Klimts "Fräulein Lieser": Verschollen geglaubt, Millionen wert

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Der Fachwelt war es nur aus einer Schwarz-Weiß-Fotografie bekannt. Bis vor wenigen Wochen. Das Wiener Auktionshaus im Kinsky versteigert das verschollen geglaubte Gemälde "Fräulein Lieser" von Gustav Klimt (1862-1918) unter großem internationalen Interesse.

Das "Bildnis Fräulein Lieser" stammt aus 1917. Klimt starb, bevor er es vollenden konnte. Das 140 mal 80 Zentimeter große, farbenprächtige Gemälde war jahrzehntelang im Verborgenen in österreichischem Privatbesitz und wurde innerhalb der Familie mehrmals vererbt. 

Der neueste Erbe will es versteigern lassen und kontaktierte Rechtsanwalt und Kinsky-Co-Geschäftsführer Ernst Ploil. Für das Auktionshaus Kinsky eine Sensation. "Sie sehen: Solche Klimts laufen einem ganz bequem über den Weg. Man muss nur warten", meinte Ploil bei der Pressekonferenz gut gelaunt.

70 Millionen "denkbar"

Kein Wunder, bei der Auktion soll das "Fräulein Lieser" laut Schätzungen 30 bis 50 Millionen Euro bringen, das Letztgebot könnte aber bei einem Bieterkrieg auch noch viel höher liegen, "bis 70 Millionen sind denkbar". 

Am 24. April ist es so weit, PULS 24 überträgt die Versteigerung als einziger Sender exklusiv live. Erwartet werden Gebote aus aller Welt. Vor dem Auktionstermin wurde das "Bildnis Fräulein Lieser" im Kinsky und an mehreren Orten in Europa und Südostasien - etwa in London, Zürich, Genf, und Hongkong gezeigt. 

Die Auktion im Livestream:

"Die koloristische Palette ist beispielhaft für Klimts Spätwerk", schwärmte Claudia Mörth-Gasser, die im Kinsky die Sparte Klassische Moderne leitet. Es handelt sich um eines der letzten Werke von Klimt. Als er starb, war es noch in seinem Atelier und wurde dann - nicht ganz fertiggestellt - an die Auftraggeber ausgehändigt. 

Rätsel um das Fräulein: Constance, Helene oder Anna? 

Vom Bild gab es bisher nur ein schwarz-weiß-Foto, wahrscheinlich aus dem Jahr 1925. Bisher gingen Experten davon aus, dass Klimt die achtzehnjährige Constance Margarethe Lieser, Tochter von Adolf Lieser, porträtiert habe. Die Brüder Adolf und Justus Lieser zählten zu den führenden Großindustriellen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das Auktionshaus recherchierte erneut.

Auch die Schwägerin von Adolf - "Lilly" Henriette Amalie Lieser-Landau, könnte das Gemälde in Auftrag gegeben haben. Sie wurde 1905 von Justus Lieser geschieden. Das porträtierte "Fräulein Lieser" könnte also auch Helene oder Anna, eine der zwei Töchter Lillys sein. 

35 Jahre fehlen: Wo war der Klimt im 2. Weltkrieg? 

In der Geschichte des Sensations-Fundes gibt es eine große Lücke. Die Forscher konnten nicht herausfinden, wo das Bild zwischen 1925 und den 1960er-Jahren war. Genau das ist aber eine potenziell problematische Phase, denn damit ist unklar, was während der Herrschaft des Nationalsozialismus passierte. Es gebe keine Hinweise auf eine "rechtswidrige Enteignung", obwohl man intensiv geforscht habe. "Es existieren mithin keine Beweise dafür, dass das Werk vor oder während des Zweiten Weltkriegs geraubt, gestohlen oder sonst wie rechtswidrig entzogen worden ist."

Mai 1917 - Klimt malt in seinem Atelier

Klar sind die Anfangstage des Werkes: Klimt dürfte im Mai 1917 mit dem Gemälde begonnen haben, nachdem ihm sein Modell innerhalb einiger Wochen neun Mal im Hietzinger Atelier des Künstlers Modell gestanden hatte. Mindestens 25 Vorstudien entstanden. Nach dem Tod des Malers am 6. Februar 1918 ging das - in geringen Teilen noch unvollendete - Werk an den Auftraggeber oder die Auftraggeberin zurück.

Claudia Mörth-Gasser, Spartenleiterin Klassische Moderne im Kinsky, im PULS 24 Interview. 

Die "nächste Spur" stammt aus 1925, als das Gemälde in einer Ausstellung in der Neuen Galerie von Otto Kallir-Nirenstein zu sehen war, wie Ploil erklärte. Dort wurde vermutlich auch jenes Schwarz-Weiß-Foto aufgenommen, dessen Negativ als bisher einziges Bildzeugnis des Porträts im Archiv der Nationalbibliothek verwahrt wird. Auf der Inventarkarte findet sich der Vermerk: "1925 in Besitz von Frau Lieser, IV, Argentinierstrasse 20". Diese Adresse habe Henriette Lieser gehört.

Sie blieb trotz der Nazi-Diktatur in Wien, wurde 1942 deportiert und ermordet. Ihre Töchter hätten nach dem Ende des Krieges zwar die Restitution ihrer Vermögenswerte durchgesetzt, allerdings das Gemälde nirgends erwähnt oder gar zurückgefordert, heißt es in der Auktionsbroschüre: "Ebenso haben es alle anderen von Repressalien der Nationalsozialisten betroffenen Mitglieder der Familie Lieser gehalten." Das Bild sei auch nachweislich nie aus Österreich exportiert worden.

Seit den 1960ern in Villa nahe Wien

Das "Bildnis Fräulein Lieser" soll zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt in den Kunsthandel gekommen sein, "wann und wo es gekauft und weiterverkauft wurde, weiß ich nicht", das sei "nicht erforschbar" gewesen, führte Kinsky-Co-Geschäftsführer Ploil aus. Der "Standard" zieht diese Version in Zweifel. Laut seine Recherchen soll sich das "Fräulein Lieser" seit der NS-Zeit in Familienbesitz befunden haben.

Die jetzigen Eigentümer hätten es vor etwa zwei Jahren von entfernten Verwandten geerbt, davor war es wiederum über mehrere Generationen vererbt worden. Etwa seit Mitte der 1960er-Jahre habe es sich im Salon einer Villa in der Nähe Wiens befunden. Weitere Untersuchungen durch im Kinsky haben ergeben, dass es sich "in fast tadellosem Zustand" befunden habe. Es wurde gereinigt und via Infrarot untersucht. Dies habe gezeigt, dass Klimt im Laufe des Malprozesses recht wenig Korrekturen durchgeführt habe - anders als etwa bei seiner "Adele Bloch-Bauer II".

Infolge der Lücken in der Provenienz des Bildes soll der Erlös auf Basis einer Vereinbarung nach den sogenannten "Washington Principles" unter mehreren möglichen Rechtsnachfolgern aufgeteilt werden.

ribbon Zusammenfassung
  • Das verschollene 'Bildnis Fräulein Lieser' von Gustav Klimt aus dem Jahr 1917 wurde im Wiener Auktionshaus im Kinsky präsentiert und wird am 24. April versteigert.
  • Der Schätzwert des Gemäldes liegt zwischen 30 und 50 Millionen Euro, wobei Auktionserlöse zwischen 40 und 70 Millionen Euro denkbar sind.
  • Nicht ganz klar ist, welches Fräulein Lieser abgebildet ist. Drei Mädchen stehen zur Auswahl.
  • Die jetzigen Eigentümer haben das Gemälde vor etwa zwei Jahren geerbt und es befindet sich laut Untersuchungen des Kinsky in fast tadellosem Zustand.
  • Vor der Auktion wurde das Gemälde etwa zwei Wochen lang im Kinsky gezeigt und auch an mehreren Orten in Europa und Südostasien präsentiert.