Martin Holzner/PULS 24

Kommt 'ne Kuh und spuckt ins Bett – für Saferen Sex, danke wie nett!

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Auch das noch - Die WHO ruft eine "stille" neue Pandemie aus. Haben wir nicht langsam mal genug mitgemacht?

Ja und, anscheinend: nein. Denn in dieser geht es um Krankheiten, die wir eigentlich schon ganz gut unter Kontrolle geglaubt hatten: Geschlechtskrankheiten, wie Syphillis, Tripper und HIV.

Die Lage sei "außer Kontrolle", zitiert der Guardian US-amerikanische Gesundheitsexpert*innen. Dort haben die Syphilis-Neuinfektionen im letzten Jahr mit über 52.000 gemeldeten Fällen einen neuen Höchststand seit 1948 erreicht, und auch die HIV-Fälle sind im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent gestiegen. Auch die "Japan Times" berichtet von den höchsten Syphilis-Neuinfektionszahlen seit Beginn der Aufzeichnungen.

Und auch, wenn bei uns die genaue Fallzahlenerfassung ähnlich bürokratisch komplex erscheint, wie das postalische Umsetzen einer Impfpflicht: ein "gewisser Trend im Sinne der Zunahme der Infektionen" lasse sich auch hierzulande abzeichnen, wird die zuständige Behörde zitiert.

 

Aber wieso denn bloß? Hier (m)eine Theorie: erst monatelanges Distanzieren bei ständigem Diskutieren über potentiell tödliche Körperflüssigkeiten und Tröpfcheninfektionen.

Dann zack, der Summer of Love: endlich wieder Schleimhäute an möglichst vielen wildfremden Leuten reiben, so sexy, so gerade fast noch verboten! Was uns nicht umbringt, macht uns härter. Es sei denn, es macht halt stattdessen blind, unfruchtbar oder einen echt unangenehmen Ausschlag.

Was es alles Unappetitliches gibt

Wer, so wie ich, das Privileg hatte, in der Weiterbildung zur systemischen Sexualberaterin ein komplettes Wochenende lang sehr explizites Bildmaterial zum Thema Geschlechtskrankheiten sichten zu dürfen, beharrt danach doppelt so gern auf Kondomen und regelmäßigen Tests. Und weiß leider auch, dass beispielsweise Tripper, genau wie Herpes, auch beim Küssen übertragen werden kann, ungetesteter Oralverkehr einfach nie eine gute Idee ist, und Kondome vor HPV und Chlamydien leider nur bedingt schützen – sofern sie denn überhaupt richtig übergezogen werden, dann nicht abrutschen und/oder platzen, und im Idealfall sogar die richtige Größe haben.

(Denn ja, es gibt Kondome in vielen verschiedenen Größen, dabei geht es, wie öfters im Leben, nicht so sehr um die Länge wie um den Umfang, und was man damit machen kann natürlich, und mir haben schon mehr als drei Männer gesagt, dass diese Information und das für sie passendere Kondom ihr Sexleben verändert haben – falls jetzt auch Ihres: gern geschehen)

Long story short: Verhütung mit Kondomen ist nach wie vor wirklich wichtig, aber nicht unfehlbar. Die gute Nachricht ist aber: das könnte sich demnächst verbessern.

Das Wundermittel aus der Kuh

Forschende um Wissenschaftler Hingij Yan der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm haben nämlich ein neues Verhütungs-Gleitgel entwickelt, das virale Partikel aufnimmt und anschließend eliminiert. Ersten Studien zufolge zu 70 Prozent wirksam gegen HIV, Herpesviren sollen sogar bis zu 80 Prozent abgetötet werden.

Und falls Sie sich jetzt zurecht fragen, welche Wundersubstanz zu so einer Meisterleistung in der Lage ist: Kuhspucke. Ja, richtig gelesen: M-M-Muuuh, nein, Muzin-Moleküle, im Speichel von Kühen sind nicht nur dazu gut, deren Sabber schön schleimig zu halten und die gekaute Nahrung gut in die diversen Mägen zu befördern, sondern anscheinend auch, um unseren Sex jetzt bald noch sicherer zu machen.

Nicht zuviel nachdenken

Ich habe in meinem Leben schon zu viele Pornos rezensiert und auch sonst eine deutlich zu bunte Fantasie, um mir auszumalen, wie man auf diese Erkenntnis gekommen ist. Aber hey, wer heilt, hat recht. Momentan arbeitet man in Stockholm daran, die synthetische Variante der Kuhspucke herzustellen und dann hoffentlich in die Produktion zu bringen. Die soll übrigens keinerlei Nebenwirkungen haben. Außer vielleicht ein paar intrusiven Gedanken an Fleckvieh.

Und bis es so weit ist: Testen, testen, testen? Schön wär's. In einer idealen Welt käme man so unkompliziert und günstig an Testangebote wie für die weniger stillen Pandemien unserer Zeit.

In der Realität werden gerade junge Frauen beim Arztbesuch oft erst mal ge-slut-shamed, pardon, ausgefragt, warum sie überhaupt testen wollen – und dabei auch gerne mal nach dem Herkunftsland ihrer Sexualpartner befragt, weil "bei uns gibt es sowas ja eher selten".

Ich glaub, mich tritt 'ne Kuh! Wie wäre es stattdessen mit einem jährlichen Screening auf Kappe der Krankenkassen?

Als besonderen Service zum Schluss spare ich mir jetzt den Almabtrieb-Wortwitz. Gern geschehen.

Theresa Lachner ist systemische Sexualberaterin und Gründerin des größten deutschsprachigen Sexblogs LVSTPRINZIP sowie des gleichnamigen Podcasts und Buchs.

Quellen:

https://www.theguardian.com/society/2022/sep/19/sexually-transmitted-disease-rise-syphilis-us

https://www.japantimes.co.jp/news/2022/08/28/national/japan-syphilis-spike/

https://www.derstandard.de/story/2000137272180/die-stille-epidemie-der-geschlechtskrankheiten

https://www.aidshilfe.de/geschlechtskrankheiten

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/advs.202203898

ribbon Zusammenfassung
  • Auch das noch - Die WHO ruft eine "stille" neue Pandemie aus: Geschlechtskrankheiten. Haben wir nicht langsam mal genug mitgemacht?
  • Aber die Rettung kommt von unerwarteter Seite.

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