"Die Perser"-Gastspiel als Parabel auf Israel und Palästina
Der Rahmen, den der flämische Theatermacher und Historiker Chokri Ben Chikha seinem rund 90-minütigen Stück "Perzen. Triomf van Empathie" (Die Perser. Triumph der Empathie) verpasst hat, ist erschreckend: In einer immer autoritärer werdenden Welt gibt es im Jahr 2030 keine freie Kunst mehr. Sie dient nur noch staatlich verordneten pädagogischen Konzepten, und jenes am NT Gent lautet: Neutralität, Empathie und Sicherheit. Diesen Grundsätzen muss auch die Abschlussarbeit eines Jahrgangs entsprechen, die nun uns, dem Publikum, von einer energischen Lehrerin zur Beurteilung präsentiert wird. Grund zur Skepsis gibt es, denn Lehrgangsleiter Ben Chikha sei suspendiert worden, heißt es. Er ist in Misskredit geraten. Und dass die aus unterschiedlichsten Herkünften kommenden Spieler auf der Bühne nicht Holländisch, sondern Englisch sprechen, wird ein letztes Mal toleriert ...
Der echte Ben Chikha hat sich schon vor dem Hamas-Massaker des 7. Oktober 2023 mit dem Versuch befasst, über den Krieg zwischen den Persern und den Griechen etwas über den Israel-Palästina-Konflikt auszusagen. "Das geht schon seit über 70 Jahren so, das wird keinen interessieren", habe er dazu gehört. Der Terrorüberfall und die israelische Reaktion darauf hat alles verändert. Im Jänner 2024 reiste er mit einem Filmemacher und seiner Produktionsleiterin nach Israel und Palästina und sammelte Material für eine Aufführung, die im Juni 2024 in Gent Premiere hatte und heute vor allem aus einem Grund erschreckt: In dem Jahr, das seither vergangen ist, ist man einer Lösung des Problems um keinen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil.
Eigentlich ist das, was man sieht, ganz harmlos. Eine Gruppe Theaterstudenten hat sich mit der Aktualisierung der ältesten erhaltenen Tragödie der Menschheit befasst und dazu vor allem temporeiche Tanzszenen erarbeitet. Und auch jene mit Handys aufgenommenen Szenen, die man via Screens als erstes Kapitel vorgesetzt bekommt, sind fröhlich und ausgelassen. Es sind junge Menschen, die zum Rave-Festival in die Wüste gefahren sind und Bilder und Videos einer wilden, lauten Party-Nacht gepostet haben. Der Schrecken kommt nach Sonnenaufgang. Der DJ gibt die Nachricht, die ihm an die Turntables übermittelt wird, ungläubig weiter: "Alarmstufe rot!" Und schon bald hört man die ersten Schüsse.
Auch Tanz ist politisch
Es gibt nicht eine, sondern viele Wahrheiten. Das machen nicht nur viele persönliche Kommentare aus dem Ensemble deutlich, das u.a. aus Israel und Palästina, Russland und dem Senegal kommt und auch an andere, vergessene Konflikte erinnert. Wir verfolgen Diskussionen, wer heute dem an seiner Hybris scheiternden Perserkönig Xerxes am nächsten käme. Und wir sehen eine Szene, in der sich der Feldherr für seine vernichtende Niederlage vor seinen Eltern rechtfertigen muss, gleich zweimal - zunächst mit Bibi Netanyahu in der Hauptrolle, dann mit einem Hamas-Anführer.
Es gibt keine Lösung. Aber: "Volkstanz geht immer!" meint die Lehrerin. Doch bald unterbricht die junge Israelin verzweifelt: Der jüdische Kreistanz Hora hat sich unmerklich in den arabischen Dabke verwandelt. Nichts ist unpolitisch, und sich dem Tanz hinzugeben kann den Tod bringen. Nur mit Liebe und Empathie lässt sich die Welt wohl nicht verändern, tönt es energisch von der Bühne. Doch wenn man daran nicht mehr glauben mag - was bleibt einem dann noch? Langer, nachdenklicher Applaus.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Perzen. Triomf van Empathie / Die Perser. Triumph der Empathie". Konzept, Regie, Choreografie: Chokri Ben Chikha. Von und mit Hellen Boyko, Sofiane El Boukhari, Liah Frank, Marah Haj Hussein, Mareille Labohm, Moussa Ndiaye, Marah Haj Hussein/Natalie Salsà. Produktion NTGent & Action Zoo Humain, Gastspiel bei den Wiener Festwochen in der Halle G im MuseumsQuartier. Weitere Vorstellungen: 2. und 3. Juni, 20.30 Uhr, www.festwochen.at)
Zusammenfassung
- Regisseur Chokri Ben Chikha reiste im Jänner 2024 nach Israel und Palästina, um Material für das 90-minütige Stück zu sammeln, das im Juni 2024 in Gent Premiere feierte und den fortdauernden Stillstand im Israel-Palästina-Konflikt thematisiert.
- Das internationale Ensemble zeigt, wie politische und persönliche Wahrheiten miteinander verwoben sind, wobei selbst Tänze wie Hora und Dabke als Symbole für die Unlösbarkeit und Vielschichtigkeit des Konflikts dienen.