten die Jahreszeiten dar - das kurze Gras, das hohe Gras und die Sonne, die fallenden Blätter und das Frösteln.
Zeitlos ergreifend
Im Dezember 1982 wurde "Nelken" von Pina Bausch, der Gründerin des Tanztheaters Wuppertal, uraufgeführt. Es gilt als eines der meistgespielten Stücke der im Jahr 2009 verstorbenen und weltberühmten Choreografin. Die Wiederaufnahme aus 2024 erfolgte unter Silvia Farias Heredia und Eddie Martinez, die beide in Bauschs Ensemble tanzten. Und ja, trotz des Alters des Stückes ist es zeitlos ergreifend, samt seiner Ambivalenz. Auch wenn der eine oder andere gesprochene Satz des jungen Ensembles - vor allem in Szenen des Tumults - akustisch nicht immer gut zu vernehmen ist.
Nach knapp zwei Stunden ist das Nelkenfeld von dem Ringen mit den Emotionen, den zeitweilig auf die Bühne gebrachten Stühlen und Tischen, den Tänzen und den Kämpfen weitgehend zertrampelt und ramponiert. Doch am Rande stehen noch einzelne Nelken kerzengerade, als wäre jegliche Verhandlung der Liebe an ihnen spurlos vorbeigezogen. Ein Hoffnungsschimmer.
(Von Lena Yadlapalli/APA)
(S E R V I C E - "Nelken. Ein Stück von Pina Bausch" von Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und Terrain Boris Charmatz im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals. Inszenierung und Choreografie: Pina Bausch. Bühnenbild: Peter Pabst. Kostüme: Marion Cito. Probenleitung Wiederaufnahme: Silvia Farias Heredia, Eddie Martinez. Weitere Termine am 18., 19. und 20. Juli. Burgtheater. www.impulstanz.com)
Zusammenfassung
- Das legendäre Tanzstück "Nelken" von Pina Bausch wurde am Donnerstag im Wiener Burgtheater mit rund 20 Tänzer:innen und einem Meer aus tausenden rosa Kunstnelken aufgeführt.
- Das 1982 uraufgeführte Werk thematisiert in dynamischen Szenen die Formen der Liebe, Macht und Demütigung, wobei ein Solo in Gebärdensprache und die berühmte Formation "Frühling Sommer Herbst Winter" zentrale Höhepunkte bilden.
- Die Wiederaufnahme 2024 unter der Leitung von Silvia Farias Heredia und Eddie Martinez wurde vom Publikum gefeiert, weitere Vorstellungen finden am 18., 19. und 20. Juli statt.