Gerald Karner WeltblickPULS 24

Karners Weltblick: Was China will

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Der diplomatische Affront Chinas gegen den deutschen Finanzminister Christian Lindner hat nur vordergründig mit Deutschland zu tun. Tatsächlich sollte es eine Warnung sein, meint Kolumnist Gerald Karner.

Wenn ein deutscher Finanzminister unter dem billigen Vorwand von Terminschwierigkeiten kurzfristig von einem Besuch seines chinesischen Amtskollegen praktisch ausgeladen wird, ist das hierzulande (wie auch in beinahe allen anderen europäischen Staaten, Deutschland natürlich ausgenommen) den meisten Medien kaum eine Erwähnung wert.

Dabei geht es in diesem Fall nur vordergründig um bilaterale Angelegenheiten. Er offenbart den Charakter des chinesischen Regimes, ist Teil chinesischer Machtpolitik und (allerdings im Kontext anderer Ereignisse wichtiger) Nebenschauplatz der Auseinandersetzung zwischen China und den USA um eine globale Vormachtstellung. Und wir anderen Europäer scheinen noch nicht begriffen zu haben, dass es nicht nur um Deutschland und schon gar nicht um die FDP oder Christian Lindner geht, sondern um Europa bzw. die EU.

Wir scheinen auch nicht begriffen zu haben, dass wir als Mitglieder der EU Teil dieses Machtspiels sind und darin Positionen zu entwickeln und zu vertreten haben werden, wollen wir unsere Interessen vertreten und die Zukunft Europas in Freiheit, Sicherheit und Prosperität gestalten.

Unerwünschter Lindner

Worum geht es? Christian Lindner hatte im Juli 2019 anlässlich einer Asien-Reise mit einer Delegation auch Hongkong einen Besuch abgestattet. Zu dieser Zeit protestierten dort rund zwei Millionen Menschen gegen die Einschränkung der Sonderrechte der Finanzmetropole, Proteste, die unter Anwendung von Gewalt schließlich niedergeschlagen wurden. Peking bewertete diesen Besuch damals offenbar als unfreundlichen Akt, alle vorgesehenen Termine Lindners in der Volksrepublik wurden wenige Stunden vor Beginn abgesagt.

Im Februar 2023 hatte dann eine Delegation unter Leitung der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Taiwan besucht. So wie den Besuch von Nancy Pelosi, der damaligen Führerin der Demokraten im US-Senat, im August des Vorjahres, wurde auch dieser seitens der chinesischen Führung als Affront betrachtet, die nunmehrige Ausladung Lindners kann getrost als späte Retourkutsche dafür und die China-kritische Haltung der FDP unter Lindner gesehen werden.

Praktisch gleichzeitig besucht der chinesische Außenminister Qin Gang Berlin und trifft dort in Vorbereitung der im Juni vorgesehenen deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock, die bereits im April anlässlich ihres Besuchs in Peking sehr deutliche Worte an das chinesische Regime gerichtet hatte und auch diesmal wieder eine sehr robuste Haltung vertrat. Qin Gang machte dabei sehr deutlich, worum es China wirklich geht: Er warnte Deutschland davor, sich wirtschaftlich "von China zu entkoppeln".

Wenn man glaubte, damit die Risiken verringern zu können, würde man auch Chancen, Kooperation, Stabilität und Entwicklung reduzieren. Ohne die USA direkt zu nennen, beschuldigte er diese praktisch, einen neuen Kalten Krieg vom Zaun zu brechen, indem unilaterale Sanktionen verhängt und Inflation und Finanzkrisen exportiert würden. Wenn dieser neue Kalte Krieg ausgefochten würde, würden nicht nur die Interessen von China verletzt, sondern auch jene Europas geopfert, so Qin.

Was China eigentlich will

Es ist klar, dass es China darum geht, eine engere Abstimmung, womöglich gar eine Kooperation der EU mit den USA gegenüber Peking zu vermeiden. Es setzt für dieses Ziel aktuell hauptsächlich diplomatische und wirtschaftspolitische Mittel ein, scheut dabei offenbar aber auch kaum verhohlene Drohungen nicht mehr. Den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron glaubt China nach seinem Besuch in Peking im April sehr wahrscheinlich schon auf seiner Seite. Macron hatte bekanntlich auf seiner Rückreise mit Blick auf den Taiwan-Konflikt sinngemäß gemeint, Europa solle nicht "Mitläufer" sein und sich nicht in Konflikte verwickeln lassen, die "nicht unsere sind".

Nunmehr wendet sich die chinesische Aufmerksamkeit dem zweiten großen EU-Staat zu. Eine Außenpolitik, die nicht nur auf Erhaltung stabiler Beziehungen und wirtschaftlicher Prosperität fokussiert, sondern die Qualität der zwischenstaatlichen Beziehungen auch im Lichte von Werten, wie Menschen- und Freiheitsrechte betrachtet, scheint Peking da eher hinderlich zu sein. Europa wird sich entscheiden müssen, ob es den pragmatischen Weg beschreiten will, einem Partner einen Einflussbereich zuzugestehen, in dem dieser nach seinen Regeln herrschen kann, wie er will, und die Augen vor Menschenrechtsverletzungen zugunsten wirtschaftlicher Prosperität zu verschließen, oder diese durch klare, wertebasierte Haltungen gegebenenfalls zu riskieren.

Nun zeigt sich allein schon bei der deutschen Bundesregierung, wie schwer es ist, zwischen dem eher pragmatischen Kanzler Olaf Scholz und seinen Koalitionspartnern im nationalen Rahmen einhellige Positionen zu entwickeln. Von solchen der EU scheint man daher noch weit entfernt, da sollte die Haltung der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht darüber hinwegtäuschen.

Russland als Warnung

Dabei sollte das Beispiel einer Jahre dauernden Ignoranz gegenüber dem Verhalten Russlands Europa eigentlich klar vor Augen führen, dass eine Außenpolitik, die prioritär auf die Erhaltung wirtschaftlicher Vorteile gerichtet ist, längerfristig unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen kann, von den Opfern, die die Ukraine bringt, ganz abgesehen. Immerhin konnte gegenüber dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine weitgehend einheitliche Linie gefunden und gehalten werden, und diese scheint sich nunmehr auch auszuzahlen: Nach dem Scheitern der russischen Winteroffensive bereitet die Ukraine durch Schläge auf die Tiefe des russischen Dispositivs, indem dort Logistikzentren, Munitionslager, Eisenbahnlinien sowie Führungs-, Informations- und Kommunikationszentralen angegriffen werden, die eigene Offensive vor.

Sogar im Raum Bachmut erzielen die ukrainischen Streitkräfte erhebliche Geländegewinne, während sich an den Ereignissen dort wiederum ein Konflikt zwischen der russischen Führung der regulären Streitkräfte und Wagner-Führer Jewgeni Prigoschin aufflammt, der nunmehr bereits direkt auch zu Kritik an Präsident Wladimir Putin führt. Beinahe schon gespenstisch wirkte da die Parade zum Jahrestag des Sieges im Großen vaterländischen Krieg am 9. Mai: Unter Entfall des üblichen Lufttreffens und angeführt vom einzigen teilnehmenden Kampfpanzer, einem musealen T-34 aus dem 2. Weltkrieg, paradierten laut britischem Verteidigungsministerium hauptsächlich "Hilfskräfte, paramilitärische Kräfte und Kadetten aus militärischen Ausbildungseinrichtungen" am Roten Platz. Von regulären Kräften wären lediglich Eisenbahntruppen und Militärpolizei vertreten gewesen. Putin selbst sprach dabei erstmals von einem "Krieg", der von "westlichen Eliten" unter Führung der USA "gegen Russland" entfesselt worden wäre.

Die völlig unangebrachte Gleichsetzung der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine schärft die russische Argumentation dieses Überfalls neuerlich, zeugt aber auch von der Nervosität der russischen Führung. Um mit der britischen "Times" zu sprechen: Statt einem Erfolg auf dem Schlachtfeld soll so offenbar zumindest der "Trostpreis der Opferrolle" gewahrt werden.

ribbon Zusammenfassung
  • Der diplomatische Affront Chinas gegen den deutschen Finanzminister Christian Lindner hat nur vordergründig mit Deutschland zu tun.
  • Tatsächlich sollte es eine Warnung sein, meint Kolumnist Gerald Karner.

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