APA/Alexi Pelekanos / Landestheater Niederösterreich

Brecht in St. Pölten: "Herr Puntila und sein Knecht Matti"

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Brecht-Abende haben immer ein gewisses Problem: Die von dem berühmten Dramatiker beschriebenen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse haben sich in ihren Grundzügen nicht geändert, sehr wohl aber sind die Umstände ebenso wie Sehgewohnheiten und Ästhetiken andere geworden. Um seine Stücke heutig zu erzählen, braucht es ein schlüssiges Konzept, einen neuen Rahmen. Bei "Herr Puntila und sein Knecht Matti" am Landestheater Niederösterreich hat das nicht geklappt.

Ruth Brauer-Kvam hat zuletzt "The Big Bronski Christmas Show" im kleinen Bronski & Grünberg Theater in Wien-Alsergrund mit viel Charme und Witz in Szene gesetzt. Diese Leichtigkeit vermisst man bei ihrer knapp zweistündigen Brecht-Inszenierung, die am Donnerstag nach coronabedingter Verschiebung endlich in Sankt Pölten Premiere hatte, von Anfang an. Bis man sich einlassen kann auf das Spiel der Abhängigkeiten, in dem die Regisseurin die emanzipatorische Selbstermächtigung der Gutsbesitzer-Tochter Eva stärker betont als Brecht bei seinen eigenen Eingriffen in die Vorlage der finnischen Autorin Hella Wuolijoki, muss man sich erst einmal länger orientieren.

Welchen Schauplatz soll die Rundbogen-Brückenkonstruktion definieren, die von Monika Rovan auf die Bühne gestellt wurde, auf der sich ansonsten nur noch ein fahrbares Podest mit einem Schlagzeug befindet? Was soll es uns sagen, dass der Großbauer Puntila, Herr über 90 Kühe, im Western-Style kostümiert ist, mit Cowboy-Hut und umgeschnalltem Revolver-Halfter? Hier wird aber angeblich nicht geritten, sondern gefahren - schließlich ist Matti sein neu eingestellter Chauffeur. Tim Breyvogel trägt als Matti langes Haar, Lederjacke und eine mürrische Miene zur Schau. Seinem Herrn kann er ordentlich Kontra geben, doch auch die Schnauze halten, wenn es darauf ankommt. Er kennt die Rangordnung und die Machtverhältnisse. Er ist ein schlauer Kerl, doch kein Revoluzzer.

Mit ihm und Laura Laufenberg als Puntilas selbstbewusste Tochter Eva hätte es noch was werden können - mit der gemeinsamen Zukunft und mit diesem Abend. Das eine verhindern die gewachsenen gesellschaftlichen Verhältnisse, wie Matti seiner Braut nüchtern vorführt. Das andere verhindert eine Inszenierung, die in den Nebenfiguren viel Mummenschanz betreibt und im Zentrum auslässt: Tilman Rose poltert als Puntila durch das Stück, ohne die Brüche nachvollziehbar und sichtbar zu machen. Dass der systemimmanente Normalzustand des Gutsbesitzers die Ausbeutung und Unterdrückung ist und er nur in der Trunkenheit zum freundlichen Umgang mit den Mitmenschen findet, dass sich bei ihm also die Normalität umkehrt, vermittelt sich nur in Ansätzen. Das Gleiche gilt für das musikalische Konzept.

Kyrre Kvam hat Paul Dessaus Musik bearbeitet. Dass Laura Laufenberg und Tim Breyvogel selbst den Akkordeonisten Miloš Todorovski immer wieder an Cello und Schlagzeug begleiten, ist an sich eine schöne Idee, vieles bleibt aber rätselhaft. Die Präsenz von Diskokugel und kurzen Musik-Show-Einlagen auf einem TV-Schirm erschließt sich erst bei Lektüre des Programmhefts: "Das Symbol für die Freiheit ist die Disko, welche zu ihrer Hochphase ansetzte in ebenjener Zeit, in der die Inszenierung verortet ist, den 70ern. Die Musik der Diskos ist eine ekstatische, eine exzessive und freie. In den Orten des Disco wird sich über Klassengrenzen hinweggesetzt, wird vor allem in den USA die Segregation (zumindest ansatzweise) ausgesetzt und werden die normativen Strukturen des Patriarchats außer Kraft gesetzt - Schwule und Lesben feiern hier offen mit Heterosexuellen, sexuelle Lust wird frei zelebriert." Ah, ja!

Der Funken ist an diesem Abend jedenfalls nicht übergesprungen. Dass die Zündung versagt hat, daran ist Chauffeur Matti jedenfalls nicht schuld. Erster Befund in der Garage: Vielleicht ist beim Einbau des alten Motors in eine neue Karosserie was schief gegangen. Ein General-Check dürfte sich allerdings nicht lohnen: Nur noch sechs weitere Ausfahrten (zwei davon nach Baden) sind geplant.

(S E R V I C E - "Herr Puntila und sein Knecht Matti" von Bertolt Brecht, Musik von Paul Dessau, Inszenierung: Ruth Brauer-Kvam, Bühne: Monika Rovan, Kostüme: Ursula Gaisböck, Musikalische Leitung: Kyrre Kvam, Mit Tobias Artner, Tim Breyvogel, Marthe Lola Deutschmann, Philip Leonhard Kelz, Laura Laufenberg, Tilman Rose, Michael Scherff, Miloš Todorovski (Akkordeon), Landestheater Niederösterreich, St. Pölten, Weitere Vorstellungen: 15.1, 9., 16.2., 12.3., an der Bühne Baden: 8. und 9.3., Karten: 02742 / 90 80 80 600, www.landestheater.net)

ribbon Zusammenfassung
  • Tim Breyvogel trägt als Matti langes Haar, Lederjacke und eine mürrische Miene zur Schau.
  • Mit ihm und Laura Laufenberg als Puntilas selbstbewusste Tochter Eva hätte es noch was werden können - mit der gemeinsamen Zukunft und mit diesem Abend.
  • Dass Laura Laufenberg und Tim Breyvogel selbst den Akkordeonisten Miloš Todorovski immer wieder an Cello und Schlagzeug begleiten, ist an sich eine schöne Idee, vieles bleibt aber rätselhaft.

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