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Am Puls der Politik: Nehammer in der Kickl-Falle

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Viele ÖVP-Polit-Spitzen halten Herbert Kickl ungebrochen nicht für paktfähig. Dennoch sinkt ein schwarzer Landeskaiser nach dem anderen den Blauen willfährig in die Arme. Die ÖVP verspielt im Umgang mit der FPÖ bald jede Glaubwürdigkeit.

Wenn dieser Tage in schwarz-türkisen Regierungszirkeln die Rede auf die FPÖ und Herbert Kickl kommt, dann kommt immer wieder eine Episode aus dem ersten Jahr der türkis-blauen Regierung auf den Tisch.

Das Kabinett Kurz-Strache hatte sich zur ersten Regierungsklausur in der Steiermark eingefunden. Minister, Kabinetts- und Klubmitarbeiter sitzen abends noch informell zusammen. Als es Zeit zum Aufbruch ist, wird einer laut hörbar unrund. Innenminister Herbert Kickl scheitert bei der Suche nach seiner Jacke und herrscht den diensthabenden Cobra-Mann, der routinemäßig zum Schutz des Polizeiministers mit dabei ist, coram publico an: "Wenn die Jacke nicht sofort auftaucht, dann ist Ihr nächster Dienstort die Regelung eines Kreisverkehrs."

Die Jacke der Innenminsters taucht erst am nächsten Tag auf. Sie war in einem unaufälligem Blau gehalten. Ein ähnlich gekleideter leitender Mitarbeiter des ÖVP-Parlamentsklubs hatte sie versehentlich an sich genommen. 

Diese Allerwelts-Episode hinterließ in türkisen Kreisen nachhaltig Eindruck. Der nach außen ruhig und analytisch auftretenden Innenminister ist offenbar leicht aus der Fassung zu bringen. "Mir war bis dahin nicht klar, dass Kickl ein Choleriker ist und wegen einer derartigen Lappalie derart auszucken kann", sagt ein teilnehmender Beobachter.

"Kickl skrupellos und autistisch"

"Vor Haider oder Strache habe ich mich nie  gefürchtet", ließ kürzlich ein bürgerlicher Wirtschaftsmann im kleinen Kreis wissen, "Bei Kickl ist das erstmals anders. Er ist gescheit, skrupellos und in seinem Verhalten aber autistisch. Das ist eine gefährliche Melange." Ein prominenter ÖVP-Nationalrats-Abgeordneter proklamierte noch kurz vor der niederösterreichischen Landtags-Wahl in Sachen Koalition mit der Kickl-FPÖ: "Mit dem kann keiner. Der weiß nicht einmal, ob er einem die Hand geben soll."

Gestern unberührbar, heute Koalitionspartner

Vor dem Wahlgang war auch Udo Landbauer für Johanna Mikl-Leitner ein Unberührbarer. Inzwischen ist nicht nur Niederösterreichs FPÖ-Chef zum Stellvertreter der ÖVP-Landeshauptfrau aufgestiegen.

Jüngst hat auch Wilfried Haslauer die Weichen für Schwarz-Blau gestellt. Der Salzburger ÖVP-Landeschef ging vor der Wahl noch auf totale Distanz zur FPÖ: "Mit den Freiheitlichen in Salzburg sind auch Kickl, Landbauer und Waldhäusl im Gepäck. Diese Halbwahrheiten und Unterstellungen sind in einer Weise neu, wie wir sie nach 1945 nicht mehr gehabt haben. Das erinnert ein bisschen an die 1920er Jahre. Was da herausgekommen ist, das wissen wir."

Blau-türkises Aufgebot mit "Volkskanzler" Kickl?

Türkis-Blau ist im Bund seit Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 zwar Geschichte. Inzwischen werden freilich aber bereits wieder drei Bundesländer von der ÖVP und den Blauen gemeinsam beherrscht. Auf Bundesebene ist nicht mehr von Türkis-Blau, sondern von Blau-Türkis die Rede. In Umfragen ist die FPÖ seit Monaten auf Platz 1. Herbert Kickl hat sich schon zum "Volkskanzler" ausgerufen.

Dieses Wochenende rückte ÖVP-Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler mit einer verbalen Absage aus. "Ein Kanzler Kickl" sei für sie "erschreckend", eine "Koalition mit der Kickl-FPÖ nicht denkbar".

Das ist aus persönlicher Perspektive durchaus plausibel. Karoline Edtstadler hat mit Herbert Kickl als dessen Staatssekretärin im Innenministerium ganz hautnah ihre Erfahrungen gemacht. Der FPÖ-Minister suchte die ÖVP-Kollegin anfangs auch physisch aus dem Ressort fernzuhalten und in einem abseits gelegenen Büro ohne Zugriff auf nur einen Beamten zu isolieren. Edtstadler verblieb unmittelbar im Ministerium samt formaler Zuständigkeit für zumindest eine Sektion.

Das Nicht-Verhältnis zwischen Edtstadler und Kickl ging aber ungebrochen weit über die professionelle Distanz zwischen zwei konkurrierenden Politikern im gleichen Ressort hinaus.

Schwarze Landes-Kaiser ohne Kleider

Mit politischen Absagen an die Blauen sind vor der Wahl in Niederösterreich und Salzburg auch die Spitzen des Landes ausgerückt. Jetzt stehen sie da wie in der Fabel vom "Kaiser ohne Kleider". Nach dem zweifachen Sündenfall haben die Christdemokraten in Sachen "Nein zur Kickl-FPÖ"  bundesweit ein zunehmend unauflösliches Glaubwürdigkeits-Problem. 

Karl Nehammer erklärt den neuen Honeymoon zwischen Türkis und Blau zu lokalen Techtelmechteln, die ihn nichts angingen. Der ÖVP-Kanzler setzt lieber weiterhin unverdrossen auf die von Gerald Fleischmann verordnete Profilierungs-Strategie: Blinker raus Richtung Blau, mit mehr Härte bei Asyl und Absage an die "Political Correctness" von der Klima- bis zur Genderpolitik.

Die ÖVP-Strategen sind überzeugt: Mit der Neuauflage einer Blue-Light-Kampagne à la Kurz könnten sie Platz 1 zurückerobern und auch beim nächsten Koalitions-Poker die Oberhand behalten. Das ist derzeit so nachhaltig glaubwürdig wie die jüngsten Absagen von Johanna Mikl-Leitner und Wilfried Haslauer an die Blauen. 

Josef Votzi ist Kolumnist des Magazin "Trend" und Kommunikationsberater (www.linkedin.com/in/josef-votzi)

Seine wöchentliche Kolumne "Politik Backstage"  jeden Freitag neu auf trend.at

ribbon Zusammenfassung
  • Viele ÖVP-Polit-Spitzen halten Herbert Kickl ungebrochen nicht für paktfähig. Dennoch sinkt ein schwarzer Landeskaiser nach dem anderen den Blauen willfährig in die Arme.
  • Die ÖVP verspielt im Umgang mit der FPÖ bald jede Glaubwürdigkeit, meint Kolumnist Josef Votzi.

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