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"Drei Schwestern" als Erfolgstrio der Salzburger Festspiele

09. Aug. 2025 · Lesedauer 5 min

Das Lamento als Lebenseinstellung, das Leiden am Sein, die Erschöpfung an der Gesellschaft, ohne die Kraft, sich gegen diese Fatigue zu stemmen. Wer hätte gedacht, dass die "Drei Schwestern", Tschechows Sittenbild des vorigen Jahrhunderts, wieder solch erschreckende Aktualität gewinnen könnten? Und damit auch Peter Eötvös' 1998 uraufgeführte Opernadaption, die sich am Freitag in der Interpretation von Evgeny Titov zu einem Höhepunkt der Salzburger Festspiele 2025 aufschwang.

Der im Vorjahr verstorbene, ungarische Komponist hatte gleich mit seiner ersten abendfüllenden Oper einen modernen Klassiker geschaffen, der seither nicht von den Bühnen verschwunden ist. Und zugleich fordert Eötvös den Zuschauer. Schließlich hat er Tschechows chronologisches Drama über die titelgebenden Geschwister in der Provinz, die jede auf ihre Weise leiden, in ein aus drei Sequenzen bestehendes Kondensat verwandelt, das unter den drei verschiedenen Blickwinkeln dreier Figuren betrachtet wird. Die "Tri Sestri", so der Originaltitel, sind gleichsam eine Variation auf den Urtext, was ohne Kenntnis der Vorlage für manchen eine Herausforderung darstellen mag.

Counter statt Sängerinnen

Der große Clou in Salzburg ist allerdings, dass man sich an der Uraufführungskonstellation orientiert und die Rollen der Frauen im Stück durchgängig mit Countern besetzt - noch dazu jungen Sängern, die eine eigene Dynamik ins dahinplätschernde Geschehen bringen. Berückend präsentiert etwa der honduranische Sopranist Dennis Orellana seine Irina, die er mit zurückgenommener, weiblicher Eleganz verkörpert, während der kanadisch-persische Kollege Cameron Shahbazi als Mascha im expressiven Leid seine volle Schauspielkunst ausspielen kann. Als Dritter im Bunde gibt Aryeh Nussbaum Cohen die den Leidenschaften schon vollends enthobene Olga. Ihnen als Gegenspieler gegenüber steht Schwägerin Natascha, als die Kangmin Justin Kim - berühmt für seine Cecilia-Bartoli-Hommage Kimchilia Bartoli - sein volles Talent als Rampensau ausleben kann.

Nicht nur präsentiert Eötvös in dieser Konstellation das gesamte Farbenspektrum der Counterstimme zwischen Alt, Mezzo und Sopran, er abstrahiert das Geschehen auch durch die geschlechtliche Undefinierbarkeit des männlichen Falsetts. Die bräsige Unfähigkeit zur Aktion wird nicht mehr weiblich konnotiert, sondern als menschliche Grundkonstante positioniert.

Eötvös macht das Ungesagte hörbar

Die verdrängten Leidenschaften, die unbewussten Wünsche, das stille Darben an den Umständen in der Unfähigkeit, sich aufzuraffen - all dies schwingt bei Tschechow lediglich zwischen den Zeilen, ist verborgen unter dem Vor-Sich-Hin-Monologisieren der Figuren in hohlen Phrasen. Eötvös jedoch gelingt, dieses Ungesagte spürbar zu machen. Mit eigener Rhythmik, eigener Tonalität und jedem Charakter zugeordneten Instrumenten gibt er den Figuren jene Sprache, die sie selbst für ihre Realität nicht haben.

Dieses komplexe Gewebe knüpft Maxime Pascal im Graben am Pult des Klangforums, der damit nach Bohuslav Martinůs "The Greek Passion" seine zweite szenische Oper bei den Festspielen vorlegt. Dabei ist der 39-jährige Franzose nicht der einzige Dirigent des Abends, führt Alphonse Cemin doch das 50-köpfige Orchester hinter der Bühne, das für die Klangeffekte abseits der Figurenzeichnung zuständig ist - ein akustischer Dreh, der zur außergewöhnlichen Stellung der "Drei Schwestern" im zeitgenössischen Musiktheater beiträgt.

Titov weiß die Stärken zu nutzen

Und Regisseur Evgeny Titov, der bei den Festspielen bereits 2019 Gorkis Schauspiel "Sommergäste" inszenierte, ist bei seinem Operndebüt an der Salzach klug genug, nicht gegen, sondern dezidiert mit diesen musikalischen Voraussetzungen zu arbeiten. Dem 44-jährigen Russen gelingt der inszenatorische Kniff, letztlich Rampentheater zu inszenieren - wohl nicht zuletzt, um im gewaltigen Raum der Felsenreitschule den Stimmen den nötigen Platz zu geben -, dieses aber gleichsam zu camouflieren.

Ein geborstener Bahndamm dominiert das Geschehen. Die Bahnstrecke nach Moskau ist längst marode, der Weg für die Schwestern ins erträumte Elysium sehr konkret versperrt. In diesem gesetzten Rahmen weiß Titov die Kraft seines jungen Ensembles zu nutzen, zu dem auch Mikołaj Trąbka als Baron Tusenbach mit erdigem, angenehm bodenständigem Bariton und Jacques Imbrailo gehören, der als Bruder Andrej bereit ist, auch noch das letzte Hemd - oder genauer gesagt die letzte Unterhose - in seiner Rolle zu geben. So entsteht am Ende ein grundstimmiger, umjubelter Opernabend, der in aller Abstraktion nicht zuletzt ein Charakterbild jener Gesellschaft zeichnet, in der wir heute leben.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Die drei Schwestern" von Peter Eötvös im Rahmen der Salzburger Festspiele in der Felsenreitschule, Hofstallgasse 1, 5020 Salzburg. Musikalische Leitung des Klangforums: Maxime Pascal, Dirigent hinter der Bühne: Alphonse Cemin, Regie: Evgeny Titov, Bühne: Rufus Didwiszus, Kostüme: Emma Ryott, Licht: Urs Schönebaum. Mit Dennis Orellana - Irina, Cameron Shahbazi - Mascha, Aryeh Nussbaum Cohen - Olga, Kangmin Justin Kim - Natascha, Mikołaj Trąbka - Tusenbach, Ivan Ludlow - Werschinin, Jacques Imbrailo - Andrej, Andrei Valentiy - Kulygin, Aleksander Teliga - Anfisa, Anthony Robin Schneider - Soljony, Jörg Schneider - Doktor, Seiyoung Kim - Rodé, Kristofer Lundin - Fedotik. Weitere Aufführungen am 12., 21. und 24. August. www.salzburgerfestspiele.at/p/drei-schwestern-2025

Zusammenfassung
  • Die Oper 'Drei Schwestern' von Peter Eötvös wurde bei den Salzburger Festspielen 2025 als einer der Höhepunkte gefeiert.
  • Regisseur Evgeny Titov setzt in seiner Inszenierung auf junge Countertenöre in den Hauptrollen, was dem Stück eine besondere Dynamik und Abstraktion verleiht.
  • Das Werk wird musikalisch von Maxime Pascal am Pult des Klangforums und Alphonse Cemin mit einem 50-köpfigen Orchester hinter der Bühne geleitet.
  • Ein geborstener Bahndamm auf der Bühne symbolisiert den versperrten Weg der Schwestern nach Moskau und verstärkt die gesellschaftliche Fatigue als zentrales Thema.
  • Weitere Vorstellungen finden am 12., 21. und 24. August in der Felsenreitschule in Salzburg statt.