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"Amrum": Das Kriegsende aus Kinderaugen

Heute, 04:18 · Lesedauer 5 min

Eine deutsche Kriegsgeschichte, sie spielt im Jahr 1945 auf einer kleinen Nordseeinsel: Mit "Amrum" betritt Fatih Akin ein Terrain, das zunächst weit entfernt wirkt von seinen bisherigen Arbeiten. Im Fokus steht ein Kind von Nazi-Eltern. Es geht um Fragen von Herkunft, Zugehörigkeit und Identität - ab Freitag im Kino.

Themen, die der Hamburger normalerweise von den Rändern der deutschen Gesellschaft aus beleuchtet und dabei Opfer oder verdrängte Stimmen in den Blick nimmt. Er habe, sagte Akin nach der Premiere bei den Filmfestspielen Cannes, erst nicht geglaubt, der Richtige für diesen Film zu sein. Er hatte das Projekt von seinem Mentor und Freund Hark Bohm (86) übernommen, der aus gesundheitlichen Gründen als Regisseur ausschied.

"Ich als Migrationskind der 70er-, 80er-, 90er-Jahre, aus der Großstadt", sagte Akin im Interview. "Das ist natürlich für mich schon eine sehr andere Welt und ein sehr anderes Genre, Deutschland 1945. Und das ohne Nostalgie, Verklärung, Kitsch und Klischees zu erzählen und präzise zu sein. Das war für mich die größte Herausforderung."

"Amrum" basiert auf den Kindheitserinnerungen Bohms, die Geschichte ist auch als Buch erschienen. Bei aller Distanz, die Akin als Sohn türkischer Migranten zu einer Geschichte über ein Kind deutscher Nationalsozialisten gehabt haben dürfte, ist daraus trotzdem ein gelungener Film geworden. Viele deutsche Stars sind in Nebenrollen zu sehen, darunter Diane Kruger und Detlev Buck.

Akin erzählt auf berührende Weise von einem Buben (Jasper Billerbeck), der versucht, sich durch den harten Kriegsalltag zu navigieren und der dabei seine kindliche Unschuld verliert. Gerahmt ist das von beeindruckenden Landschaftsaufnahmen der Nordsee-Insel Amrum. Tatsächlich sieht das Publikum für Akin ungewohnte Bilder - die Weite des Watts, Nahaufnahmen von diversen Tieren, fliegende Wildgänse, einen glitzernden Sternenhimmel.

"Dreh mal mit Ebbe und Flut. Da lernst du richtige Demut"

Die Dreharbeiten auf Amrum waren besonders. "Dreh mal mit Ebbe und Flut. Da lernst du noch mal eine richtige Demut", beschreibt es Akin. Im Zentrum steht der zwölfjährige Nanning, der mit seiner Mutter (Laura Tonke) die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs auf Amrum erlebt. Seine Eltern sind überzeugte Nationalsozialisten. Die Familie, die eigentlich in Hamburg lebte, zog während des Kriegs auf die Nordsee-Insel. Dort bleibt Nanning ein Außenseiter. Von einem Mitschüler muss er sich anhören, "kein echter Amrumer" zu sein.

"Hark hat immer daran geglaubt, dass ich richtig wäre dafür - wovon ich selbst gar nicht überzeugt war", sagte Akin. "Er sagte: "Doch, du kennst das und du weißt, was das bedeutet: Weil deine Eltern die Heimat verlassen haben." Ich habe mir zuerst gedacht: "Was labert der denn da?" - bis mir aufgefallen ist: "Nein, er hat recht."

Der Film habe ihn über seine Identität als Deutscher nachdenken lassen. "Goethe hat gesagt: Wo die Bildung ist, da ist das Vaterland. Und der Dude hat recht. Ich habe Lesen und Schreiben auf Deutsch gelernt, nicht auf Türkisch. Ich habe meine ersten Filme auf Deutsch gesehen, ich war in einer deutschen Filmhochschule. Das ist kein Teil meiner DNA - denn die liegt irgendwo im Kaukasus und Ägypten und Kreta -, aber Teil meiner Seele."

Nachdenken über deutsche Verantwortung

Deutsch sein beschäftigt den Filmemacher auf vielen Ebenen. Es gibt eine zentrale Sequenz im Film, in der Nanning auf seinen Onkel (Matthias Schweighöfer) trifft, der vor den Nazis geflohen ist. "Du bist nicht schuld, aber du hast dennoch damit zu tun", sagt dieser zu ihm in Bezug auf das Nazi-Erbe.

Dieser Satz beeinflusse die deutsche Politik bis heute, sagt Akin. "Unser Verlangen nach Absolution beeinflusst unsere Außenpolitik zu Israel auf fatale Weise. Ich denke, das sind nicht die richtigen Lehren, die aus der Geschichte gezogen wurden."

Wie sich politische Schuld im Kleinen auswirkt, zeigt Akin am Schicksal von Nannings Familie. Während sein Vater nach Kriegsende in Gefangenschaft ist, gerät die Mutter (Laura Tonke), die gerade ein Kind bekommen hat, über die deutsche Kapitulation und den Tod Adolf Hitlers in eine Depression. Sie verschanzt sich im Bett und nimmt keine Nahrung mehr zu sich. Ihr Neugeborenes lässt sie schreien ("Stärkt die Lungen").

Warum "Amrum" doch zu Fatih Akin passt

Das Einzige, was sie essen würde, wäre ein Weißbrot mit Honig, sagt sie. Zutaten, die nach dem Krieg auf Amrum nahezu unmöglich zu bekommen sind. Nanning macht sich auf den Weg, sie trotzdem zu beschaffen. Und begibt sich dafür in ein Netz aus komplizierten Tauschhandeln und Tierjagden.

Die Zuschauer machen dabei gemeinsam mit Nanning brutale Erfahrungen. Einmal versucht er quälend langsam, ein panisch quietschendes Kaninchen totzuschlagen. Anschließend nimmt er es aus. Von einem Verwandten, den er nach langem Marsch durch das Watt erreicht, will er Butter bekommen. Doch den Verwandten, ebenfalls ein überzeugter Nazi, entdeckt er erschossen an seinem Schreibtisch.

Der Filmemacher scheut vor solchen Darstellungen nicht zurück. Er zeigt diese Härte nicht um ihrer selbst willen, sondern um zu verdeutlichen, wie Gewalt und Ideologie in das Leben eines Kindes hineinwirken. Bei genauerem Hinsehen passt "Amrum" damit am Ende doch ziemlich gut in Fatih Akins Gesamtwerk.

(Von Lisa Forster /dpa)

(S E R V I C E - www.warnerbros.de/de-at/filme/amrum)

Zusammenfassung
  • Fatih Akin verfilmt mit "Amrum" eine Kriegsgeschichte aus dem Jahr 1945, die auf den Kindheitserinnerungen von Hark Bohm basiert.
  • Im Mittelpunkt steht der zwölfjährige Nanning, der als Sohn überzeugter Nazi-Eltern auf der Nordseeinsel Amrum die letzten Kriegstage erlebt.
  • Akin, selbst Kind türkischer Migranten, reflektiert im Zuge des Projekts seine eigene Identität und Zugehörigkeit in Deutschland.
  • Eine zentrale Szene thematisiert das deutsche Erbe und die Verantwortung: "Du bist nicht schuld, aber du hast dennoch damit zu tun."
  • Die Mutter verfällt nach Kriegsende in eine Depression, verweigert Nahrung und zwingt Nanning zu gefährlichen Beschaffungsversuchen.