APA/APA/Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Bayreuth: Buhkonzert für österreichischen Regisseur Schwarz

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Es müssen harte Minuten gewesen sein für Valentin Schwarz und sein Team. Nachdem am Freitag der letzte Ton der "Götterdämmerung", dem letzten Teil von Wagners "Ring des Nibelungen", im Festspielhaus von Bayreuth verklungen war, setzte es ein beispielloses Buhkonzert für den österreichischen Jungregisseur. Der 33-Jährige hatte seit Sonntag gleichsam eine Neudeutung der vier Opern entworfen - und bei allen Schwächen damit den ersten echten "Ring" des 21. Jahrhunderts vorgelegt.

Zuletzt war in Bayreuth der "Ring" von Frank Castorf zu sehen, ein viel zu spät im Lebenslauf des Regisseurs angesiedeltes Spätwerk über den Fall des Kommunismus und den Verfall des Kapitalismus, während davor Tankred Dorst primär den mystischen Aspekt der Tetralogie beleuchtet. Schwarz hingegen bricht den mythischen Machtkampf zwischen Göttern, Zwergen und Menschen herunter auf eine zutiefst menschliche Familiensaga im Stile großer Streamingserien. Drachen, Bären, Tarnkappen oder weltmächtige Ringe haben bei ihm keinen Platz.

Stattdessen lenkt die Inszenierung des 16-stündigen Mammutwerks im Bingewatchingmodus den Blick auf supragenerationale Geschichten und folgt hierbei dem breiten Erzählgestus der Streaminganbieter. Schwarz bedient diese neue Erzählweise, die gleichsam an die Tradition der großen Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts anknüpft. Und diesen Weg geht der aus Altmünster stammende Theatermacher radikal. Er setzt sich auch über Grenzen des Librettos hinweg, führt Figuren und Geschehnisse ein, die der alte Wagner so nicht vorgesehen hatte.

Das große Verdienst dieses Ansatzes ist, dass der neue Bayreuther "Ring" jenen Charakteren des Werks eine eigene Geschichte gibt, die sonst unterbelichtet bleiben. Wer hätte sich nicht stets gefragt, was für eine Genese Erzbösewicht Hagen hat, der mit einem Male in der "Götterdämmerung" auftaucht? Wer hätte sich nicht über den kurzen, aber bedeutenden Auftritt von Göttin Freia gewundert, die im "Rheingold" letztlich sang- und klanglos verschwindet?

In der "Götterdämmerung" sind es nun etwa die Gibichungen Gunther (ein hervorragender Michael Kupfer-Radecky) und Schwester Gutrune (Elisabeth Teige), zwei sonst blasse Figuren, die nun Tiefe bekommen. Bei Schwarz sind sie neureiche Erben der einstigen Götter, Societyfatzkes im Trash-TV-Stil anstelle des degenerierten Altadels. Hagen als Halbbruder dieses sprichwörtlichen Nattergezüchts ist in Person des später umjubelten Albert Dohmen indes ein proletenhafter, ehrlicher Michel, der wenig Wert auf Äußeres legt und seine Rache unbeirrt verfolgt. Viele Sequenzen sind gut durchdacht und funktionieren dann, wenn Sängerschauspieler ihre Rollen auch spielen können. Das ist über den Verlauf der Tretralogie aber nicht immer der Fall.

Der Nachteil des familienchronikalen Ansatzes ist eine eindimensionale Lesart, die viele der philosophischen Aspekte und mythologischen Schichten des Werk schlicht ignoriert. Auch erschaffen Schwarz und Bühnenbildner Andrea Cozzi bei aller narrativen Stringenz visuell eine etwas inkongruente Welt. Zeigt sich das "Rheingold" dynamisch mit schnellen Szenen wechselnd, fallen "Walküre" und "Siegfried" im Vergleich eher statisch aus. Die "Götterdämmerung" indes ist der erste der vier Teile, der auch dezidiert starke Bilder schafft, wenn etwa die Gibichungen-Mannen schwarzgewandet mit roten Masken im Nebel auf Hagens Rufe zum vermeintlichen Krieg schreiten oder Hagen inmitten eines weißen Raumes auf seinen Vater Alberich und einen Sandsack trifft.

Ambivalent zeigte sich heuer auch die Sängerauswahl in Bayreuth. Zur Fraktion der sicheren Bank gehörten etwa Klaus Florian Vogt als Siegmund in der "Walküre" mit bekannt lyrisch-leichtem, wortdeutlichem Tenor, Georg Zeppenfeld mit beweglichem Bass als Hunding oder ein in der Titelpartie des "Siegfried" gefeierter Niederösterreicher Andreas Schager, der als testosterongeladener Held die gesamte Oper durchpowerte. Auf der Gegenseite führt Iréne Theorin die Truppe an, die nach einer schwächeren "Walküre" in der "Götterdämmerung" letztlich ans Ende ihrer stimmlichen Kräfte kam - und dafür zum Schluss gar Buhs einstecken musste, was bei Singenden in Bayreuth keineswegs eine Selbstverständlichkeit darstellt.

Einige Ablehnung kassierte diesmal auch Cornelius Meister, der als Einspringer am Pult spät für den coronaerkrankten Pietari Inkinen an Bord gekommen war. Auf der Habenseite sind hier nach wie vor eine transparente Führung des Orchesters zu verzeichnen, der allerdings schlichte Intonationsschwächen, eine Unausgewogenheit und mangelnder Schmelz gegenüberstanden.

Unfälle gab es über die vier Abende hinweg auch auf der Bühne, allen voran ein unter Wotan zusammenbrechender Sessel, der den Sänger Tomasz Konieczny für einen Aufzug außer Gefecht setzte. Aber auch Garagentore, die sich schon schlossen, als Autotüren dem noch im Weg standen oder ein auf dem Trank des Vergessens ausrutschender Einspringer Clay Hilley reihten sich hier ein. Hilley war kurzfristig, nachdem er am Vortag noch in Italien am Strand gelegen hatte, für den erkrankten Stephen Gould in der "Götterdämmerung" als Siegfried eingesprungen und feierte mit metallischem Timbre in dieser harten Partie gleich sein Bayreuth-Debüt.

Es kommen eben nur die Harten in den Garten. Das gilt auch für die Welt des "Rings" im Schwarz'schen Universum. Bei der Neudeutung am Bayreuther Hügel gibt es den die Weltmacht verheißenden Ring letztlich nicht, ihn verkörpern jeweils die Kinder, die die dynastische Macht fortführen sollen und doch primär transgenerational die Sünden und Traumata der Elterngeneration weitertragen. Diesbezüglich gelingt der Inszenierung nach einer leider vollends banalisierten, schwachen Gestaltung des vielleicht bedrückendsten Finales der Operngeschichte tatsächlich ein packendes Schlussbild. Hier umarmen sich die beiden Föten, die sich im Filmauftakt der Tetralogie noch gegenseitig blutig gekratzt hatten. Ein versöhnliches, starkes Bild.

Und doch hat man, wie man es auch von guten Serien kennt, irgendwann deren Welt ausgemessen und das Gefühl, dass es jetzt aber auch mal gut ist. Ob der Schwarz-"Ring" es ungeachtet des niedergebuhten Auftakts eines Tages in die Liga der legendären Tetralogiearbeiten am Grünen Hügel schaffen wird, wird man sehen. Als paradigmatisches Kind seiner Zeit ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen.

(S E R V I C E - Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen: Götterdämmerung" bei den Bayreuther Festspielen. Musikalische Leitung - Cornelius Meister, Regie - Valentin Schwarz, Bühne - Andrea Cozzi, Kostüme - Andy Besuch. Mit Siegfried - Clay Hilley, Gunther - Michael Kupfer-Radecky, Alberich - Olafur Sigurdarson, Hagen - Albert Dohmen, Brünnhilde - Iréne Theorin, Gutrune - Elisabeth Teige, Waltraute - Christa Mayer, 1. Norn - Okka von der Damerau, 2. Norn - Stéphanie Müther, 3. Norn - Kelly God, Woglinde - Lea-ann Dunbar, Wellgunde - Stephanie Houtzeel, Floßhilde - Katie Stevenson. Weitere Aufführungen am 15. und 30. August. www.bayreuther-festspiele.de/programm/auffuehrungen/goetterdaemmerung/)

ribbon Zusammenfassung
  • Es müssen harte Minuten gewesen sein für Valentin Schwarz und sein Team.
  • Nachdem am Freitag der letzte Ton der "Götterdämmerung", dem letzten Teil von Wagners "Ring des Nibelungen", im Festspielhaus von Bayreuth verklungen war, setzte es ein beispielloses Buhkonzert für den österreichischen Jungregisseur.
  • Auch erschaffen Schwarz und Bühnenbildner Andrea Cozzi bei aller narrativen Stringenz visuell eine etwas inkongruente Welt.

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