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20 Jahre nach 9/11: Wie uns der Staat mehr denn je überwacht

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Der "Krieg gegen den Terror" war von Beginn an verbunden mit einem drastischen Ausbau der staatlichen Überwachung - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Österreich. Auch 20 Jahre danach sind viele Befugnisse von Sicherheitsbehörden weit davon entfernt, wieder eingeschränkt zu werden.

Der 11. September 2001 war eine historische Zäsur, die nicht nur die internationale Weltpolitik grundlegend verändert hat, sondern auch den Umgang westlicher Staaten mit den Bürgerrechten ihrer Bevölkerung. Der "Krieg gegen den Terror" war in vielen westlichen Ländern der Startschuss zum Aufbau zuvor ungeahnter Überwachungsapparate.

Der Kampf von Terrororganisation gegen Staaten ist ein sehr ungleicher, was die verfügbaren Ressourcen angeht. Einer der wenigen "Vorteile" von Terrororganisationen war, dass sie ihre Strukturen lange anonym und unbemerkt von Behörden aufbauen konnten, analysierte der norwegische Sicherheitsexperte Thomas Hegghammer kürzlich im US-Magazin "Foreign Affairs". Um dieses Informationsdefizit auszugleichen, begannen die USA den "Krieg gegen den Terror" mit einem weitreichenden Ausbau der Überwachungsbefugnisse ihrer Nachrichtendienste, vor allem der NSA und des FBI.

Vom "Patriot Act" zum "Freedom Act"

Bereits wenige Tage nach dem 11. September gab es den ersten Entwurf für den "Patriot Act", jenem Gesetz, das die rechtliche Grundlage dafür lieferte. Neben einer Erweiterung der rechtlichen Definition von Terrorismus, erlaubte das Gesetzespaket Sicherheitsbehörden auch umfangreiche Überwachung von Verdächtigen ohne richterlichen Beschluss und ohne deren Wissen sowie die unbegrenzte Inhaftierung von Nicht-US-Bürgern ohne Prozess.

Die neuen Sicherheitsgesetze waren der Startschuss für ein gigantisches Programm, das der NSA das Abhören und "Screening" von Telefon-, E-Mail- und Fax-Kommunikation im Inland erlaubte. Dieses Überwachungsprogramm wurde erst durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden im Jahr 2013 in vollem Umfang bekannt. Dessen Enthüllungen führten dazu, dass die Überwachungsbefugnisse der NSA im "Freedom Act" von 2015 eingeschränkt wurden. US-Behörden dürfen nicht mehr direkt auf Kommunikationsdaten zugreifen, sondern diese lediglich von privaten Anbietern anfordern.

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Der "Patriot Act" wurde zunächst nur als temporäre Maßnahme verabschiedet, in Teilen aber mehrmals um vier Jahre verlängert. Einige seiner Bestimmungen wurden zwischenzeitlich vom US-Verfassungsgericht aufgehoben. Der "Freedom Act" ersetzte den "Patriot Act" mit dessen endgültigen Auslaufen im Jahr 2020.

Kosten-Nutzen-Rechnung der Überwachung "bestenfalls dürftig"

"Stellt man bei diesem gigantischen Aufwand an neuen Sicherheitstechniken und der Erweiterung staatlicher Sicherheitsbefugnisse eine Kosten-Nutzen-Rechnung an, dann fällt das Ergebnis bestenfalls dürftig aus", meint Geheimdienstexperte Thomas Riegler gegenüber PULS 24. Allerdings betont er, dass "es etwa zu verhinderten Anschlägen wenig Information" gebe. 

Ähnlich sieht man das auch bei der NGO "epicenter.works", die sich für Datenschutz und Bürgerrechte einsetzt. Die überbordenden Überwachungsgesetze seien "kaum geeignet, Terror oder organisierter Kriminalität zu begegnen", so Expertin Nina Spurny gegenüber PULS 24. Sie würden allerdings sehr oft unsere Grundrechte maßgeblich einschränken.

Der ständige Ausbau der Überwachungstechnik sei nicht mit Terrorgefahr zu rechtfertigen. Die Tragik des Terroranschlags in Wien am 2. November 2020 etwa "fußt alleine auf Behördenversagen und nicht auf fehlenden Überwachungsmöglichkeiten", so Spurny. "Denn bestehende Gesetze hätten ausgereicht, um die Tat zu verhindern, hätte man sich der zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln sorgfältig bedient", sagt sie.

Österreich war lange Nachzügler

Österreichische Behörden hätten auch heutzutage "im Unterschied zu anderen Ländern keine so eingriffsintensiven Befugnisse", meint Riegler. Aber auch hierzulande ist der Trend klar, warnt man bei "epicenter.works". Es sei "festzustellen, dass die Behörden immer mehr Möglichkeiten erhalten, schon weit im Vorfeld von Straftaten in die Privatsphäre unbescholtener Menschen einzudringen".

Dabei war Österreich im Vergleich zu anderen westlichen Staaten lange sehr zurückhaltend bei staatlichen Überwachungsbefugnissen. 2002 wurde mit dem Anti-Terror-Paket überhaupt erstmals in Österreich der Straftatbestand der "terroristischen Vereinigung" sowie der "Terrorismusfinanzierung" und mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) eine eigene Behörde geschaffen. 2006 folgte die Erfassung biometrischer Daten etwa in Reisepässen und 2008 wurde der Zugang zu Handy- und Internetdaten für Behörden erleichtert.

Ein weit größerer Eingriff war 2011 die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die einer EU-Richtlinie (vor allem auf Initiative von Großbritannien) folgte. Diese wurde 2014 allerdings vom Europäischen Gerichtshof und vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) wieder abgeschafft.

Ein weiteres Sicherheitspaket von 2017 (vom damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl) sah unter anderem den Einsatz von Schadsoftware zum Hacken und Überwachen von Handys ("Bundestrojaner"), weitreichende KFZ-Erfassung sowie den Einsatz von digitaler Gesichtserkennung bei Videoüberwachung vor. Die ersten beiden Maßnahmen wurden von VfGH für rechtswidrig erklärt. Die digitale Gesichtserkennung ist aber seit 2020 in Kraft.

Digitale Gesichtserkennung als problematischer Eingriff

Die "stetig ausgebaute Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen in Österreich und die ausufernde Gesichtserkennung" bereiten "epicenter.works" am meisten Sorgen, wie Expertin Spurny gegenüber PULS 24 sagt. Hier werde "in der physischen Welt den Menschen ihr Recht auf unbeobachtete Bewegung und Treffen genommen", warnt sie.

Zudem werde die Technologie auf Demonstrationen eingesetzt und habe eine abschreckende Wirkung. "Insbesondere Menschen nicht-weißer Hautfarbe werden besonders oft fälschlicherweise als Verdächtige von dieser Technik ausgesondert", kritisiert die Expertin.

Kritisch sieht sie auch, dass SIM-Karten seit 2017 immer einer Person zuweisbar seien. Journalisten und Whisteblower seien die Leidtragenden, während Kriminelle genug Umgehungsmöglichkeiten finden.

Auch Geheimdienstexperte Riegler ist nicht sehr optimistisch: "Es wird sich zeigen, ob hier in Zukunft nachgeschärft wird, Stichwort Bundestrojaner."

Private Anbieter bedienen Nachfrage

Eine Trendumkehr zu weniger Überwachung sehen beide Experten nicht. "Angesichts des technologischen Wandels – insbesondere durch die nunmehr gängige Verschlüsselung – geht der Trend generell in Richtung Aufrüstung", sagt Thomas Riegler.

Der Boom bei der Überwachungstechnologie - gerade auch von privaten Anbietern - sei auch Teil des digitalen Wandels: "Der 11. September hat definitiv Nachfrage geschaffen. Einen zwingenden Zusammenhang würde ich aber nicht sehen", meint er. Mit neuen technologischen Möglichkeiten wachse stets auch das staatliche Bedürfnis, sich diese für Sicherheitszwecke nutzbar zu machen.

Bei "epicenter.works" sieht man eine weitere Gefahr bei Konzernen. Weil die Geheimdienste und Polizei auf die Daten der Technikfirmen zugreifen können, sähen diese kein Problem darin, den Datenschutz zu biegen und zu brechen und weitaus mehr Daten über uns zu sammeln, als eigentlich notwendig und zweckmäßig sei. "Hier gibt es ein gemeinsames Interesse von Staat und Wirtschaft, das diametral dem Interesse der Bevölkerung auf Schutz ihrer Daten entgegen steht", warnt Spurny.

ribbon Zusammenfassung
  • Der "Krieg gegen den Terror" war von Beginn an verbunden mit einem drastischen Ausbau der staatlichen Überwachung - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Österreich. Auch 20 Jahre danach sind viele Befugnisse von Sicherheitsbehörden weit davon entfernt, wieder eingeschränkt zu werden.

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