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Ai Weiwei mit Totentanz in Venedig und Schau-Ende in Wien

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Erstaunt, nahezu irritiert betreten einige Besucher die Palladio-Basilika der venezianischen Insel San Giorgio Maggiore. Während der internationalen Kunstbiennale von Venedig treffen Touristen und Kulturfans derzeit fast überall auf Kunst. Im Dogenpalast sind die Monumentalbilder von Anselm Kiefer zu sehen, vor dem Palazzo Grassi weist ein riesiges Plakat auf die beeindruckende Ausstellung der südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas hin.

Doch am Eingang der Kirche San Giorgio Maggiore gibt es keinerlei Hinweise auf das, was die Besucher drinnen erwartet. Die meisten kommen mit den Vaporettos, den Wasserbussen, um vom Kirchturm aus die Panoramablicke auf den Großen Kanal und den Markusplatz zu genießen. Zuvor schaut man sich normalerweise noch die Tintoretto-Gemälde seitlich des Hauptaltars an. Aber direkt beim Betreten des Mittelschiffs bleiben die Blicke sofort an einem gewaltigen, überdimensionalen Kronleuchter kleben, der den Hauptaltar fast komplett verdeckt.

Aufgehängt an einer Stahlstruktur scheint der neun Meter hohe und fast drei Tonnen schwere Glasleuchter nur knapp über dem Boden zu schweben. Je mehr man sich ihm nähert, desto größer wird die Verwirrung. Der Kronleuchter ist eigentlich eine monumentale Skulptur aus pechschwarzem venezianischem Murano-Glas. Menschliche Skelette, Gedärme, offen liegende Herzen und Tierschädel geben dem Werk einen nahezu satanischen Charakter.

Mit den aus fast 2.000 Einzelteilen bestehenden Höllenszenen will der weltberühmte chinesische Künstler und Menschenrechtsaktivist Ai Weiwei (65) uns an etwas erinnern, worüber die wenigsten von uns nachdenken oder nachdenken wollen - unseren Tod und unsere Vergänglichkeit. So gab er der noch bis zum 27. November zu sehenden Einzelschau in Anlehnung an Dantes infernale "Göttliche Komödie" auch den Titel "La Commedia umana", die menschliche Komödie. Doch erst der lateinische Untertitel "Memento Mori" geht richtig unter die Haut, bringt die Botschaft auf den Punkt: "Denke daran, dass du sterben musst".

Drei Jahre arbeitete Ai Weiwei an dem Werk. Es geht aber nicht nur um unsere Vergänglichkeit, sondern auch um den Beitrag der Menschheit am Tod und am Elend auf der Welt. Es geht um Zigtausende Menschen, die vor Hunger und Krieg auf der Flucht sind und dabei zu Tode kommen. Es geht um den vom Menschen provozierten Klimawandel, der todbringende Dürren, Stürme und Naturkatastrophen verursacht.

Es geht um Epidemien, aber auch um russische Bomben in der Ukraine und um gefährliche militärische Machtspiele Chinas in Taiwan im politischen Poker mit dem Westen. Es geht um Überwachungsstaaten, Meinungsfreiheit, Menschenrechte und damit indirekt auch um die Achillesferse des Westens - die wirtschaftliche Abhängigkeit von Chinas Billigproduktion. So finden wir in der ikonografischen Fülle der Skulptur auch immer wieder ausgestreckte Mittelfinger und Überwachungskameras wieder. "Verdienen wir diesen Planeten wirklich?", fragte sich der Künstler und politische Dissident während der Eröffnung der Exposition in Venedig.

Damit passt die Skulptur, die einem grotesken Totentanz ähnelt, wunderbar ins posthumane Themenkonzept der aktuellen Kunst-Biennale von Venedig. Schutzhelme aus Buntglas im Kirchenchor, seine berühmten Lego-Werke von Tierkreiszeichen und seine Verhaftung 2011, aber auch seine neuen Baumstumpf-Skulpturen im Innenhof der Basilika sowie die erst Anfang des Jahres entstandenen Porträt-Glasbüsten mit Teufelssymbolen lassen den Besucher über Neid, Egoismus, die Auswirkungen der Menschheit auf die Welt und über ihre eigene Sterblichkeit nachdenken.

"In Search of Humanity" - also auf die Suche nach der Menschlichkeit - macht sich Ai Weiwei auch seit März in der Albertina modern. Wer noch einen Blick auf die Schau am Wiener Karlsplatz werfen möchte, hat allerdings nur noch bis zum (morgigen) Sonntag Zeit. Angesichts des Auslaufens der Retrospektive verlängert das Haus am Wochenende seine Öffnungszeiten, und ist am Samstag und Sonntag von 10.00 bis 20.00 Uhr geöffnet, wie die Albertina modern in einer Aussendung mitteilte.

(S E R V I C E - Ai Weiwei in Venedig: http://go.apa.at/ZAe2YRFR; Link zur Wiener Schau: www.albertina.at/albertina-modern/ausstellungen/ai-weiwei/)

ribbon Zusammenfassung
  • Erstaunt, nahezu irritiert betreten einige Besucher die Palladio-Basilika der venezianischen Insel San Giorgio Maggiore.
  • Während der internationalen Kunstbiennale von Venedig treffen Touristen und Kulturfans derzeit fast überall auf Kunst.
  • Zuvor schaut man sich normalerweise noch die Tintoretto-Gemälde seitlich des Hauptaltars an.
  • ", fragte sich der Künstler und politische Dissident während der Eröffnung der Exposition in Venedig.

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