Erster Ischgl-Prozess geschlossen - Entscheidung erfolgt schriftlich

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In Wien startet am Landesgericht für Zivilrechtsachen die erste mündliche Verhandlung in der Causa Ischgl. Darin machen Betroffene Amtshaftungsansprüche gegen die Republik geltend.

Am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen ist am Freitag die erste mündliche Verhandlung einer Amtshaftungsklage gegen die Republik in der Causa Ischgl über die Bühne gegangen. Geklagt haben die Witwe und der Sohn eines Mannes, der sich im Skiurlaub im März 2020 mit dem Coronavirus angesteckt hat und wenig später gestorben ist. Es geht um einen Schadenersatz von über 100.000 Euro. Der Prozess wurde nach dreieinhalb Stunden geschlossen, die Entscheidung ergeht schriftlich.

Ein von den Klägern angebotener Vergleich wurde im Zuge der Verhandlung von der Finanzprokuratur - vertreten vom leitenden Prokuraturanwalt Martin Paar sowie Martin Tatscher - abgelehnt. Auch die von Klägervertreter Alexander Klauser geforderten Fragen, Zeugen und Gutachten wurden allesamt abgelehnt. Richterin Catrin Aigner erachtete ein weiteres Beweisverfahren für nicht notwendig. Sie habe alle Unterlagen umfassend erhalten, und diese würden ausreichen zu sagen, was passiert sei und was nicht, um daraus die rechtlichen Schlüsse zu ziehen.

Prozess hat "wichtige Signalwirkung"

Eine Ansteckung des Mannes mit dem Coronavirus in Ischgl ist laut dem "Profil"-Journalisten Jakob Winter "sehr wahrscheinlich". "Die zentrale Diskussion der beiden Parteien ist: Haben die Behörden rechtzeitig reagiert", so Winter auf PULS 24 zum Auftakt des Prozesses. Der Prozess habe eine "wichtige Signalwirkung" und diene als Muster für weitere Schadenersatzprozesse, erklärt er weiter. "Wenn die Witwe Erfolg hat mit der Klage, dann kommt auf die Republik eine Welle an Klagen zu", so die Einschätzung des Journalisten.

Kolba: "Gespannt, wie Richterin ohne Beweisverfahren Entscheidung treffen möchte"

Der Obmann des Verbraucherschutzvereins Peter Kolba im PULS 24 Talk

Bei Zahlung: Kläger will Geld spenden

Der Termin hatte für reges Medieninteresse gesorgt. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Verhandlung im Festsaal des Obersten Gerichtshofes im Justizpalast abgehalten. An die 60 Journalisten hatten sich im Vorfeld akkreditiert, viele auch aus dem Ausland. Der Sohn des an Covid-19 verstorbenen 72-Jährigen - einer der Kläger - war zum Termin gekommen. Seine Mutter, die Witwe des Niederösterreichers schaffte es aus emotionalen Gründen nicht, wie ihr Sohn im APA-Gespräch sagte. Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat im Namen der Familie des an Covid-19 verstorbenen Mannes Klage eingereicht. Der Familie des 72-Jährigen gehe es nicht um das Geld, sondern um Gerechtigkeit, sagte der Sohn der APA. Sollte es zu einer Zahlung kommen, werde er das Geld spenden, sagte der Mann. Sein Vater habe zu Lebzeiten gerne die Caritas unterstützt.

Die zentralen Vorwürfe: Die Behörden hätten nicht schnell und nicht entschlossen genug agiert, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Obwohl seit 4. März 2020 bereits bekannt gewesen sei, dass es SARS-CoV-2-Infektionen im Paznauntal gegeben habe, sei die Region nicht geschlossen worden und tausende Urlauber am Wochenende darauf in das Skigebiet gereist. "Die österreichischen Behörden, etwa der Landespressedienst des Landes Tirol, die Bezirkshauptmannschaft Landeck und der örtliche Tourismusverband, spielten die Gefahr in unverantwortlicher Weise herunter", heißt es in der Klagsschrift. Daraufhin wurden nur zögerlich Lokale und Skilifte gesperrt, das Contact Tracing sei mangelhaft gewesen und die Befolgung der erlassenen Verordnungen sei nicht durchgesetzt worden. So hätten vor den mittlerweile geschlossenen Lokalen im Freien dennoch Leute weiter gefeiert. Damit habe sich das Virus rasant weiterverbreitet.

Winter: "Prozess hat wichtige Signalwirkung"

"Profil"-Journalist Jakob Winter spricht im Interview mit PULS 24 über den Prozessauftakt zur Causa Ischgl.

Auftakt eine Prozessreigen

Die "unkoordinierte und mangelhaft vorbereitete öffentliche Ankündigung von Bundeskanzler Sebastian Kurz" in einer Pressekonferenz am 13. März 2020, dass das Paznauntal isoliert werde, habe zu einer überstürzten und chaotischen Abreise von Touristen und Tourismus-Mitarbeitern geführt. In der Folge kam es zu umfangreichen Staus. Für Strecken, für die man normalerweise eine halbe Stunde braucht, benötigte man viele Stunden. Dabei sollen sich viele Menschen in überfüllten Bussen und Autos angesteckt haben und das Virus in weiterer Folge in Zügen und Flugzeugen an Mitreisende weitergegeben haben.

Auf diesem Weg dürfte sich auch der Ehemann bzw. der Vater der Kläger mit SARS-CoV-2 angesteckt haben. Er saß auf der Rückreise in einem Bus mit hustenden und niesenden Ischgl-Urlaubern. Taxis fuhren gar nicht mehr in das Gebiet. Der begeisterte Skifahrer war eigentlich für die Reise nur eingesprungen. Als er am 7. März in das Tal reiste, war längst bekannt, dass es Corona-Infektionsfälle gibt, so der Vorwurf.

Großes Medieninteresse bei Prozessauftakt

PULS 24 Reporter Paul Batruel fasst vor Prozessbeginn die Anklagepunkte noch einmal zusammen.

Der zivilrechtliche Prozess heute dürfte der Auftakt eines Prozessreigens werden: Sieben weitere Tagsatzungen im September und Oktober wurden bereits festgelegt. Am 27. September wird etwa der Fall eines deutschen Ischgl-Urlaubers verhandelt, der sich angesteckt und die Infektion nicht überlebt hat. Neben jener Klage, die am Freitag verhandelt wurde, liegen laut VSV 15 weitere bei Gericht. Außerdem wurden der Finanzprokuratur - sie vertritt die Republik - rund 40 Aufforderungsschreiben vorgelegt, 60 weitere Fälle warten auf die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherungen.

Kolba rechnet bis zu 3.000 Ansprüche

Österreichische Rechtsschutzversicherungen würden aufgrund der "Pandemieklausel" die Deckung - aus Sicht des Vereins ungerechtfertigterweise - ablehnen, hieß es vom VSV. Daher würden die Klagen mit Rechtsschutzversicherungen derzeit auf Belgien, Niederlande, Großbritannien und die Schweiz ausgeweitet. VSV-Obmann Peter Kolba rechnete schlussendlich mit "bis zu 3.000" Ansprüchen, die an die Republik gestellt würden sowie mit Sammelklagen nach österreichischem Recht. An die 6.000 Betroffene hätten sich an den VSV gewandt.

Derzeit wird auch gegen fünf Personen strafrechtlich ermittelt. Der 70 Seiten starke Vorhabensbericht der Innsbrucker Staatsanwaltschaft wurde fertiggestellt und mittlerweile an das Justizministerium geschickt. Dort wird über Anklage, Einstellung des Verfahrens oder die Beauftragung zu ergänzenden Ermittlungen entschieden.

ribbon Zusammenfassung
  • Am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat die erste mündliche Verhandlung einer Amtshaftungsklage gegen die Republik in der Causa Ischgl begonnen.
  • Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat im Namen der Familie die Klage eingebracht.
  • Es stehen bereits sieben weitere Termine diesbezüglich im September und Oktober fest.
  • Bei Ausbruch der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr stand der Tiroler Tourismusort im Fokus.

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