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Anna Bergmann seziert im Volkstheater toxische Männlichkeit

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Ein pechschwarzes Haus, eine einsame Parkbank und viel leerer Raum: In ihrer Inszenierung von Ödön von Horváths "Die Unbekannte aus der Seine" verwandelt die deutsche Regisseurin Anna Bergmann die Volkstheaterbühne in eine Art Mausoleum der gerade noch Lebenden - und eines Tötenden. Denn die dem Stück seinen Namen gebende Wasserleiche ist hier keine Selbstmörderin, sondern Opfer eines Femizids. Ein beklemmender Abend, der das Genre der Komödie weit hinter sich lässt.

Bergmann, die vor der Bestellung des künftigen Volkstheaterdirektors Jan Philipp Gloger als heiße Kandidatin für die Leitung des Hauses ab Herbst 2025 kolportiert wurde, legt bereits zum zweiten Mal Hand an das vergleichsweise selten gespielte Werk. Nach ihrer Inszenierung am Münchner Volkstheater im Jahr 2011 bezeichnete die "Süddeutsche Zeitung" die 1978 geborene Regisseurin als ein "in alle Richtungen explodierendes Fräuleinwunder des deutschen Theaterbetriebs". Hatte Bergmann bereits damals den Selbstmord gestrichen und durch einen von einer Frau verübten Eifersuchtsmord ersetzt, geht sie nun einen Schritt weiter und setzt in den zwei pausenlosen Stunden ihrer ersten Inszenierung am Haus auf toxische Männlichkeit, die sich schlussendlich im Femizid entlädt.

Das drohende Unheil nimmt Bergmann bereits vorweg, indem sie den Epilog an den Anfang stellt, der in einer schauerlich anmutenden Zukunft spielt, in der ein penetrantes Störflimmern die gesamte Szenerie überzieht, in der eine Art Armee mit überdimensionalen Helmen durch die Straßen zieht und einen nackten Gefangenen vor sich her treibt, während die starre Bevölkerung lediglich zusieht und sich währenddessen über die Totenmaske (der Unbekannten aus der Seine) als stark nachgefragten Kunstgegenstand unterhält. Die verzerrten Stimmen kommen dabei vom Band, im Hintergrund singt ein Kinderchor. Ein Auftakt wie ein Plakat mit der Aufschrift: "Achtung, keine Komödie!"

Nach diesem schaurig-schönen Prolog geht es zurück in die Vergangenheit, in der die Bewohnerinnen und Bewohner des schwarzen Hauses ihr Leben abspulen: Uwe Schmieder deckt die kleinen Tischchen vor dem Haus in seiner liebevoll-grotesken Rolle der Wirtin, Evi Kehrstephan drapiert als Floristin Irene ein paar Blumen für die bevorstehende Hochzeit zwischen ihrem Nachbarn Emil (mit queerem Anstrich: Nick Romeo Reimann) und dessen Verlobter Klara (entrückt: Irem Gökçen), während Lucas Gregorowicz als ihr liebeskranker Ex-Freund Albert auftaucht, um sie zurückzugewinnen. Doch mit Ernst (Christoph Schüchner) hat Irene bereits einen neuen Liebhaber gefunden, der Albert sogleich eine Pistole in die Hand drückt, um ihn zum Selbstmord zu ermuntern. Doch dieser ermordet in derselben Nacht im Zuge eines Raubüberfalls aus Versehen die im Haus ansässige Uhrmacherin (singend und sterbend exaltiert: Sona MacDonald). Und da er dabei von einer Unbekannten beobachtet wird, die er kurz zuvor kennengelernt hat, gerät er in die Fänge dieser einzigen Zeugin, die ihm gegen ein bisschen Zuwendung ein Alibi anbietet.

Wie es mit Birgit Unterweger als der Unbekannten enden wird, ist bereits von Anfang an klar, hat Bergmann sich doch dazu entschlossen, sie zwischen den Akten überlebensgroß als im Wasser liegende und Texte von Christine Lavant sprechende Sterbende auf einen transparenten Vorhang zu projizieren. Dieser Schachzug verleiht der Unbekannten emotionale Tiefe und verdeutlicht die Stimmung des unabwendbaren Unheils. Auch in ihren Auftritten auf der Bühne tropft ihr Mantel und sind ihre Haare nass, sodass Unterweger stets wie ein Geist wirkt, der die Handlung zu ihrem unvermeidbaren Ende lenkt. Dabei changiert Unterweger zwischen emanzipierter Frau und demütiger Geliebten, während Gregorowicz nicht nur aufgrund seiner Liebe (für Irene), sondern auch durch die Angst, für sein Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, immer mehr in den Wahnsinn gleitet. Bis ihm Worte nicht mehr ausreichen und er die Unbekannte im großen Finale ertränkt.

Am Ende steht wieder der Blick in die Zukunft, leicht abgewandelt aber nicht weniger entmenschlicht, wenn die Figuren - diesmal allesamt hinter den Totenmasken - an der Rampe stehen und der Kinderchor Harry Styles' "Sign of the Times" anstimmt: "Just stop your crying / It's a sign of the times / We gotta get away from here..." Nein, hier kommt niemand mehr raus. Vor allem nicht die Frauen: weder die Lebenden, noch die Toten.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Die Unbekannte aus der Seine" von Ödön von Horváth mit Texten nach Christine Lavant im Volkstheater. Regie: Anna Bergmann, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Lane Schäfer, Musik: Heiko Schnurpel, Video Art: Sophie Lux. Mit u.a. Lucas Gregorowicz, Evi Kehrstephan, Sona MacDonald, Nick Romeo Reimann, Uwe Schmieder, Christoph Schüchner und Birgit Unterweger. Weitere Termine: 27. März, 5., 11. und 21. April. Infos und Tickets unter www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Anna Bergmann inszeniert Ödön von Horváths 'Die Unbekannte aus der Seine' am Volkstheater und setzt den Fokus auf toxische Männlichkeit und Femizid.
  • Bergmann, potenzielle Leiterin des Volkstheaters ab Herbst 2025, inszenierte das Stück bereits 2011 neu und verändert es erneut.
  • Die Inszenierung beginnt mit einem düsteren Epilog in der Zukunft und führt dann zurück in die Vergangenheit der Charaktere.
  • Birgit Unterweger spielt die titelgebende Unbekannte, deren Schicksal als Wasserleiche von Beginn an feststeht und die zwischen den Akten als Sterbende projiziert wird.
  • Weitere Aufführungen des Stücks finden am 27. März, sowie am 5., 11. und 21. April statt; Tickets sind über die Volkstheater-Website erhältlich.