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Verkholt Van der Bellen?

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Die Wiederwahl eines Bundespräsidenten ist an sich zum Gähnen. Warum der 9. Oktober gleich mehrfach für Hochspannung sorgt - und zum Kipppunkt für italienische Verhältnisse werden könnte.

Hand aufs Herz: Könnten Sie spontan sagen, wer bei der Präsidentschaftswahl 2016 im ersten Wahlgang als Sieger hervorgegangen ist? Und mit welchem Abstand er seine Mitbewerber deklassiert hat? Am Abend des 24. April 2016 blieb nicht nur einigen Parteimanagern das Herz kurz stehen. Der Wahlabend ging auch als Schlussakt der rot-schwarzen Götterdämmerung in die Geschichte ein. Die beiden Regierungskandidaten, Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) wurden von den Wählern mit jeweils 11 Prozent auf den schmachvollen vorletzten und letzten Platz verwiesen. Als strahlender Sieger ging der FPÖ-Kandidat hervor. Mit 35 zu 21 Prozent hielt Norbert Hofer im ersten Wahlgang Alexander Van der Bellen sehr deutlich auf Distanz. 

2016 standen alle Zeichen auf einen blauen Durchmarsch Richtung Ballhausplatz. Die FPÖ führte seit Monaten alle Umfragen unangefochten an. Rot-Schwarz war als Regierungsmodell unten durch. Die Koalition stand für Streit & Hader, Blockade & Stillstand. Ein blauer Bundespräsident war bis  zuletzt auch in vielen Umfragen alles andere als unwahrscheinlich.

Der erste Grüne in der Hofburg verdankt seinen Wahlsieg der besseren Mobilisierung dank eines moderneren Wahlkampfs.

Einsamer Favorit

Diesen Freitag startet Alexander Van der Bellen als haushoher Favorit in den Wahlkampf. Aktive und ehemalige Spitzenpolitiker von Rot und Schwarz werden den Gegenkandidaten von gestern beim Wahlkampfauftakt akklamieren und offen unterstützen. Weil ein amtierender Bundespräsident das Abo auf ein Da capo nicht zu nehmen ist, haben SPÖ und ÖVP erst gar keine Kandidaten nominiert. Motto: Angesichts klammer Parteikassen auf eine Adabei-Kandidatin oder Kandidaten zu setzen, Nein Danke.  

Nur die FPÖ investiert drei Millionen in einen Zwischenwahlkampf. Das befeuerte die Phantasie von gleich fünf XXL-Egos ihr Glück bei einer reinen Persönlichkeitswahl zu versuchen. Sie verbindet lediglich eines: Alle Herausforderer des Staatsoberhaupts haben mit den aktuell agierenden Parteien nichts am Hut.

Massiver Rückenwind für Nicht-Partei-Kandidaten

Das ist 2022 noch mehr als 2016 ein massiver Startvorteil: Die multiplen Krisen drohen alle Gewissheiten aus den Angeln zu heben. Sie strapazieren das bisherige politische und ökonomische Lösungs-Repertoire bis zum Anschlag. Sie überfordern sichtlich auch die gewählten Akteure. Das Vertrauen in "die da oben" ist europaweit im Keller. Damit hat ein 08/15-Wahlgang - die absehbar sichere Amtsverlängerung des Staatsoberhaupts - alle Ingredienzien zu einer spannungsreichen Test-Wahl zu werden.

Vierfache Testwahl am 9. Oktober

Testwahl 1: Wie stark schlägt der generelle Politiker-Frust auf die konkrete Wahlbeteiligung am 9. Oktober durch? Eine schwache Wahlbeteiligung schwächt zuvorderst den Favoriten. Bei einer starken Wahlbeteiligung bleibt als offene Frage: Wie viele Wähler sehen - angesichts des diesmal extralangen Stimmzettels - einen Sinn darin,  ihr Kreuz bei anderen Kandidaten zu machen?

Testwahl 2: 2016 entlud sich der Frust gegen Rot & Schwarz gnadenlos wie nie. Es schlug die Stunde der regierungsfernen Außenseiter wie Irmgard Griss und Alexander Van der Bellen. Wie stark entladen sich diesmal Angst, Wut und Protest gegen die Regierungsparteien, zumal eine mit ihrem Ex-Parteichef den Bundespräsidenten stellt? 

Testwahl 3: Kann die FPÖ ihr behauptetes Monopol als die Protestpartei des Landes halten? Mit vier Mitte-Rechts-Kandidaten ist am Stimmzettel das Angebot aufgesplittert wie nie: Der blasse Walter Rosenkranz hat mit  Tassilo Wallentin und Gerald Grosz zwei bunte Hunde gegen sich. Michael Brunner ist abseits seiner Rolle als Chef der Impfgegner-Partei MFG ein noch unbeschriebenes Blatt.

Testwahl 4: Wie viele der selbsternannten Anti-System-Kandidaten à la Tassilo Wallentin und augenzwinkernden Wahl-Bewerber à la Marco Pogo werden ausreichend Stimmen erhalten, um nachhaltig Blut an der Politik zu lecken? 

Sprich: Wird der 9. Oktober zum Kipppunkt für italienische Verhältnisse? Wird aus Aktionismus & Spaß Ernst? Wie in etwa vor einem Jahrzehnt aus den Protestaktionen des Comedian Beppe Grillo die Fünf-Sterne-Bewegung (zuletzt ein entscheidender Faktor auch in der Regierung, jetzt am Verglühen)? 

Fanal Wählerstrafaktion gegen Regierungskandidaten 2016

In knapp fünf Wochen entscheiden die Österreicher darüber, ob Alexander Van der Bellen im ersten Wahlgang wiedergewählt wird oder sich der Niederlage eines zweiten Wahlgangs stellen muss. Fix ist schon jetzt: Die Rache der maßlos enttäuschten Wähler an seinen roten und schwarzen Mitbewerbern Hundstorfer & Khol  2016 war ein bislang einmaliges Fanal. Je mehr Van der Bellen im ersten Wahlgang "verkholt", desto stärker fühlen sich die Tassilo Wallentins und Marco Pogos von heute und morgen ermutigt, bei den kommenden Nationalratswahlen mitzumischen.

Dann könnte ein 2016 höchst umstrittener Satz von Norbert Hofer doch noch wahr werden: "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist."

Josef Votzi ist Journalist und Kolumnist des Magazin "Trend": Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage" jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • Die Wiederwahl eines Bundespräsidenten ist an sich zum Gähnen. Warum der 9. Oktober gleich mehrfach für Hochspannung sorgt - und zum Kipppunkt für italienische Verhältnisse werden könnte.

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