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Kleines Temperaturplus bringt Kohlenstoffplus aus Tundra

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Werden Tundraböden im Norden und in Gebirgslagen wärmer, erhöht sich darin die Kleinstlebewesen-Aktivität. Das führt dazu, dass mehr gebundener Kohlenstoff in die Atmosphäre entweichen kann. Wie hoch dieser oft als eines der größten Fragezeichen in Klimaprognosen bezeichnete Effekt aber ausfällt, ist offen. Ein Forschungsteam mit Beteiligung aus Tirol lieferte kürzlich einen Teil der Antwort im Fachblatt "Nature": Schon ein kleines Temperaturplus zeigt ordentlich Wirkung.

In die umfassende Zusammenfassung mehrerer einschlägiger Untersuchungen (Metastudie) gingen Daten von insgesamt 28 Standorten in Tundragebieten in der Arktis und anderen nördlichen Tundragebieten, sowie in sehr hohen Lagen weiter südlich wie der tibetanischen Hochebene ein. Den Gegenden ist gemein, dass die im Schnitt niedrigen Temperaturen den Nährstoffumsatz im Boden deutlich begrenzen. Das führt über längere Sicht dazu, dass dort viel Kohlenstoff quasi ungenutzt liegen bleibt. Das ist aus Klimasicht gut, da er so nicht in die Atmosphäre gelangt und dort den Temperaturanstieg noch weiter anheizt.

Umgekehrt wird stark befürchtet, dass die rasch fortschreitende Erhitzung aus diesen Speicherstätten für geschätzt die doppelte Menge des in der Atmosphäre befindlichen Kohlenstoffes massive Quellen für Treibhausgase macht. Das könnte diese Weltgegenden an einen Kipppunkt führen, der letztlich den Klimawandel noch weiter entgleisen ließe, so die Befürchtung.

"Tauen die Böden auf, verstärkt sich die Atmung dieses Ökosystems, da Mikroorganismen beginnen, das Material zu zersetzen. Dabei entstehen Treibhausgase wie Kohlendioxid, aber auch Methan und Lachgas. Dieser Effekt führt zu einer Art Teufelskreis, da die Treibhausgase die Erderwärmung antreiben und diese wiederum die Permafrostböden vermehrt belasten", so die mit ihren jahrelangen Messungen in Russland an der Publikation beteiligte Forscherin Christina Biasi vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck an Freitag in einer Aussendung.

Auch ihre mit sogenannten Open-Top-Kammern (OTCs) gewonnenen Daten tragen nun dazu bei, dass die Wissenschafter annehmen, dass das Problem eher größer sein könnte als bisher erhofft. Mit OTCs werden Teile der Tundraböden überdacht, was dort zu einer Temperaturerhöhung führt. Gleichzeitig wird gemessen, was dort in Folge dessen an Ausgasung passiert.

Diese Erwärmungsexperimente an verschiedenen Orten brachten im Schnitt einen Lufttemperaturanstieg um 1,4 Grad Celsius, was wiederum die Bodentemperatur um rund 0,4 Grad erhöhte und die Bodenfeuchtigkeit um 1,6 Prozent reduzierte, heißt es in einer Mitteilung der Universität Umeå, wo die Hauptautorin der Studie, Sybryn Maes, arbeitet. Schon diese relativ kleine Veränderung steigerte die Ökosystem-Atmung während der Periode in der in diesen Weltregionen die Pflanzen wachsen um durchschnittlich 30 Prozent. Da manche der Messungen ganze 25 Jahre umfassten, könne man für einige Orte festhalten, dass diese Veränderungen auch über derart lange Zeiträume - und vermutlich noch länger - nachwirken. Diese Erkenntnis sei zuvor wenig beachtet worden, so die Wissenschafterinnen und Wissenschafter.

Bereits auf Basis von früheren Untersuchungen war klar, "dass wir mit der Erwärmung wahrscheinlich einen Anstieg der Atmung feststellen würden. Wir fanden nun aber einen bemerkenswerten Anstieg - fast viermal größer als bisher geschätzt", so Maes. Allerdings gebe es regionale Unterschiede, was vor allem vom dort verfügbaren Stickstoff oder dem pH-Wert der Böden abhängt.

Als Regionen, in denen mit größeren Steigerungen zu rechnen ist, wurden Teile Sibiriens und Kanadas identifiziert. Weniger stark dürften zum Beispiel die Tundraböden in Hochasien reagieren, heißt es in der Arbeit. Aber: "Wir erwarten eine Zunahme der Atmung in der kompletten arktischen und alpinen Tundra", so Matti Kummu von der Aalto University (Finnland). Um das aber noch regional feiner herunterzubrechen, brauche es noch mehr Messdaten. Insgesamt könnten die neuen Erkenntnisse dazu führen, dass die großen Modelle zur Erderwärmung verbessert werden, halten die Studienautoren fest.

(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s41586-024-07274-7)

ribbon Zusammenfassung
  • Tundraböden reagieren auf Erwärmung mit erhöhter Mikroorganismenaktivität, was zu mehr Kohlenstofffreisetzung führt, zeigen Forschungen aus Tirol veröffentlicht in 'Nature'.
  • Experimente mit Open-Top-Kammern ergaben einen durchschnittlichen Lufttemperaturanstieg von 1,4 Grad Celsius und eine Bodentemperaturerhöhung von 0,4 Grad, was die Bodenatmung um 30 Prozent steigerte.
  • Die Studie betont die Notwendigkeit weiterer Daten, um die Reaktionen der Tundraböden regional genauer vorhersagen zu können, insbesondere angesichts der potenziellen Klimawandelbeschleunigung.

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