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Ben Frost serviert "rohe Metal-Brocken im Vakuum"

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Ihm geht es um eine "Konversation mit dem Publikum". Das heißt für seine Fans aber auch: Dran bleiben! Denn der australische Musiker Ben Frost ist nicht bekannt dafür, den einfachen Weg zu gehen. Für sein aktuelles Album "Scope Neglect", das er Freitagabend beim Kremser donaufestival vorgestellt hat, bürstete der Wahlisländer Metalsounds gegen den Strich. Wie er dahin gekommen ist und welche Rolle die Leere dabei spielt, verriet er vor dem Auftritt im APA-Interview.

APA: Sie sind schon mehrmals in Krems aufgetreten. Was bedeutet es, zu einem Festival wie diesem zurückzukommen?

Ben Frost: Vergangene Woche habe ich in Catania auf Sizilien gespielt, wo ich bisher noch nie war. Da gab es in der ersten Hälfte der Show eine Ungewissheit, weil das Publikum nicht wusste, wie es reagieren soll. Ich bin kein DJ, der Dance Music macht. Trotzdem ist es ein Club. Es ging also darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Am Ende haben wir es geschafft. Sie haben gemerkt, dass ich einfach eine Punkrockshow machen wollte. Hier hingegen muss ich mich nicht erklären. Es gibt einfach eine Kontinuität, wodurch die Unterhaltung einfacher wird. Es ist, als ob man einen alten Freund trifft.

APA: Auf Ihrem neuen Album haben Sie sich dem Metal zugewandt, ihn auseinander genommen und wieder zusammengesetzt. Wie kam es dazu?

Frost: Ich wollte das schon eine lange Zeit tun. Es ging mir um eine Idee von Post Metal. Diesen Sound hat es in meiner Musik ja immer gegeben, aber er war vielleicht nicht so offensichtlich. Mein ursprünglicher Ansatz war, Musik zu schreiben und sie von einer Band wie Meshuggah spielen zu lassen - fast wie in der Klassik. Letztlich hat es sich weiterentwickelt. Ein Hauptgrund dafür, dass das Album das geworden ist, was es ist, liegt in der technologischen Entwicklung. Ich will Gitarren und Elektronik schon seit 20 Jahren zusammenbringen, aber das ist nicht so einfach. Es gibt einfach eine Dissonanz zwischen diesen Räumen. Mittlerweile kannst du mit neuen Amps und Aufnahmetechniken unglaublich viel erzeugen, was sich weiter verarbeiten lässt. Dadurch wird es Teil der Architektur, in der ich arbeite.

APA: Für Gitarrist Greg Kubacki haben Sie bei diesem Album ganze Tracks gebaut, zu denen er spielen konnte - nur um letztlich all das wieder wegzunehmen. Welchen Effekt hatte das?

Frost: Ich kannte Greg vor diesem Projekt nicht. Mir war bewusst, dass es ein großes Risiko ist, was ich aber als meine Aufgabe als Künstler sehe. Also dachte ich: Okay, buche einfach das Studio und lade diesen Fremden ein. (lacht) Ich musste an Dokumentarfilme denken, in denen eine gefährdete Spezies von einem Naturschutzgebiet zum nächsten gebracht wird. Sie lassen das Tier nicht sofort frei, sondern haben einen Bereich, der ihm vertraut ist und in dem es sich an die neue Umgebung gewöhnen kann. Ein Akklimatisationsprozess. So absurd es klingt, genau daran habe ich gedacht, immerhin kommt Greg als Metalgitarrist aus einer ganz anderen Welt. Ich konnte ihm nicht einfach diese abstrakten Passagen vorspielen und fordern: Sei du selbst! Er sollte sich auf die von mir gebauten Strukturen einlassen - wohlwissend, dass ich sie wegnehmen werde.

APA: Sie arbeiten in diesen Stücken sehr stark mit Ruhepassagen, teilweise vollkommener Stille, im Kontrast zu wütenden Ausbrüchen. Was war der Reiz daran?

Frost: Man fühlt die Abwesenheit der Dinge, die ich weggenommen habe. Ein Musiker spielt nicht in die Stille hinein. Als Menschen sind wir unglaublich anpassungsfähige Kreaturen, also auch, wenn wir mit jemandem zusammenarbeiten. Ich verbringe mein halbes Leben schon in Island, würde aber sofort wieder einen starken australischen Akzent haben, wenn ich jemanden aus meiner alten Heimat treffe. So sind wir gepolt, das passiert gar nicht bewusst. Ich finde es faszinierend, das im kreativen Prozess zu nutzen. Die Idee, dass du Wahrnehmung von Musik oder Sound manipulieren kannst, in dem du mit dem Performer spielst. Als Produzent bist du wie ein Psychiater. Es geht um Verständnis und Hilfestellungen. Hört man nun die Songs, dann hört man das Weggenommene. Herausgekommen sind massive, rohe Metal-Brocken im Vakuum. Davon hat John Cage gesprochen, darum geht es bei "4'33''" - du bringst dich selbst in dieses Nichts.

APA: Wie reagiert das Publikum darauf?

Frost: Wir leben in einer Welt, in der sich die Algorithmen des Geschichtenerzählens im Kreis drehen. Uns wird von den diversen Plattformen gesagt, was wir mögen, was wir scheinbar hören wollen. Das erzeugt eine Situation, in der der Raum für Fehlinterpretationen zusehends verdichtet wird. Es gibt nur eine richtige Lesart - und das ist unglaublich unbefriedigend. Das Publikum ist viel schlauer, als wir denken, und auch viel neugieriger. Ich sehe das jeden Abend. Es gibt immer eine Person im Raum, die diese Musik noch nie gehört hat, aber durch irgendeinen Zufall da ist. Diese Leute sind zunächst verwirrt, verstehen es nicht, wollen die Erfahrung aber erneut machen. Diese Leerstelle, dieses Nichts ist sehr verführerisch. Man nimmt zwei Ideen und zieht sie immer weiter auseinander. Dadurch entstehen Fragen. Und wir sind Problemlöser, wir wollen das!

APA: Was passiert mit Ihnen selbst auf der Bühne?

Frost: Es ist natürlich eine kollaborative Angelegenheit. Gerade eben habe ich einige Soloshows gespielt, was das Beste und das Schlimmste sein kann. Da geht es nur um meine Entscheidungen. Aber hier, mit Greg, meinem Tontechniker Carlos Boix und Tarik Barri, der für die Visuals zuständig ist, wird es etwas anderes. Zwischen all diesen Elementen gibt es so viel Feedback. Ich glaube, dass niemand so eine dichte Show macht wie wir. (lacht) Es ist wie ein Ritt auf der Rasierklinge und kann jeden Moment auseinanderbrechen. Es geht aber auch um den Raum und die Menschen darin. Ich schaue mir die Leute an, ich brauche ihre Reaktion. Für mich ist es sehr konfrontierend, wenn ein Publikum einfach nur... leise ist (lacht). Ich muss wissen, dass da jemand ist. Am Ende des Tages mache ich ja doch nur Nirvana-Covers in der Garage meiner Mutter: Ich will es schweißtreibend und roh. Wenn ich mir manche Kollegen anschaue, die bei ihren Sets nur auf den Start-Knopf drücken, denke ich mir oft: Was machst du? Vergiss dieses Sicherungsseil! Klar können dir im Livemoment Fehler passieren, kannst du plötzlich mit heruntergelassener Hose dastehen. Aber die Leute erkennen den Unterschied. Es lohnt sich verdammt noch mal!

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - https://ethermachines.com)

ribbon Zusammenfassung
  • Der australische Musiker Ben Frost präsentierte sein neues Album 'Scope Neglect' beim donaufestival in Krems und betont die Bedeutung der Verbindung zum Publikum.
  • Frost beschreibt die Rückkehr zum Festival als Wiedersehen mit alten Freunden und hebt die Herausforderung hervor, mit einem unbekannten Publikum in Catania eine gemeinsame Sprache zu finden.
  • Die technologische Entwicklung spielte eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des Albums, indem sie die Kombination von Gitarren und Elektronik ermöglichte.
  • Die Zusammenarbeit mit dem Metalgitarristen Greg Kubacki war ein kreatives Wagnis, das Frost bewusst einging, um neue musikalische Strukturen zu schaffen.
  • Frost setzt auf die Interaktion mit dem Publikum und kritisiert die vorherrschende, algorithmische Musikindustrie, die wenig Raum für Interpretation lässt.