Damien Jalet brachte in "Thrice" die Elemente zum Tanzen
Wie der Titel schon erahnen lässt, ist "Thrice" eigentlich ein Triptychon, das drei einzelne Arbeiten miteinander verbindet und im Wiener Volkstheater nun erstmals in Österreich zu sehen war. Los geht die rund einstündige Inszenierung, die vom Gedicht "Viento, agua, piedra" ("Wind, Wasser, Stein") des mexikanischen Schriftstellers Octavio Paz inspiriert ist, mit Jalets jüngster Choreografie "Gusts", was übersetzt "Windböen" bedeutet. Viel Luft braucht dabei vor allem der Jazzsaxofonist Bendik Giske, der live spielte. Er gab den drei Tänzerinnen und den Tänzern der norwegischen Companie Nagelhus Schia Productions gewissermaßen den Lebensatem.
Am Beginn bläst Giske tonlos in sein Instrument, die am Boden liegenden Körper beginnen sich aufzurichten und sacken sofort wieder in sich zusammen, sobald das leise Pfeifen abbricht. Bald wird die Musik kraftvoller, vielschichtiger, das bunt gewandete Tanztrio übersetzt die Töne und Geräusche in Bewegungen, es scheint auf unsichtbaren Luftströmen zu surfen und kreiseln. Das Beeindruckendste an diesem ersten Part ist allerdings, was Giske aus seinem Werkzeug herausholt: eine komplexe Soundinstallation zwischen Monotonie und Freejazz-Ausbrüchen, die so klingt, als käme der Mann eine Viertelstunde ohne Atemholen aus.
Medusa sorgt für Slapstick-Vergnügen
Ganz still hebt dann der Mittelteil an. Bei "Les Médusés" - die Weiterentwicklung eines 2013 im Paris Louvre uraufgeführten choreografischen Parcours - spielt Jalet mit dem Mythos der Medusa. Wer sie anschaute, wurde bekanntlich zu Stein. Auch die Figuren auf der Bühne erstarren immer wieder abrupt, als hätte man ihnen den Stecker gezogen. Wer gerade reglos ist, muss von den anderen geschultert, umgewuchtet, irgendwo deponiert werden. Pures Slapstick-Vergnügen.
Abgelöst wird das irrwitzige Versteinerungsspiel von drei Tänzerinnen, die zu einem knallenden Beat um Bewegungsfreiheit zu ringen scheinen, um im Endeffekt doch wieder nur synchron-skulpturale Posen einzunehmen. Die sich durch alle drei Parts ziehende reduzierte und doch ausgeklügelte Lichtregie, die nicht viel mehr braucht als kaltes Weiß in einem dunklen Bühnenraum, wirkt hier besonders effektvoll: Im Rhythmus von Musik und Tanz ändert sich stets die Richtung, aus der die Performerinnen grell angestrahlt werden. Man staunt über die Illusion filmischer Jumpcuts live auf der Bühne.
Ein Schlussbild der Hoffnung
Wasser ist das bestimmende Element im letzten Drittel. "Brise-lames" (Wellenbrecher) nennt Jalet die Performance, die er im Sommer 2020 und damit in der ersten Phase der Corona-Pandemie für die Pariser Opéra Garnier erarbeitete. Die geplante Aufführung auf einer kleinen Ersatzbühne direkt über dem Orchestergraben scheiterte allerdings an einem erneuten Lockdown und wurde in der Folge als Film umgesetzt. Im Zuge von "Thrice", das erst im Juni seine Uraufführung in Oslo feierte, ist die Choreografie nun erstmals live zu erleben.
Neun Tänzerinnen und Tänzer verschmelzen zu einer auf- und abebbenden Oberfläche. Zu einem hellen, an tropfendes Wasser erinnernden Klangrhythmus rollen, schwappen und brechen sich hier Wellen von einem Ende der Bühne zum anderen. Mit der Zeit wird die See rauer, der Wellengang stürmischer, zu den Tropfklängen kommen live gespielte Klavierdissonanzen. Dann ein fast unaushaltbares Dröhnen und ein lauter Knall.
Wie schwerelos treiben die Ensemblemitglieder jetzt auf der Bühne. Was zuerst wie eine verträumte Unterwasserwelt wirkt, scheint bald zum Überlebenskampf zu werden. Stoßatmen ist das einzige, was jetzt zu hören ist. Noch einmal gruppieren sich die Tänzerinnen und Tänzer neu, legen sich aneinander. Erst eine Videokamera, die das Bühnengeschehen aus der Vogelperspektive an die Wand projiziert, löst das Rätsel. Drei Tänzer liegen mit nacktem Oberkörper auf einem Schlauchboot, das von den übrigen Darstellern geformt wird. Man kann nicht anders als an die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer zu denken - und an dieses Schlussbild der Hoffnung glauben zu wollen: Menschen retten Menschen.
(Von Thomas Rieder/APA)
(S E R V I C E - ImPulsTanz: "Thrice" von Damien Jalet/Nagelhus Schia Productions. Weiterer Termin im Volkstheater: 30. Juli, 21 Uhr; https://www.impulstanz.com/)
Zusammenfassung
- Damien Jalet brachte mit "Thrice" beim ImPulsTanz-Festival ein rund einstündiges Triptychon aus drei Choreografien auf die Bühne des Wiener Volkstheaters, inspiriert vom Gedicht "Viento, agua, piedra" von Octavio Paz.
- Im letzten Teil "Brise-lames" verschmelzen neun Tänzerinnen und Tänzer zu einer Wasseroberfläche, wobei das Schlussbild an Flüchtlingsdramen im Mittelmeer erinnert und erstmals live nach seiner Uraufführung im Juni in Oslo gezeigt wurde.
- Die Produktion zeichnet sich durch ausgeklügelte Lichtregie, eine komplexe Soundinstallation sowie Live-Musik von Jazzsaxofonist Bendik Giske im ersten Teil "Gusts" aus.